Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1115-1117

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wahl, Heribert

Titel/Untertitel:

LebensZeichen von Gott – für uns. Analysen und Impulse für eine zeitgemäße Sakramentenpastoral.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2008. 323 S. m. Abb. gr.8° = Kommunikative Theologie – interdisziplinär, 9. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-1340-6.

Rezensent:

Wolfgang Ratzmann

Der Trierer Pastoraltheologe Heribert Wahl hat mit einem äußerlich eher unscheinbaren Buch eine inhaltlich beachtliche Lehre von den Sakramenten vorgelegt. Der Band ist nach dem handlungsorientierten bewährten Dreischritt »Sehen – Urteilen – Handeln« gegliedert, wobei schon allein quantitativ auf dem »Urteilen« das Schwergewicht liegt, insofern hier in einem psychoanaly­tischen, sakramentstheologischen und biblisch-historischen Ar­gumentationskreis jeweils Kriterien des notwendigen Verständnisses der Sakramente und ihrer angemessenen Praxis gesucht werden.
In immer neuen Durchgängen durch das soziologische, historische oder theologische Material kämpft W. dafür, die Sakramente kommunikativ zu verstehen. Sie sollen die Teilnehmenden zu einer symbolischen Erfahrung führen, die ihnen Anschluss an die in diesen christlichen Symbol-Zeichen überlieferte Lebenspraxis Jesu und Gottesliebe ermöglicht. Dabei geht W. theologisch-an­thropologisch von K. Rahners Überzeugung aus, dass Gott schon immer in der Nähe der Menschen ist, also nicht erst mit dessen Taufe, und dass er mit ihm eine Geschichte vorhat, in die er ihn ruft. Ebenso spielen die Erfahrungstheologie von E. Schillebeeckx und die Sakramententheologie von P. Hünermann (Sakramente als »Figuren des Lebens«) eine wesentliche Rolle. Der Ansatz für eine angemessene Hinführung zu den Sakramenten soll deshalb nicht zuerst in einer »Belehrungs-Pastoral« bestehen, in der Menschen mit Wissen über die Sakramente konfrontiert werden, sondern in dem Bemühen, ihn mit sich selbst und seiner Lebensgeschichte in Berührung zu bringen und ihn so bei der Entdeckung zu helfen, dass die überlieferten Glaubenszeichen mit der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte »zusammenpassen«. Die Hauptprobleme der heutigen Sakramentenpastoral sieht W. weniger nur in einer Sprachbarriere, sondern eher in einer ungenügenden »Hermeneutik der Praxis«, denn die Sakramente entfalten ihre Bedeutung für die je eigene Lebensgeschichte in dem »pneumatischen Milieu« einer Gemeinde, in der deren Koinonia-Qualität erfahren werden kann. Dabei denkt W. nicht nur an Ortsgemeinden, sondern auch an Passanten- oder Jugendkirchen, Orden oder Basisgemeinden.
Der Weg, den W. mit dem Leser zu diesem Ziel geht, ist an­spruchsvoll und aufwändig: In einer Einleitung werden assoziativ »impressionistische Annäherungen« an die heutige sakramentale Praxis versucht und wird der Weg des Buches beschrieben. Im Schritt »Sehen« wird vor allem soziologisch – mithilfe der populären Theorien von Individualisierung, Erlebnisorientierung und Multikulturalität – ein Einblick in die »Makro-Ebene« heutiger Lebenspraxis gegeben. Außerdem werden gängige kirchliche Re­zepte (»Zwischen Ausverkauf und Rigorismus«) kritisch vorgestellt und wird dafür plädiert, dass sich die Sakramentenpastoral konsequent an der Lebenswelt der Menschen (»Mikro-Ebene«) orientieren und dass sie mystagogisch-lebensbezogen das erschließen solle, was in den Symbolzeichen angeboten und gefeiert wird. Im Schritt »Urteilen« stellt W. schon im tiefenpsychologischen Kapitel eine Fülle theoretischer Ansätze vor, die er für die Themen von Symbol und Erfahrung für relevant hält. Vor allem im kritischen Anschluss an Heinz Kohuts Selbstpsychologie und an Winnicotts Theorie der »Übergangsobjekte« entwickelt W. seine These, dass Symbole als »transformierte SelbstObjekte« aufzufassen sind, in denen das Subjekt ein zeichenhaftes Gegenüber zur Verfügung hat, mit denen es den verschlüsselten Erfahrungen anderer begegnet, so auch den Erfahrungen von Glaubenszeugen, die sich in Sakramenten verdichtet haben.
