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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

194–196

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Zahrnt, Heinz

Titel/Untertitel:

Mutmaßungen über Gott. Die theologische Summe meines Lebens.

Verlag:

München-Zürich: Piper 1994. 264 S. 8o Lw. DM 38,­. ISBN 3-492-03734-8.

Rezensent:

Udo Feist

"Ich habe in meinem Leben eine Wahl getroffen, nicht auf einmal, sondern allmählich, auch nicht ein für allemal, sondern immer wieder, alles in allem aber endgültig." (97) Zahrnt, für den ­ wie schon am Titel etlicher seiner Bücher ablesbar ­ die ’Sache mit Gott’ in einem prononcierten Sinn zum Beruf geworden ist, zieht, wenn man so will, einen vorläufigen Schlußstrich. Die Einzelposten auf der Rechnung kennt man aus seinen bisherigen Veröffentlichungen, einige sind neu gewichtet, andere erweitert oder neu gruppiert. Und so vorsichtig er in seinem mittlerweile vollendeten achtzigsten Lebensjahr hinter das Ergebnis bereits einen Punkt setzt, so deutlich versteht er es ­ gemessen an der Sache ­ als Zwischensumme, versehen mit einem Doppelpunkt: er schreibt in guter Hoffnung, daß diese, nicht seine Bücher, noch lange nicht geschlossen wird. Wer also eine herkömmlich-biographische Akzentuierung erwartete ­ Versuche der Selbstinterpretation zwischen anekdotisch-familiärem Kleinklein, theologischem Anliegen und großem weltgeschichtlichen Bogen ­, sieht sich schon nach wenigen Seiten getäuscht. In zehn ebenso streng wie schlüssig gebauten Kapiteln schreitet Z. den Stand der Dinge an den für ihn bedeutendsten Seiten ab. Das Gewicht seiner achtzig Jahre manifestiert sich dabei vornehmlich in einer schnörkellosen Geste des Vorausblicks, die die Sache dann aber sehr wohl biographisch in den entscheidenden Horizont, den des Menschen stellt:

"Alles ernsthafte Nachdenken über das Leben ist ein Rendezvous mit dem Tod. Aber im achtzigsten Lebensjahr wird das Rendezvous schon eher zu einer Bataille. Die allgemeinen Aussagen über den Tod, die man als Theologe lebenslang gemacht hat, beginnen peinlich existentiell zu werden."(225) Fernab von allem Kokettieren mit diesem letzten Ernst formuliert er gewohnt zupackend, verbindlich ­ glänzend, wie es ihm stets (zunächst vor allem als Chefredakteur des ’Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts’) darauf ankam, die christliche Botschaft "pointiert und datiert in die jeweilige Situation hineinzusprechen... Wenn es denn stimmt, daß ich Theologie in einem verständlichen Stil schrieb, so hat dies eben hierin seinen Grund." (254). Auch dessen ist er sich ganz unkokett bewußt, doch sei hinzugefügt, daß daran über die Jahre zugleich eine latente Gegnerschaft Anhalt nahm: manche theologische Examinanden haben die Empfehlung noch im Ohr, sich sehr wohl mit Z.s ’Sache mit Gott’ vorzubereiten, dies jedoch niemals laut zuzugeben. Es stand bisweilen die Unterstellung im Raum, gelungene und zumal essayistische Form mindere von vornherein das Gewicht des Inhalts. Dem vorliegenden Buch mag es ähnlich ergehen, doch liegt genau hierin seine Stärke: Verbindliches in gelungen gebundener Rede ­ im besten Sinne theologische Prosa zu bieten.

