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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1099-1101

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Badcock, Gary D.

Titel/Untertitel:

The House Where God Lives. Renewing the Doctrine of the Church for Today.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XII, 366 S. gr.8°. Kart. US$ 36,00. ISBN 978-0-8028-4582-5.

Rezensent:

Christiane Tietz

Anlass für diese ekklesiologische Studie ist die Sorge, durch die Nähe der Kirche zu den individualistischen Idealen des gegenwärtigen Liberalismus gehe die Eigentümlichkeit des christlichen Glaubens verloren. Um diese wiederzugewinnen, soll das Wesen der Kirche vom Geheimnis Gottes her entfaltet werden. Gary D. Badcock unternimmt diese Entfaltung in acht Kapiteln. Nach einem einleitenden Abschnitt zum Verhältnis von Theologie und Ekklesiologie (1–26) wird in drei Kapiteln die Kirche durch ihr je anderes Verhältnis zu einer der drei trinitarischen Personen konturiert: Neben »The God of the Church« (27–65) treten »The Body of Christ« (66–108) und »The Temple of the Holy Spirit« (109–152). Die nachfolgenden Teile erörtern davon ausgehend die ekklesiologischen Elemente der Gemeinschaft (153–209), des Wortes (210–258) und des Sakramentes (259–290). Den Abschluss bilden Gedanken zu »Theology and the Renewal of the Church« (291–337).
Zu seinen Thesen im Einzelnen. Ekklesiologie, so die Prämisse des Buches, müsse wieder zu einem Thema der Systematischen Theologie werden und dürfe nicht länger der Praktischen Theologie überlassen werden; dieser gehe es viel zu direkt um die konkrete kirchliche Praxis; entscheidender sei hingegen eine profunde dogmatische Entfaltung des Wesens der Kirche. In der Kirche – darin unterscheide sich der ekklesiologische Gegenstand von allen anderen dogmatischen Gegenständen – werde einiges desjenigen Unsichtbaren, auf das sich der Glaube richte, für alle sichtbar; z. B.: »In its care for the outcast, the church images the love of God.« (9) Kirche sei nicht eine Versammlung religiöser Individuen, sondern sie existiere »from above« (24), anders gesagt: Kirche gibt es, weil Gott will, dass es sie gibt. Dieser theozentrische Ansatz wird zusammengefasst in der Formel, die Kirche sei »the house where God lives«, was heißt: Die Kirche ist »a product of the incarnation of God in Jesus Christ, and of God’s continuing activity in ›indwelling‹ the creature in the specific and special ways that are denoted when we talk about the gift of the Holy Spirit.« (25)
Herausgestellt wird weiter der Gedanke des Leibes Christi, der in christologischer und pneumatologischer Weite entfaltet wird. In anregender Weise wird der eschatologische Charakter des Leib- Christi-Seins der Kirche betont, welcher eine Sakralisierung ir­gendeiner irdischen Institution vermeiden helfe und die Kirche als zu glaubende zeige: »The church is indeed the body of Christ, but it is so only insofar as it grasps its existence ›on the way‹ to the final fulfillment.« (101) In dieser »in via«-Existenz der Kirche hat der Heilige Geist seine besondere Bedeutung, insofern er die sündige Menschheit zu einem Ort der Einwohnung Gottes macht; darum sei die Kirche gleichermaßen durch Christus wie den Heiligen Geist konstituiert.
Die Einheit der Kirche müsse so gedacht werden, dass sie theologische und spirituelle Differenzen nicht ausschließe: »The unity of the church is symphonic, or … perichoretic: It is involved in a ceaseless exchange of diverse traditions, energies, and gifts among those who comprise it.« (199) Insgesamt wird das Wirken von Wort und Geist als zweifache Bewegung entfaltet: als eine (Pluralität theologischer und spiritueller Gestalten bewirkende) zentrifugale und als eine (das allem zugrunde liegende eine Geheimnis Gottes betonende) zentripetale Bewegung: »There is … a ›centrifugal‹ movement, by which the one Word of God, ›shining out‹ through the Spirit, makes its home in countless forms of thought, languages, cultures, and historical epochs. But there is also a ›centripetal‹ movement, by which the Spirit, ›shining in‹ on the Word of God, awakens us to the unity that still exists in and amidst this diversity that it generates.« (257)
Den Sakramentsbegriff oder besser den Gedanken der Sakramentalität will B. ausweiten auf die Wirklichkeiten, in denen Chris­­tus für uns gegenwärtig wird. Solches geschehe nicht nur in Wort und Sakrament, sondern auch in im Glauben vollzogenen Taten von Menschen, die unverlierbare Eindrücke in unserer Seele hin­terlassen. »The faith stories that we tell are filled with evidence of a broad sense that ordinary human acts, done in faith and in obedience to the Word of God, become the means of grace in our lives.« (279)
Im abschließenden Kapitel mischt B. sich in die aktuelle anglikanische Debatte über Homosexualität ein. Zum einen kritisiert er, dass das Selbstverständnis der Kirche viel zu sehr »by the dictates of secular theory, particularly, by its focus on the interests and tastes (or equally [!] the ›rights‹) of the individual« (300) geprägt sei. Anstatt in konstruktiver Weise manche christliche Überzeugung und die gleichen Rechte aller ins Verhältnis zu setzen, wird geklagt, es komme in der Kirche so zu einer »sacralization of Western liberalism« (308). Zum anderen urteilt er – durch neuere exegetische Untersuchungen zu den biblischen Aussagen über Homosexuali­tät offensichtlich unbeeindruckt –, zwar würde sexuelle Heiligkeit durch homosexuelle Praxis kompromittiert und würden homosexuelle Akte von Natur aus hinter Gottes Schöpfungsordnung zurückbleiben; doch dürfe man über der klaren Benennung dieser Sünden nicht übersehen, dass alle menschliche Sexualität durch ihre Begierde »likewise flawed« (308) sei. Und überhaupt seien alle Christen Glieder des Leibes Christi nur aufgrund der Vergebung der Sünden; alle Christen seien »broken« (303); »the church exists precisely for sinful human beings such as we are« (308).
Methodisch gleicht die Studie einem Parforceritt. In jedem Abschnitt werden kühn biblische Texte des Alten und Neuen Tes­tamentes, in der Regel ohne größere historisch-kritische Betrachtung, miteinander verknüpft, dann mit breiten Strichen ekklesiologische Studien und Thesen aus allen Epochen der Kirchengeschichte referiert und kritisiert sowie ohne weitere kontextuelle Brechung unmittelbar miteinander verglichen, bevor eigene kreative Weiterführungen erfolgen. B., Professor am in anglikanischer Tradition stehenden Huron University College der University of Western Ontario, Kanada, beschränkt sich, das freilich ist anregend, bei seinen Gesprächspartnern nicht auf den Anglikanismus, sondern schlägt einen weiten ökumenischen Bogen: Neben der eigenen Tradition werden zentrale Texte aus der katholischen Theologie genauso diskutiert wie lutherische, reformierte oder methodistische Schriften. B. spart nicht mit Kritik am (insbesondere nordamerikanischen) Protestantismus. Er will mit seinem ekklesiologischen Entwurf, wie er ausdrücklich betont (14), konserva­tive wie liberale Strömungen in der Kirche zusammenhalten. Ob ihm das gelingt, mag man angesichts dessen, dass er den liberalen nordamerikanischen Protestantismus deutlich schärfer beanstandet als den konservativen, bezweifeln.