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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1089-1091

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U., u. Philipp Stoellger[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott Nennen. Gottes Namen und Gott als Name.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. VIII, 326 S. m. Abb. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 35. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-149792-6.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Ob und wie und mit welchem Recht man Gott einen Namen geben kann, ist eine der ältesten theologischen Fragen. Gerade in einer Zeit kultureller Unbestimmtheit in Sachen Religion kommt ihr unweigerlich wiederum große Bedeutung zu. Im interreligiösen Dialog, im Grunde aber auch schon durch die Notwendigkeit rechtlicher und politischer Integration mehrerer Religionen in einem Land wie Deutschland wird die Frage akut, ob diese denselben Gott unter verschiedenen Namen verehren. Gleichzeitig konfrontiert die Transformation religiöser Semantiken in der Alltagssprache, aus der das Wort »Gott« mit geringen Ausnahmen verschwunden ist, mit der analogen Frage, ob in anderen Worten das Benannte immer noch dasselbe (oder gar derselbe) ist. Diese Ge­genwartsprobleme werden in dem hier anzuzeigenden Band nur gelegentlich zum Thema; vielmehr greifen seine Beiträge bewusst auf die klassisch durch den jüdischen Monotheismus einerseits, die antike Metaphysik andererseits geprägte philosophisch-theologische Problemlage zurück. Diese wird im Wesentlichen in doppelter Hinsicht thematisiert: zum einen historisch im Blick auf den biblischen, speziell den alttestamentlichen Umgang mit dem bzw. den Gottesnamen. Zum anderen durch systematische Erörterungen im Kontext gegenwärtiger Theologie und Religionsphilosophie.
Der historische Zugang schlägt einen weiten Bogen, indem zu­nächst in einem beeindruckend kompakten Überblick von Chris­toph Uehlinger die »Arbeit am altorientalischen Gottesnamen« referiert wird. Dabei verweist der Autor insbesondere auf die Konditionierung der Namensgebung durch bestimmte kulturelle Rahmenbedingungen, bis hin zur dominanten Schriftart und den zur Verfügung stehenden Medien. Hier deuten sich bereits zwei für die Fragestellung des Bandes als Ganzen wichtige Einsichten an: Erstens, das Nennen Gottes ist bei allem anderen, was es vielleicht auch ist, ein kulturell schöpferischer Prozess. Zweitens darf das Problem von Prägung und Gebrauch des Gottesnamens, trotz aller Besonderheit, die ihm zweifellos zukommt, nicht von der Frage nach Ursprung, Funktion und Signifikanz von Namen im Allgemeinen isoliert werden. Die enge Verbindung von Namensgebung und kultureller Konstruktion kommt sodann auch in Friedhelm Hartensteins Beitrag zum Ausdruck, sofern dieser auf die Verbindungen zwischen dem alttestamentlichen Gebrauch des Gottesnamens und dem historisch sich verschiebenden israelitischen Gottesverständnis hinweist. In eine vergleichbare Richtung zielt ebenfalls Albert de Purys These von der religionsgeschichtlich epochalen Transformation des Begriffs Elohim in einen Eigennamen in der Priesterschrift; diese wäre demnach der historische Ausgangspunkt des heute weithin selbstverständlichen Ge­brauchs von »Gott« und äquivalenten Ausdrücken in anderen Sprachen als Eigenname. Gerade eine solche These hätte nun freilich eingeladen zu einer vertieften Diskussion der epistemischen, sprachphilosophischen und metaphysischen Prämissen, unter denen eine solche Distinktion von Begriff und Eigenname überhaupt sinnvoll getroffen werden kann. Es ist insofern bedauerlich, dass der eine kritische Replik auf de Pury bietende Text von Eberhard Blum solchen Fragen durch einen geradezu positivistischen Zugang zur Problemstellung konsequent ausweicht. Eine von der modernen Linguistik vorgenommene formale Definition von Eigennamen wird ohne Rückfrage an ihre historische Universalisierbarkeit zur Elle, an der sich alttestamentliche Texte (und gar Texte über Gott) messen lassen müssen. Das Nichtselbstverständliche, das im Benennen liegt, die Einheit und gleichzeitig Spannung von Deskription und Performanz, von Distanz und Nähe, von Anerkennung und Machtausübung ist in einem solchen Zugang ebenso ausgeblendet wie die zahlreichen nichttrivialen philosophischen und theologischen Voraussetzungen, die jeder Namenstheorie zugrunde liegen und die ihrerseits historisch-kulturell konditioniert sind.
