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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1057-1058

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hrsg. u. kommentiert v. Ph. Wälchli, U. B. Leu u. Ch. Scheidegger unter Mitarbeit v. J. D. Roth.

Titel/Untertitel:

Täufer und Reformierte im Disput. Texte des 17. Jahrhunderts über Verfolgung und Toleranz aus Zürich und Amsterdam.

Verlag:

Zug: Achius 2010. VI, 289 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 32,50. ISBN 978-3-905351-14-9.

Rezensent:

Peter Opitz

Im Unterschied zu den Anfängen des Täufertums in der ersten Hälfte des 16. Jh.s wird den Ereignissen im 17. Jh., denen ja für die Ge­schichte und für das Selbstverständnis des »Mennonitentums« nicht geringe Bedeutung zukommt, zumindest was den Schweizer Raum angeht, eher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil. Die vorliegende, aus intensiven Archivstudien hervorgegangene Textsammlung widmet sich dieser »späten« Periode. Sie dokumentiert dabei einen literarischen Streit, der im Zusammenhang mit dem verschärften Vorgehen der Zürcher Kirche und Obrigkeit gegen Täufer auf ihrem Gebiet im letzten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges steht.
Den Ausgangspunkt bildet der als »Manifest« bekannt gewordene »Wahrhafte Bericht« von 1639, ein von den Zürcher Räten in den Druck gegebener Bericht über die aktuellen Konflikte mit den sich vom öffentlichen religiösen Leben fernhaltenden Täufern auf Zürcher Gebiet, welcher der Gattung der apologetischen Mandate (8) zuzurechnen ist. Auf dem Hintergrund der latenten militärischen Bedrohungssituation in den 1630er Jahren wurde von der Bevölkerung Bereitschaft zum Dienst mit der Waffe und zur Teilnahme an den öffentlichen Bettagen gefordert. Beiden Forderungen waren die seit längerer Zeit mehr oder weniger unbehelligt auf der Zürcher Landschaft ansässigen Täufer nicht bereit nachzukommen, was alte Konflikte wieder aufflammen ließ, wobei sich die Themen der Kontroverse etwas verschoben, aber nicht grundsätzlich geändert hatten. Der »Wahrhafte Bericht« referiert aus Sicht der Obrigkeit die Gespräche mit den Täufern bzw. die Maßnahmen gegen sie. Im Zentrum steht dabei die täuferische Verweigerung der Teilnahme am Gottesdienst und die dahinter stehende ekklesiologische Frage nach der (hinreichend) »reinen«, den Bann angemessen praktizierenden Kirche. Die ausführliche obrigkeitliche Selbstrechtfer tigung in der Frage des eigenen Umgangs mit den Dissidenten wie auch in der Frage des Kirchenbannes macht das Dokument zu einem anschaulichen Beispiel für das Selbstverständnis einer »re­formierten« christlichen Obrigkeit zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, aber auch dafür, dass dieses Selbstverständnis im protes­tantischen Europa bereits damals nicht mehr unangefochten war.
Dies wird durch die Wirkungsgeschichte des Textes deutlich, die der vorliegende Band in Form einer literarischen Auseinandersetzung nachverfolgt: Vermittelt durch einen Brief des Zürcher Antistes Johann Jakob Breitinger an Godofroy Hotton in Amsterdam vom 21. August 1642, der auf dem »Wahrhaften Bericht« basiert und in der vorliegenden Edition im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung abgedruckt ist, wurden die Täuferkonflikte in Zürich in den entsprechenden Kreisen in den Niederlanden bekannt und selbstverständlich sehr anders bewertet. Ein Echo darauf stellt die »Notwendige Untersuchung« aus dem Folgejahr dar. Sie ist eine ausführliche Reaktion niederländischer Täufer auf den Bericht aus Zürich, die sich auf eine umfangreiche Klage über den Umgang der »Zwinglischen oder Calvinisten« (168) mit den Täufern beschränkt. Der Band enthält einen Faksimile-Abdruck des niederländischen Originals und eine paraphrasierende deutsche Übersetzung des Textes. Direkt auf den »Wahrhaften Bericht« antwortet das anschließende Dokument, das nie in den Druck gelangte: ein 1645 wohl mit Unterstützung gebildeter niederländischer Täufer verfasstes »Antimanifest«. In alter apologetischer Täufertradition führt es mit profunder Quellenkenntnis zahlreiche Belege aus der Kirchengeschichte für die täuferische Taufposition auf. Vertreter aus der Alten Kirche und aus dem Mittelalter kommen dabei ebenso zu Wort wie die Reformatoren lutherischer wie reformierter Tradition. Es setzt sich aber auch mit dem Zürcher Verständnis des Kirchenbanns kritisch auseinander. Das letzte Wort erhält dann wiederum die obrigkeitskirchliche Seite in Ge­stalt einer ausführlich theologisch argumentierenden und zu­gleich die »sanftmütige und väterliche« Weise des obrigkeitlichen Umgangs mit den Dissidenten unterstreichenden »Refutation« des Täuferdokumentes, verfasst von dem an der Zürcher Hohen Schule lehrenden Johann Rudolf Stucki.
Der Begriff des »Disputs« im Titel des Bandes ist zweifellos treffend gewählt, macht die Zusammenstellung der Texte doch einmal mehr eindrucksvoll deutlich, wie sehr da aneinander vorbeigeredet wurde. Über diese Zusammenstellung hinaus vermitteln eine von Philipp Wälchli verfasste Einleitung zu den Quellen selber (5–27), ein umfangreicher Aufsatz von Urs Leu, der die historischen Hin­tergründe beleuchtet und die Texte in ihre Zeit einordnet (29–83), und nicht zuletzt ausführliche Anmerkungen zu den Texten hilfreiches Hintergrundwissen. Ein Glossar, ein Literaturverzeichnis und ein Bibelstellen-, Personen- und Ortsregister schließen den informativen und sorgfältig erstellten, bebilderten Band ab.