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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1084-1086

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Trowitzsch, Michael

Titel/Untertitel:

Karl Barth heute.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 565 S. gr.8°. Geb. EUR 44,95. ISBN 978-3-525-57123-1.

Rezensent:

Eberhard Busch

Michael Trowitzsch hat ein überaus köstliches Werk vorgelegt. Das Buch ist wie eine prachtvolle Orgel, die eine Fülle verschiedener Klangregister enthält, und T. ist in der Lage, sie alle je zur passenden Zeit zu ziehen und in überraschend-schönen Klangkombinationen zu spielen. Es bereichert einen und es macht Freude, dem zuzuhören. »Man« kann das Buch vielleicht auch freudlos lesen. Und dann stellt man wohl »richtig« fest, dass es acht große Kapitel hat. Nach einer Einleitung redet es von der Hermeneutik, von der Exegese, von der Gotteslehre, von der Versöhnung, vom Leben in der Dankbarkeit und von der Eschatologie. So steht es gewiss in dem Buch. Aber damit ist das Entscheidende noch nicht gesagt.
Versuchen wir zunächst zu verstehen, was der eigenartige Titel des Buches besagt: »Karl Barth heute«. Er besagt in T.s Sinn offenbar, dass der einstige Basler Theologe (1886–1968) recht erst verstanden wird, wenn man darauf achtet, was er – nicht »einst« sagte, sondern was er sagt. Man hört ihn, wenn man sich darauf einstellt, dass er in der Gegenwart redet. Es geht T. nicht einfach darum, Barth zu aktualisieren und in unsere heutige Zeit zu übertragen, sondern darum zu vernehmen, was er und wie er »heute« spricht. Gleich zu Anfang heißt eine provozierende Überschrift: »In der Kirche gibt es keine Vergangenheit.« (14) Und Theologie ist eine Wissenschaft, die »in der Kirche« stattfindet. Deshalb braucht es zu ihrem Reden auch das Mitreden der Vorfahren. Die Kirche ist selbstvergessen, ist »heute« nicht Kirche, wenn sie davon absieht. »Karl Barth heute« heißt nach T. auch, ihn reden zu lassen und ihm zuzuhören in Auseinandersetzung mit solchen, die in ihrer Weise Theologen heißen, die aber sich fragen zu lassen haben, ob sie zu Recht ihre Aufgabe sehr anders auffassen. »Karl Barth heute« heißt nach ihm dann auch, darauf zu achten, welche Wege er für die Christenheit hin zu ihrem künftigen Dasein weist.
Aber das ist noch nicht alles. T. sieht seine Aufgabe auch darin, mit dem Gedanken ernst zu machen, Barth sei heute erst dann recht zu hören, wenn wir (gewiss in bestimmter Auswahl) dessen Zeitgenossen »heute« mit anhören. Das Buch inszeniert daher eine Art Gespräch – mit Denkern und Dichtern verschiedener Prägung. Es sind Gestalten, die in Barths theologischem Reden direkt oder indirekt gewissermaßen mitgeredet haben. Da begegnen wir in der Darstellung seiner Gedanken nicht so sehr Theologen wie etwa Dietrich Bonhoeffer, sondern vielmehr Martin Heidegger, Gottfried Benn, Jean-Paul Sartre, Paul Celan, dazu Hannah Arendt und Ilse Aichinger; da treffen wir ferner Franz Kafka, Samuel Beckett und Elias Canetti an usw. Der Sinn von solchen Zitierungen soll weder bedeuten, dass Barth dasselbe gesagt hat, noch dies, dass er sich dagegen abgegrenzt hat. Ich verstehe die zahllosen Zitate aus solcher Literatur so, dass wir heute seine Stimme erst recht hören – sozusagen im Klangfeld von derlei Stimmen. T. hat sich vieles zugemutet, indem er so der Theologie Karl Barths nachdenkt. Das Buch zeigt, dass er überzeugend dazu in der Lage ist.
