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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

197 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Heitger, Marian u. Angelika Wenger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kanzel und Katheder. Zum Verhältnis von Religion und Pädagogik seit der Aufklärung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1994. 560 S. gr. 8o. Kart. DM 68,­. ISBN 3-506-73918-2.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der vorliegende Sammelband geht der seit der Aufklärung virulenten Frage einer Grundlegung der Pädagogik nach, wobei der Fokus vor allem auf die mögliche Funktion von Religion (und Metaphysik) gelegt wird. Dabei sind Beiträge sehr unterschiedlicher Ausrichtung und Themenstellung zusammengefaßt, die sich jeweils mit einem bzw. mehreren Autoren beschäftigen und entsprechend deren chronologische Reihenfolge geordnet sind. Für die Auswahl der Besprochenen fehlen klare Kriterien, vor allem für einige Philosophen und Pädagogen des 20. Jh.s ist die Nähe zum Katholizismus unübersehbar. So vermittelt der Band einen instruktiven Einblick darüber, wie katholisch-religiös fundierte bzw. interessierte Pädagogen sich in der pädagogischen und philosophischen Tradition seit der Aufklärung verorten.

Zum einen wird auf "Klassiker der Pädagogik" (10) Bezug genommen und deren Umgang mit Religion bzw. Metaphysik rekonstruiert: Wolfgang Ritzel widmet sich "Rousseaus Glaubensbekenntnisse(n)" (13-41). Einfühlsam geht Johannes Schurr "Pestalozzis Religion der Menschwerdung" (89-117) in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien nach. Christina Sauter-Bergerhausen arbeitet in ihrem Beitrag "Bildung und Religion bei Wilhelm von Humboldt" (207-226) klar heraus, daß die Aufgabe der staatstragenden Funktion von Religion durch Humboldt zugleich deren Freiheitsmoment deutlich hervortreten läßt. Sehr komprimiert legt Ursula Frost "Grundlagen und Voraussetzungen der Pädagogik Friedrich Schleiermachers" (227-248) dar. Dessen pädagogischen Antipoden Herbart stellt Karl Helmer unter der Überschrift "Säkulare Religion und sakrale Ästhetik. Zur Bedeutung der Religion in Herbarts Denkgefüge" (283-294) kurz vor, ohne allerdings die gerade bei diesem Pädagogen religionspädagogisch so wichtige Wirkungsgeschichte auch nur anzudeuten. Werner Wiater handelt über "Die Normativität des Geistes im Leben des Menschen Eduard Spranger" (417-438) und zeichnet dessen Entwicklung zu einer zunehmend religiösen Sicht des Menschen nach.

Alfred Schirlbauer behandelt H. J. Heydorn unter dem zutreffenden Titel "Bildungsmessianismus und Gesellschaftskritik" (459-470), wobei er dankenswerterweise auch kurz an die nach wie vor bedeutsamen religionsdidaktischen Implikationen bei Heydorn erinnert. Nur sehr verkürzt führt schließlich H. Zdarzil in "Emanzipatorische Pädagogik" (471-491) ein, worunter er Pädagogen versteht, die durch die Rezeption der Kritischen Theorie geprägt sind.

Zum anderen gilt das Interesse mancher Artikel der Rekonstruktion (möglicher) pädagogischer Implikationen von philosophischen bzw. psychologischen Konzeptionen. Wolfgang Fischer stellt in "Die Religion in Kants Begründung der Pädagogik" (43-67) heraus, warum für Kant Religion kein konstitutives Moment für die Grundlegung der Pädagogik darstellt. Winfried Böhm präsentiert in "John Dewey ­ oder die Vergottung von Wissenschaft und Technologie" (351-378) den amerikanischen Pädagogen als wichtigsten Erziehungstheoretiker der USA, der religiösen Glauben in Form von Wissenschaft und Demokratie säkularisiert und für den Erziehung selbst zu einer quasi gottesdienstlichen Tätigkeit wird. Die grundsätzliche Infragestellung von pädagogischer Bildungstheorie durch eine ontologische Bildungskonzeption arbeiten eindrucksvoll Helmut Konrad, Gerhard Schaufler und Wolfgang Schneider in "Das Dasein und die Frage nach dem letzten Gott. Gedanken zum Verhältnis von Bildung und Religion in Heideggers Philosophie" (439-457) heraus, indem sie aus Heideggers ontologischen Überlegungen den Begriff der "Bildung zum Tode" folgern (442). Nur noch wenig auf die pädagogische Fragestellung beziehen sich dagegen die Beiträge zu Lessing (69-88), Fichte (143-174), Hegel (249-282), Freud (327-349) und zur Humanistischen Psychologie (493-512). Sie sind eher Einführungen in das Denken bzw. besondere Fragestellungen dieser Autoren, denen die Pädagogik selbst ja eher fern lag. Einen interessanten Ausblick in den frankophonen Raum und deren besondere Schultradition gibt dagegen Waltraud Harth-Peter "Der französische Positivismus" (295-325; sehr reichhaltiges Literaturverzeichnis!).

Endlich ist auf die Präsentation von im engeren Sinn katholischen Pädagogen hinzuweisen. Michael Langer erinnert in "Religion und Christentum in den Schriften Friedrich Wilhelm Foersters" (379-396) an diesen (in mehrfacher Hinsicht) "Außenseiter" (379), der mittlerweile ­ trotz großer Wirkung zu seinen Lebzeiten ­ fast vergessen ist, aber gerade (obgleich nicht selbst katholisch) als Beispiel einer katholischen Pädagogik nach dem Kulturkampf gelten kann. Peter Kauder geht einem bei kirchlich gebundenen pädagogischen Autoren oft begegnenden Problem nach: "Wissenschaftliche Terminologie und ’fromme Sprache’. Zum Bestimmungsboden der pädagogischen Systematik Alfred Petzels" (397-415). Den Abschluß des Bandes bildet Waltraud Harth-Peter mit "Religion und Bildung im Lichte des modernen Personalismus" (513-551), die hierbei implizit wohl den konzeptionellen Hintergrund der Publikation entfaltet. Nachzutragen ist noch Clemens Menzes "Erziehung zur Divinität. Die Begründung des Endzwecks der Erziehung durch Johann Baptist Graser" (175-205), der akribisch dessen Hauptschrift nachgeht, aber dabei auch die Bedeutungslosigkeit von Graser für die folgende Pädagogik erweist.

Insgesamt liegt mit dem Werk ein bunter Strauß von Einzelbeiträgen vor, die jeweils als einzelne Interesse verdienen. Den Anspruch, den "Zusammenhang von Bildung und Religion" (9) herauszuarbeiten, kann das Werk aber nur teilweise einlösen. Hierzu wäre auf jeden Fall ein einleitender umfangreicher Artikel notwendig, der den Zusammenhang der z.T. sehr ins Detail gehenden Einzelbeiträge auf das Thema aufzeigte. Vermutlich wären dann einige Artikel an anderer Stelle publiziert und vielleicht andere neu eingeworben worden. Beiträge zu evangelischen Pädagogen wie E. Weniger oder O. Hammelsbeck hätten einige interessante zusätzliche Akzente setzen können.