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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1101-1103

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Burger, Hans

Titel/Untertitel:

Being in Christ. A Biblical and Systematic Investigation in a Reformed Perspective.

Verlag:

Eugene: Wipf & Stock 2009. XIII, 632 S. gr.8°. Kart. US$ 55,00. ISBN 978-1-55635-840-1.

Rezensent:

Andrea Anker

In der akademischen und kirchlichen Theologie der Gegenwart werde Jesus Christus vernachlässigt, ist Hans Burger überzeugt. »The disappearance of the dominance of Karl Barth’s christocentric theology« (1) habe den Trend zur Beschäftigung mit Themen wie Immanenz, Pneumatologie, Spiritualität, Mystik, Realität, Befreiung und Biographie gefördert. Dabei werde Jesus Christus, wenn überhaupt, oft nur noch als ein moralisches oder spirituelles Vorbild wahrgenommen. Auf der anderen Seite beobachtet B. u. a. in seiner eigenen »orthodox-Reformed Church« in den Niederlanden einen nicht minder problematischen antiliberalen Konservatis­mus, der die Bedeutung Jesu Christi reduziere »to the doctrine of satisfaction by penal substitution« (3).
Diesen Tendenzen möchte B. in seiner Dissertation mit einer Besinnung auf das biblische Konzept des Seins in Christus (gr. en Christo) begegnen. Es sei dies ein Konzept mit einer großen integrativen Kraft (3), das die Anliegen der »post-Barthian Agenda«, also »spirituality, biography and ethics« aufnehmen könne, ohne aber die Christologie aus den Augen zu verlieren.
B. ist vor allem an den ontologischen Implikationen des Seins in Christus interessiert. Bei der Suche nach diesen Implikationen lässt er sich von den Begriffen »representation« (christologischer Aspekt) und »participation« (soteriologischer Aspekt) leiten (26 f.). Diese beiden Konzepte, so seine Hypothese, seien ausreichend für eine überzeugende Bestimmung des Seins in Christus, wobei eine Überprüfung dieser Hypothese nicht auskomme ohne die alternativen Konzepte substitution und union, mit deren Hilfe zum Beispiel das Verhältnis von inklusiver und exklusiver Stellvertretung bestimmt werden könne. Es ist allerdings schwer nachzuvollziehen, wieso die Untersuchung von Anfang an in dieses Begriffskorsett gezwängt wird.
B. prüft seine Hypothese und entwickelt sein Konzept im Ge­spräch mit sechs theologischen Denkern: mit John Owen (1616–1683) und Herman Bavinck (1854–1921) als Repräsentanten der reformierten Tradition, mit Paulus und Johannes und schließlich mit zwei Vertretern der gegenwärtigen Theologie: Ingolf U. Dalferth und Oliver O’ Donovan. Besprochen wird im Folgenden nur ein Teil dieser Kapitel.
Die Auseinandersetzung mit dem Engländer John Owen (Kapitel 2), einem scholastischen Denker mit puritanischem Herzblut, vermittelt einen guten Überblick über den Stand der Diskussion im Bereich der Soteriologie zwischen Orthodoxen, Arminianern und Sozinianern. Nach Owen lässt sich die Beziehung zwischen Jesus Christus und den Glaubenden in eine Geschichte mit drei Episoden gliedern: Gottes ewige Erwählung des Menschen in Jesus Christus; das irdische Leben Jesu Christi zwischen Inkarnation und Verherrlichung; und die im Geist geschenkte Partizipation der Glaubenden am neuen Leben Jesu Christi. Zur Klärung der für B. zentralen Frage nach der »Realität« dieses Seins in Christus operiert Owen mit dem Konzept des Habitus: Das neue Sein des mit Chris­tus in einer unio mystica vereinten Menschen ist ein »habitual re­newal of our nature« (78). Dabei gilt: Der neue Habitus ist erschaffen (d.h. vom Schöpfer abhängig) und impliziert keine Vergöttlichung (deification), aber dennoch sind die Glaubenden »partakers« der göttlichen Natur (82). Weitere widersprüchlich anmutende Aus­sagen (ebd.) illustrieren die Problematik dieser Vorstellung. Und so lautet denn auch B.s Fazit im Blick auf die Konzepte der reformierten Orthodoxie: »However, we need to try to rethink the reality of ›being in Christ‹ as more relational without a substantialist concept of regeneration« (157).
