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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1037-1038

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waschke, Ernst-Joachim [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Reformen im Alten Orient und der Antike. Programme, Darstellungen und Deutungen. Hrsg. unter Mitwirkung v. J. Thon.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XI, 200 S. gr.8° = Orientalische Religionen in der Antike, 2. Lw. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149869-5.

Rezensent:

Hermann-Josef Stipp

Die in diesem Band versammelten Aufsätze gehen auf eine Tagung zurück, die 2005 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattfand. Wie der Herausgeber Ernst-Joachim Waschke in der »Einleitung« (1–15) darlegt, verfolgte die Konferenz das Ziel, »in der Wissenschaft einschlägige, unter dem Begriff der ›Reform‹ subsumierte ausgewählte Beispiele einer kritischen Analyse zu unterziehen« (9).
An den Anfang stellt Waschke den Versuch einer Begriffsklärung – ein Anliegen, das dieser Band bald als wichtig erweisen wird: Danach sei eine »Reform eine Erneuerung, bei der die Umgestaltung einer Gesellschaft insgesamt oder einzelner gesellschaftlicher Institutionen auf bestimmbaren traditionellen Vorgaben beruht«, während »durch eine Restauration eine Umgestaltung rückgängig gemacht wird«. Hingegen vollziehe eine »Revolution den Bruch mit der Vergangenheit zur Errichtung eines völlig neuen und alternativen Gesellschaftsmodells« (2). Freilich demonstriere schon die Applikation auf das literarische Bild der josianischen Reform die Problematik der Terminologie, denn was für sich betrachtet als Reform stilisiert ist, erscheint im Nachgang zur hiskianischen Kultreinigung vielmehr als Restauration. Was den umstrittenen historischen Gehalt des Reformberichts angeht, stellt Waschke den Bestreitern nennenswerter josianischer Maßnahmen die berechtigte Frage, warum die Deuteronomisten die entscheidenden Verdienste gerade dem glücklosen Josia zuschrieben anstatt Hiskia, wie der Chronist es tat. Für Waschke selbst erkannten exilisch-frühnachexilische Deuteronomisten »in den vermutlich mehr po­litisch orientierten Maßnahmen erste Anhaltspunkte für ihr nun ausschließlich theologisch begründetes Programm der Kultuseinheit und Kultusreinheit« (9).
Unter der Überschrift »Die Restauration des Tutanchamun als Reaktion auf Echnaton« (17–39) bemüht sich L. Popko, das Bild der Zeit Echnatons wie ihres Nachspiels zu präzisieren: Die Reformen Echnatons seien weniger radikal ausgefallen, als ihr Image es ihnen nachsagt; mitunter hätten sie sogar ausgesprochen konservative Züge getragen. Umgekehrt sei auch die anschließende Restauration nur in Schüben erfolgt. – »Reformen in der griechisch-römischen Antike?«, lautet die Frage von B. Meißner (41–70). Die Durchsicht einschlägiger Akteure (Solon, Kleisthenes, Ephialtes, die Gracchen) liefert ein ernüchterndes Ergebnis: Zwischen den – oft wenig erhabenen – Zielen dieser Männer und ihrer historischen Wirkung liege meist eine tiefe Kluft; zu Reformen verwandelt hätten sich ihre Maßnahmen erst durch ganz unbeabsichtigte Konsequenzen oder in der systematisierenden Retrospektive: »Reformen zu Reformen machen demnach Traditionsbildner, Geschichtsschreiber und Geschichtswissenschaftler« (63), weswegen Historiker zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit dem Terminus aufgerufen seien.
Perserzeitliche Kultreformen in Mesopotamien und Juda vergleicht A. Berlejung unter dem Titel »Innovation als Restauration in Uruk und Jehud« (71–111). Während damals in Uruk der Himmelsgott Anu die Suprematie über Ištar errang, habe sich in Juda vor allem der bildlose monotheistische Kult Jhwhs in Jerusalem durchgesetzt. Die beiden Prozesse folgten gleichartigen Grundmustern: »Die Reformen in Uruk und Jehud … stellten sich als Rekonfiguration bekannter Strukturen aufgrund neuer Standards dar. ›Window of opportunity‹ war in beiden Fällen jeweils die Unterbrechung des traditionellen Kults eines zentralen Stadttempels … und seine anschließende Wiederaufnahme.« (102 f.) Dazu wird reiches Material ausgebreitet, bei dem man indes bisweilen zweifelt, ob es zu Recht als Ausweis von Kultreformen zu werten ist. Bei der Wiederinbetriebnahme eines Tempels etwa war die traditionsbasierte Legitimation auch ohne begleitende Kultreform erwünscht. Wenn sich ferner die Prozesse über volle zwei Jahrhunderte hinzogen (105), fragt man sich, ob man statt von Reform besser von normalem religiösem Wandel sprechen sollte.
In seinem Beitrag »Das Deuteronomium als Reformprogramm?« betont U. Rüterswörden (113–126), dass das Dtn aufgrund seines programmatischen Charakters zwar utopische Züge trage, in der Hauptsache aber eine durchaus reale Neuordnung der Gesellschaft angestrebt habe, die vom Ideal sozialer Gerechtigkeit und nicht allein von kultischen Interessen getragen gewesen sei. Zusätzlich fördere eine allerdings recht hypothetische Ergänzung und Interpretation des Lachisch-Ostrakons 4 »den Eindruck …, dass am Ende des Staates Juda Regelungen in Kraft waren, wie sie das Deuteronomium gebietet« (125). B. Ziemer analysiert »Die Re­form Hiskias nach der Chronik« (127–149) und sucht zu zeigen, dass der Chronist seinen detaillierten Bericht von der hiskia­nischen Reform nach erkennbarer Logik aus den dürftigen Nachrichten der Königsbücher herausgesponnen habe entsprechend seinem Ziel, die dort zitierte »Chronik der Könige Judas« (128) zu rekonstruieren: »Der Chronist hat eine Kultreform Hiskias be­schrieben, … weil diese Reform seiner Ansicht nach alle historische Plausibilität für sich hat.« (148) Das denkbare Motiv, die Diskrepanz zwischen der Heroisierung Josias und seinem soteriolo­gischen Scheitern in Kön zu vermeiden, kommt nicht zur Sprache. Der Artikel »Reformen in Jehud im 5. Jahrhundert v. Chr. – Esra oder Nehemia?« von Th. Willi (151–174) untersucht in komplexer Argumentation die Effekte der Vorschaltung der Esra-Überlie­ferung vor die Nehemia-Schrift. Wenn ich die These richtig ver­- stehe, sollten damit in einer zukunftsweisenden Interpretation die Leistungen des »Tyrannen Nehemia« (172) in den Stammbaum der priesterlichen und pharisäischen Traditionen integriert werden.
Abschließend beschreibt G. Veltri »Esra als ›Reformator‹ in der klassischen Literatur des Judentums« (175–186): Während »der große Reformator Esra für das Christentum kaum eine Rolle spielt« (185), hat »das rabbinische Judentum in Esra den Stifter gesehen, der die eigene (rabbinische) Tätigkeit rechtfertigte« (184).
Die Spannbreite der Themen in diesem Band ist naturgemäß groß. Wer zu Reformen im Alten Testament oder der Antike im Allgemeinen arbeitet, wird darin viele weiterführende Anregungen finden.