Z. beginnt seine Mutmaßungen, ein Begriff, den er wider heutiges Erwarten nicht Uwe Johnson, sondern dem Cusaner (,conjecturae Dei’) verdankt, mit einer ebenso lapidaren wie aufschlußreichen Skizze: "Christ durch Geburt ­ Theologe von Beruf" (15-26). Deren lebensgeschichtlicher wie sachlicher Horizont wird im zweiten Kapitel über "Die kopernikanische Wende in der Theologie" (27-42) abgesteckt: Christliche Theologie im 20. Jahrhundert fand und findet in einer Welt statt, deren Charakteristika ’Säkularisierung, Pluralisierung und Remythisierung’ eine derart eklatante Herausforderung an sie darstellen, daß sie "ein neues Gesamtverständnis des Christentums" (31) zwangsläufig machen. Aus dieser Konstellation universalen und unumkehrbaren Ausmaßes erklären sich Z.s lebenslange Konzentration auf die ’Sache mit Gott’ als ’einziger Hauptsache im Christentum’ (37), sein Verständnis der Theologie als ’Mittlerdienst’ wie auch die Struktur seiner theologischen Lebenssumme, in der das tragende Bild von der ’kopernikanischen Wende in der Theologie’ immer wieder aufgenommen wird. Auf den Punkt gebracht wie auch als Kolon an deren Ende gesetzt, formuliert Z. ihren Kern: "Außerhalb der Welt gibt es kein Heil ­ ohne die Welt ist Gott nicht Gott und ohne Gott die Welt nicht Welt." (264) Daß dies zuvörderst für die Bibel gilt, deren Umstrittensein er zutreffend als Parameter christlicher Geschichte benennt (43), liegt auf der Hand. Z., zeitlebens und bis heute der existentialen Interpretation verpflichtet (53), stellt ihre Würde und Vitalität denn auch an den Ausgangspunkt seiner tour d’horizon, indem er von ihr als den ’Erinnerungen von Menschen an Gott’ (43-68) handelt und zu Recht das Wesensmerkmal ihrer ständigen Fortschreibung betont, was zugleich gegen jeglichen Fundamentalismus steht (66 f.). Denn "Wahrheit ist mitten im Streit." (66) Z.s Hinweis auf das Lehrreiche gerade der biblischen Gestalt spricht an dieser Stelle für sich (und ihn): "Ich hielte es für heilsam, wenn die zeitgenössische Theologie in ihrem Denk- und Sprachstil von der Art lernte, wie die Bibel verfaßt ist. Denn Gott hat immer auch etwas mit Grammatik zu tun." (64) Spezifische Authentizität gewinnt die christliche Botschaft jedoch in der Gestalt des Boten, zu dem Z. die ’kopernikanische Wende’ in Korrelation bringt, indem er zunächst die religionsgeschichtliche Entwicklung gegen die Zeitachse liest und auf dem Stationenweg "Von Jerusalem nach Galiläa" (69-95) zum Entwurf seiner ’jesuanischen Christologie’ gelangt, die in dem Motto gipfelt: "Seht, welch ein Mensch!". Diese reziproke, ja beinahe dekonstruktivistische Entfaltung der dogmatischen Bestände (,vom trinitarischen Heilsdrama zur jesuanischen Christologie’) ist zugleich der rote Faden auf dem Weg Z.s ins Zentrum: "Alles in allem war es ein Fortschreiten von der Historie zur Religion." (93) "Gotteserfahrung" (97-127), in bezug auf deren Möglichkeit wie auch auf sein eigenes Leben, bündelt sich für Z. im 20. Jh. denn auch darin, daß "Jesus die Gnade des unbegreiflichen Gottes" (122) offenbart. Das gilt besonders in Hinblick auf die Zuspitzung, die die Theodizeefrage in diesem Jahrhundert erfahren hat. Aus dieser Verbindung von ’Andacht’ und ’Vertrauen’ ergibt sich mit Notwendigkeit die Hinkehr zur Welt, zu "Glaube und Politik" ­ unter dem Motto "Vom neuen Himmel zur alten Erde" (129-159). Schlüsselerlebnis und zugleich generationstypischer Einschnitt waren dabei die Ereignisse der Jahre 1933-45, woraus Z. neben der unbedingten Verpflichtung zur engagierten politischen Zeitgenossenschaft vor allem lernte, daß es in dieser Welt keine Absolutheiten gibt: "Aus der Gottesverkündigung Jesu ergeben sich keine ewigen Richtlinien für eine christliche Politik, sondern nur fallweise Beiträge zu einer menschlicheren Politik" (154) ­ m. a. W., wahrhaft christlich ist zunächst der aufrechte Gang. Daß der zielstrebig zwischen alle (rechten und linken) Stühle führt, ist von Z. verbürgte Erfahrung, die gerade in seinem Umgang mit, für und gegen Kirche (161-194) vielfältige Ausprägung fand. Schonungslos steht seine Einschätzung, daß sie sich auf dem Weg ’von der Volkskirche in die Diaspora’(170) befindet, neben seinem vertrauensvollen Hinweis darauf, daß das ’Grundmodell aller Kirchlichkeit Pfingsten heißt’(173), ohne jedoch ­ als tolerable Alterstorheit etwa ­ ins ’Pfingstlerische’ oder in ein Loblied auf die gegenwärtig in heißer Konjunktur befindliche ’Spirtualität’ zu verfallen. Vielmehr verortet Z. sich als ’lange schon konfessionslos bzw. postkonfessionell’(188) und sieht darin die tiefste Form von Ökumene: "Die Lehre trennt ­ das Leben verbindet."(189). Das heißt für ihn aber gerade nicht religiöses Einerlei und Beliebigkeit, sondern deutlich konturierte und intellektuell wie existentiell redliche Bereitschaft zum Grenzgängersein, die darauf vertraut, daß der ­ sehr wohl zu unterscheidende ­ Geist weht, wo er will. Insofern steht auch Ökumene (195-217) für Z. im skeptischen Kontext der Welthaftigkeit, die ’endgültige’ Lösungen weder verträgt noch erstrebenswert erscheinen läßt. Dies wie auch das Leben jedes einzelnen Menschen ereignet sich aber immer im Horizont eines letzten, durch den sicheren Tod gegebenen Ernstes (219-241), dem gegenüber Z., neben einem freimütigen Gespräch mit allen derzeit daran geknüpften Moden (Parapsychologie, Seelenwanderung, Gespräche am Sterbebett etc.), erneut die Quintessenz seiner theologischen Lebenssumme betont: "Mit einem Geheimnis aber kann man leben, wenn man Vertrauen hat." (241)

Die dergestalt vorliegende Wortmeldung eines unabhängigen Geistes spart selbstredend auch nicht mit kritischen Anmerkungen zur Theologie, mit deren Vokabular er ebenso vertraut wie virtuos und in der Sache bisweilen satirisch umgeht (243-257). Daß Z. das zehnte Kapitel des Buches unter den Untertitel "Von der Kathedertheologie zur Weisheitslehre" faßt, erhellt vollends den Skopos seiner ’Summe’: "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß die Sache mit Gott so kompliziert ist, wie wir Theologen sie häufig machen." (245) Der von ihm konstatierte Mangel an ’Unmittelbarkeit und Gegenwart’ gerät angesichts der prognostizierten Zukunft derzeitiger kirchlicher Bestände zum bedeutungsschweren wie auch konstruktiven ’Memento mori!’, das angemessen und bedenkenswert mit einem Anhang schließt (259-264), der vor dem skizzierten Hintergrund ’Gedanken zur notwendigen Reform des Theologiestudiums’ vorträgt. Hier ist ein Hören auf die Stimme der Alten sicherlich lohnend.