Dieses Werk ist dadurch von eindrucksvollem Gewicht, weil es drei Gedankenstränge kunstvoll zu verknüpfen versteht. Zum einen ist es eine sorgfältige Interpretation der Theologie Barths, aber dies im Umfeld des Wissens um die abgründigen Bedrohungen der heutigen Zeit. Es liest die Ausführungen Barths in diesem Wissen auf eine mitnehmend neue Weise. T. arbeitet dabei mit einer um­fassenden Kenntnis von Barths vielen umfangreichen und kleinen Schriften in all den verschiedenen Zeiten seiner literarischen Tätigkeit. Indem er von »Barth heute« redet, achtet er darauf, vielmehr Gottes heutiges Reden zu hören. Der redet, wie Barth erklärt hat, als der, der der Eine ist – ein Satz von revolutionärer Brisanz (310). Denn gerade so redet er zu einer in sich geschlossenen Welt, die dadurch einen Hang und Drang zum Totalitären hat. T. sagt einsichtsvoll: »Gut lassen sich dabei anämischer Liberalismus und eisenharte Technokratie verbinden.« (267) Die Welt ist gerade so von »herrenlosen Gewalten« beherrscht (179). Und sie ist dabei erst recht bedroht, weil sie die Bedrohung verkennt. Ihre Not ist eine »Not der Notlosigkeit«, um mit Martin Heidegger zu reden (37). In solcher abgründigen Situation bedarf sie gründlicher Hilfe. Gott gewährt sie. Er gewährt sie in seinem Ja zu ihr, in seinem »großen Ja«, das ein »scharfes Nein« in sich trägt (89).
Zum anderen ist das Buch zugleich eine klar entschiedene Auseinander-Setzung mit der heute weithin herrschenden Theologie. »Karl Barth heute« bedeutet nicht deren Gutheißung, sondern er vertritt eine ihr querlaufende Theologie, wie T. beherzt ausführt. Er sagt provozierend: »Nichts berechtigt zu der Einschätzung, dass Theologie mittlerweile grundsätzlich neu gedacht worden wäre.« Und weiter: »Keine Zurücknahme oder Abschwächung jedenfalls, sondern ein möglichst ruhiges Weiterdenken der Neuzeitkritik Barths scheint mir erforderlich. Die Dimension seiner sogenannten ›Modernitätsfeindschaft‹ ist stärker auszubauen … – angesichts sich überschlagender Modernität.« (83) Das tönt nachgerade wie eine Kampfansage. T. führt solchen Kampf wohlüberlegt. Seine Kritik macht nicht Halt gegenüber dem neuerdings wieder hervorgehobenen Schleiermacher, gerade gegenüber ihm nicht. Dessen Theologie ist durchaus nicht »ein Gegenzug gegen die neuzeitliche Bewegungsform der Vernunft«, sondern deren Vertiefung, durch die die »Machbarkeit … weit nach innen kommt« (285 f.) Es durchzieht das Buch – auch! – ein höchst kritischer Geist gegenüber vielen Gestalten gegenwärtiger Theologie, gerade dieses Buch, das ja doch zugleich produktiv mit neueren profanen Dichtern und Denkern Gespräche führt. T. glaubt, dass von dem Gegenwurf der Theologie Barths zu lernen ist, damit das christliche Denken, an­ders als es in den zeitgenössischen Sackgassen geschehe, Gott wieder die ihm gebührende Ehre gibt. In dieser Hinsicht wird das Buch wohl Anstoß erregen und muss es, weil es sich gegen eine ange­- pass­te, dem Immanenten verhaftete Theologie wendet.
Verwunderlicherweise sind aber nun die genannten zwei Stränge der Arbeit von T. verknüpft mit einem dritten Strang. Vielleicht ist dieser für jene »modernen« Theologen noch anstößiger. T. hat und pflegt zugleich einen feinen Sinn für eine in der deutschen Theologie nicht so häufige, von einigen sogar als unwissenschaftlich ausgeschlossene Dimension. Seine Arbeit zeigt eine bewegte Offenheit für das Schöne. Das spiegelt sich in einem ausgesprochen feinen Stil, in dem T. spricht. Doch die Schönheit ist vor allem die Eigenart des »Gegenstands«, auf den sich die Glaubenserkenntnis richtet. Sie ist »Schönheit aus der Fremde« (154). Sie ist der Grund dafür, dass nach T. die Theologie einzig in immer noch einmal größer werdender »Verwunderung« sachgemäß von Gott reden kann (158 f.). Darum bilden die Ausführungen nach Barth über »Gottes Herrlichkeit und Schönheit« einen der Höhepunkte dieser großartigen Arbeit (310 ff.). T. vertritt die kühne These, »dass nur Gottes gloria selbst, Gott selbst in der Schönheit seiner Offenbarung, in seiner ästhetischen Freiheit, gegen den maßlosen menschlich-un­menschlichen Willen zur Macht ankommt, längst angekommen ist …« (313). Ja, »das Bezwingende und Betörende und Bezaubernde ihrer Schönheit macht den spezifischen Machtcharakter seiner Offenbarung aus« (319). Und das ist es, was uns zur Freude einlädt, ja, was uns Freude macht.
Wie gesagt, das Eindrucksvolle dieser Barth-Interpretation ist die Weisheit, in der T. jene drei Stränge in sich verknüpft. Ich weise darauf gerne hin, weil ich das Buch für ebenso lehrreich wie ergötzlich halte.