Es sind diese Fragen, die nicht überraschenderweise den zweiten Teil des Bandes dominieren. Insbesondere Philipp Stoellgers Text leuchtet auf instruktive Art die Komplexität des Eigennamens aus, den er im Spannungsfeld von Metapher und Begriff ansiedelt. Dabei kommen Aspekte zum Tragen, die zweifellos für den Gebrauch des Gottesnamens in der religiösen Praxis in ihren diversen Dimensionen (Mythos, Gebet, Liturgie) von zentraler Bedeutung waren und sind, ohne dabei von vornherein mit dem Befund der Alltagssprache und ihrer sozial-kulturellen Verwurzelung inkompatibel zu sein. Der Eigenname bezeichnet nicht nur etwas Anwesendes, sondern soll Präsenz herbeiführen. Sein Gebrauch akzeptiert wohl auf der einen Seite die im anderen begegnende Person, gleichzeitig aber beansprucht er Macht und Kontrolle über sie. Ohne im strengen Sinn begrifflich zu fungieren, gibt er (Stoellger formuliert glücklich: »als Kurzerzählung«) Information über den so Benannten. Die drei verbleibenden Beiträge gehen auf allerdings sehr unterschiedliche Weise spezifisch auf die Problematik des Gottesnamens ein: Lieven Boeve versucht das traditionelle Konzept von negativer Theologie für die Analyse der Gegenwartskultur fruchtbar zu machen, während sowohl Heinrich Assel als auch Günter Bader die in der jüdischen Tradition besonders betonte Aporie des göttlichen Namens ausdeuten.
Die Herausforderung für den Leser besteht zweifellos darin, eine hermeneutische Perspektive zu entdecken, die verhindert, dass die zwei Teile des Buches in disparate Abhandlungen auseinanderfallen. Die von den Herausgebern verfasste Einleitung geht von Bertrand Russells berühmtem Aufsatz On Denoting aus.
Nimmt man diesen Ausgangspunkt ernst, dann müsste die Einheit der historischen und systematischen Studien in der zugrunde liegenden Einheit des durch den Namen Bezeichneten gründen und diese widerspiegeln. Dass der Gott, von dem in der Bibel gesprochen wird, derselbe ist, zu dem Christen heute beten, ist zweifellos eine dogmatisch sinnvolle und wahrscheinlich auch un­erlässliche Prämisse. Jedoch besteht die zu klärende Frage gerade darin, wie sich diese Grundannahme angesichts der Vielfalt historisch-kultureller Ausdrucks- und Vorstellungsweisen be­währen lässt. Sofern es in der Natur einer analytischen Herangehensweise, wie sie von Russell praktiziert wird, liegt, dass sie die historischen Konstitutionsbedingungen unseres Weltverhältnisses methodisch ausblendet, lässt sich schwer sehen, wie von ihr aus die Zu­sammengehörigkeit historischer und systematischer Zu­gänge zur Theologie in den Blick kommen kann. Aber das ist nicht alles.
Der unter anderem auf Russell zurückgehende sprachlogische Ansatz setzt voraus, dass das zu klärende Problem in der Zuordnung von Wörtern mit Bedeutung zu einer uns vor Augen liegenden Welt besteht. Gerade die Problematik des Gottesnamens weist jedoch mit aller Macht darauf hin, dass diese Voraussetzung zumindest nicht trivial ist. Gott ist offenbar kein Ding, das wir in der Welt vorfinden und das auf seine Benennung durch uns wartet. Es gibt daher nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Gottesname ist ein (zu rechtfertigender oder nicht zu rechtfertigender) Sonderfall in unserem sprachlichen Weltumgang oder es ist gerade er, der die Fragwürdigkeit konventioneller Sprachtheorien auf den Punkt bringt.
Diese weiterer Diskussion (und zweifellos der Verfeinerung) bedürftige Alternative steht nach der Lektüre des Bandes im Raum, und den Herausgebern und Beiträgern ist zu danken für das Material, das sie für diese notwendige Debatte bereitgestellt haben.