Im theologischen Kapitel wird nach einem Einblick in prominente katholische Sakramentsentwürfe neben Anderem gefragt, ob der biographische Ansatz in der Sakramentenpastoral noch hilfreich sei, mit dem man die »Lebensübergänge« christlich zu deuten versuchte. W. plädiert demgegenüber für einen Perspektivenwechsel, nach dem die Sakramente in ihrer Eigenständigkeit und Fremdheit durch elementare Lebenserfahrungen heute (Geburt, Tischgemeinschaft, Lebensstufen) gedeutet werden können. Eine deutlich kritische Position bezieht W. im Hinblick auf die häufigen Versu che, die Sakramente der Kirche unreflektiert als »Riten« zu ver­- stehen, für die die ständige Wiederholung des Gleichen und die Eingliederung in das Bestehende typische Merkmale seien. Die christlichen Sakramente seien stattdessen vom »schöpferischen Mög­lichkeitsraum des Geistes« geprägt.
Mit Exkursen zu Freud wie auch zu den modernen Ritual Studies vertieft W. seine ritualkritischen Thesen. Demgegenüber erfolgt die exegetische und historische Vergewisserung eher knapp und unter nur ausschnitthafter Verwendung der reichlich vor­-handenen neutestamentlichen und liturgiehistorischen Literatur. In zwei abschließenden Kapiteln wird der Ertrag für das Verständnis der Sakramente und für die Sakramentspastoral zusammen­gefasst.
Die Studie bewegt sich auf einem hohen humanwissenschaftlichen und theologischen Niveau. Bei allen praktischen Intentionen, Studierenden und kirchlich Praktizierenden zu einer kommunikativen Sakramentspraxis zu verhelfen, spielt das theoretische Interesse des ausgebildeten Theologen und Tiefenpsychologen W. eine unübersehbare Rolle, die zentralen kirchlichen symbolischen Handlungen nicht nur biblisch, kirchengeschichtlich oder systematisch-theologisch zu verstehen, sondern auch soziologische und vor allem tiefenpsychologische Verstehenszugänge zu gewinnen. Diese teilweise umfangreichen Darlegungen stellen an einen Leser, der auf schnellen Praxisgewinn aus ist, relativ hohe Ansprüche. In­teressant ist, dass mit einer solchen kommunikativ orientierten Sa­kramentslehre die alten konfessionellen Kontroversen oft schlicht gegenstandslos werden, wenn beispielsweise der Einsetzungsbericht und die »Elemente« Wein und Brot aus ihrer isolierten Rolle herausgenommen und als Teile eines symbolischen Handlungszusammenhangs verstanden werden, bei dem in kommunikativ vermittelter Weise Christus als real gegenwärtig erfahren wird. Insofern sollten auch kontroverstheologisch interessierte Leser nach diesem Buch greifen.
Der praktische Anspruch W.s ist freilich hoch: Es geht ihm nicht nur darum, eine angemessene Sprache zu finden, in der die Sakramente als Lebenszeichen Gottes damals und heute einleuchtend werden. Eingespielte religionsdidaktische Verfahren, vom »fröhlichen Brotbacken« zu einer Ahnung von der Gottesnähe bei der Eucharistie zu gelangen, betrachtet er eher mit Skepsis. Sein Weg führt in eine Gemeinschaft hinein, in der man Staunen hervorrufende Erfahrungen machen kann, in der sich ein Zugang zu einem »pneumatischen Milieu« eröffnet, zu einer Gemeinde, die die le­bensdienliche Botschaft der Sakramente paradigmatisch erschließen hilft. Insofern lebt diese handlungsorientierte Sakramentenlehre von einem utopischen Kirchen- und Gemeindebild, das seine Leser nicht nur auf die vorfindliche Wirklichkeit der (römisch-katho­lischen) Kirche orientieren, sondern das sie mit der Reich-Gottes-Botschaft anstecken und verändern will.
Das Buch sollte nicht nur in der katholischen Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft, sondern auch in der evangelischen Theologie (Sakramentslehre, Kasualien) beachtet werden. Schön wäre es, wenn sich auch seine äußere Gestalt – bis hinein in die Schrifttypen, die eingerahmten häufigen Merksätze, das Untergliederungssys­tem und die verschiedenen graphischen Skizzen – dem wichtigen Inhalt angemessener und leserfreundlicher präsentierte.