In den Kapiteln 5 bis 7 testet B. seine Hypothese anhand der einschlägigen neutestamentlichen Texte von Paulus und Johannes. Es wird deutlich, dass die Vorstellung von einem Sein in Christus bei Paulus und Johannes eine unterschiedliche Bedeutung hat. Für Paulus heißt »Sein in Christus« Anteilnahme an der Geschichte (an Kreuz und Auferstehung) des Stellvertreters (representative) Jesu Christi. Für Johannes hingegen ist das Sein in Christus die eine Seite einer reziproken inhabitatio. Beiden Konzepten gemeinsam ist, dass das Sein in Christus untrennbar mit der Perspektive des Glaubens verbunden ist: »To be in Christ is to believe in Christ« (275 f.357). Ferner streicht B. zu Recht heraus, dass das Sein in Christus quasi der Inbegriff christlicher Eschatologie sei – die in der »Canonical Synthesis« präsentierte Begründung »for this is the way in which the coming of the reign of God is being realised« (389) erfolgt dann aber ohne exegetischen Rückhalt.
Die Beschäftigung mit Ingolf U. Dalferths eschatologischer Ontologie (Kapitel 8) dient B. zwar vordergründig zur Überprüfung und schließlich zur Bestätigung seiner Hypothese, dass »to develop a concept of ›being in Christ‹ we need the concepts of representation (the inclusive moment) and participation« (452). Doch im Grunde ist die hier präsentierte Studie eine fundierte – auch die Entwick­lung in Dalferths Denken und die Verschiebungen in der Begrifflichkeit berücksichtigende – Analyse und Kritik der Christologie Dalferths, die notabene weitgehend ohne die traditionelle Stellvertretungsvorstellung und -terminologie auskommt. Die eigene Hypothese sieht B. dadurch aber erstaunlicherweise nicht infrage gestellt. Er bemängelt vielmehr umgekehrt bei Dalferth, dass »Jesus Christ is the place of God’s eschatological act, but the God-man himself does not add anything substantial to salvation« (449). Ferner sei unklar, worin die eschatologische Spannung zwischen dem Schon-jetzt und Noch-nicht bestehe, was nach B.s Meinung damit zusammenhängt, dass »Dalferth structurally forgets the bodily reality of our human, created existence« (450). Die Lektüre dieses Kapitel ist auch dann ein Gewinn, wenn man weder B.s Hypothese noch seine Kritik an Dalferth teilt. Denn es gelingt B. auf wenigen Seiten, die roten Fäden in Dalferths konsequent theo-logischer Christologie herauszuarbeiten und auf die Differenzen zu traditionelleren Entwürfen hinzuweisen.
Es geht in B.s Dissertation um die Wirklichkeit des christlichen Glaubens und also ums ›Ganze‹. Dies zeigt sich deutlich vor allem im Schlusskapitel, wo praktisch alle Fundamentalfragen des Christ-Seins (ähnlich der Auslegeordnung eines Katechismus) im Licht der gewonnen Erkenntnis beleuchtet werden. Speziell hervorzuheben ist der Vergleich zweier Modelle für das Verständnis der Partizipation der Glaubenden an der neuen in Christus gegenwärtigen Realität: das sog. »relational model« (»lutheran and existential influences«) und das »substantialist model« (»Reformed Tradition«) (554). Für B. ist jedes dieser Modelle für sich genommen defizitär und es braucht, so ein wichtiges Fazit der Untersuchung insgesamt, verschiedene Modelle bzw. Konzepte um die Wirklichkeit des »Sein in Christus« annähernd angemessen zu beschreiben.