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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1034-1037

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Andreas

Titel/Untertitel:

Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010. 203 S. m. Abb. u. Tab. gr.8°. Kart. EUR 24,95. ISBN 978-3-579-08095-6.

Rezensent:

Ute Neumann-Gorsolke

Mit diesem 200 Seiten umfassenden »Essay« führt der Berner Alt­-testamentler Andreas Wagner seine Studien zu Themen alttestamentlicher Anthropologie, insbesondere zu Körperbegriffen und -vorstellungen, fort mit dem Ziel, »die alttestamentliche Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes unter den heutigen Er­kenntnismöglichkeiten über altorientalisch-antike Bilder und Körpervorstellungen zu erschließen« (9). W. beschränkt sich in seiner Untersuchung auf die »äußere Gestalt, das (sehbare/optische) ›Bild‹ Gottes«, das »der menschlichen Gestalt, dem (sehbaren/optischen) ›Bild‹ des Menschen« entspreche (13).
Daher rückt W. allein den Anthropomorphismus ins Zentrum der Untersuchung, verweist aber für Anthropopathismen und An­thropopragmatismen auf weitere Untersuchungen. Grundlegend ist für W., dass die »Eigenart materialer Bilder … mit denen sprachlicher Bilder« konvergiert (14); daher müssten materiale Bilder (Flachbild/Rundbild) für die Untersuchung zum Anthropomorphismus stärker berücksichtigt werden. Des Weiteren will W. »Gottes äußere Gestalt im Spannungsfeld neuerer Bilder- und Körperforschung« (14) verorten, dokumentiert seine Kenntnis von gegenwärtigen disziplinübergreifenden Forschungsfeldern jedoch nur in Literaturangaben (s. Fußnoten 4–7), ohne deren Ergebnisse reflektierend aufzunehmen bzw. seine eigene Begrifflichkeit zu konturieren. Dieses hermeneutische und methodische Defizit be­lastet die Darstellung u. a. insofern, als die oft wechselnde Begrifflichkeit (Körper Gottes/Gottesbild/Körperbild Gottes/Sprachbild Gottes/sprachliches Bild der äußeren Gestalt Gottes/nicht-sprachliches Bild/Sehbild/Denkbild/mentales Bild/sprachliche Großbilder u. a.) nur unzureichend konzeptionell aufeinander bezogen werden. Der Körperbegriff, für den es im Hebräischen kein Äquivalent gibt, erschöpft sich letztlich in der Gleichsetzung mit »äußere Gestalt«, während für das Bild/sprachliche Bild (vom Körper) lediglich die kulturell bedingte »Gestaltungsauffassung«, die seiner Funktionalität geschuldet ist, ins Zentrum gerückt wird.
Nach seinen einleitenden Überlegungen entfaltet W. die Darstellung in sechs weiteren, sehr unterschiedlich ausdifferenzierten Kapiteln: Nachdem er in einem kurzen zweiten Kapitel die Erwähnungen von Körperteilen tabellarisch für Mensch und Gott einander gegenübergestellt hat und zu dem Schluss gekommen ist: »Ein sprachliches Bild ist vom Körper des Menschen wie das vom Körper Gottes im AT belegt« (40), und vor dem Hintergrund des theologischen Ringens um den Anthropomorphismus nochmals die Bedeutung des »neuen« Verständnisses von Körperlichkeit und Bild für diese Frage (Kapitel 3) hervorgehoben hat, wendet er sich in den beiden Kapiteln 4 und 5, die mit 110 Seiten den Hauptteil des Buches ausmachen, den spezifischen Bild- und Körperauffassungen im Alten Orient und Alten Testament zu: Im Rückgriff u. a. auf Forschungen von H. Schäfer, E. Brunner-Traut, O. Keel und H. W. Wolff, erläutert W. die Gestaltungsprinzipien materialer Bilder (gradlinig-vorstellige Darstellungsweise; Aspektive; intellektueller Realismus/Denkbilder) sowie die Funktionsbedeutung (statt Formaussagen) von Körper- bzw. Körperteilbildern (synthetisches Denken).
Als Ergebnis kann er formulieren: Materiale und sprachliche Körperbilder konvergieren in der Reduktion auf wenige typische Körperteile, der funktionalen Bedeutung der Körperteile und der Orientierung an Idealkonzepten, die als konventionell und konservativ anzusehen sind. Diese Eigenarten gelten nach W. auch für »sprachliche Großbilder« (99), denn da es im Alten Testament kein Gesamtbild vom Körper Gottes gebe, baue sich dieses erst durch die Gesamtlektüre auf.
Die »theologische Aussage« von »Gottes Körper« (Kapitel 5) wird anschließend anhand einer erneuten (!) Auflistung alttestamentlicher Körperbegriffe für Mensch und Gott und der Entfaltung ihrer jeweiligen synthetischen Bedeutungsspektren ausführlich dargelegt: Das alttestamentliche Körperbild von Gott erweist sich nach W. als ein symbolisches: Es sei keine photorealistisch visuell-körperliche Wiedergabe der »Form/Person« Gottes (156), sondern sei funktional zu verstehen; die verwendeten Körperbegriffe betonten Handlung und Kommunikation Gottes, die denen der Menschen entsprechen, »aber die Fähigkeiten Gottes gehen weit über die menschlichen Fähigkeiten … hinaus; sie sind eben göttlich und nicht menschlich« (157). Gott bleibe so nahbar, kommunizierbar und wirkmächtig, aber auch unverfügbar und wahre seine Gottheit, da er sich einer geschlechtlichen Zuordnung verweigere.
Völlig unvermittelt fügt W. vor der Schlusswürdigung das Kapitel 6 »Das Bild Gottes und der Mensch als Gottes Ebenbild im AT« (167–181) ein (vgl. aber den Beitrag in der Festschrift Jenni 2007) und bietet eine Auslegung der Gottebenbildlichkeit, insbesondere von Gen 1,26 f., die W. zu den »›Zusatzvorstellungen‹, die P über das reine Erschaffen des Menschen thematisiert« (165), rechnet. Sein Fo­kus liegt auf den Bildtermini säläm und demut (die Arbeitsübersetzung auf S. 169 unterschlägt ein wichtiges säläm Elohim und nivelliert die Semantik der Präpositionen), die als Merismus das re­präsentative Abbildhafte und gleichartige Gestalthafte des Menschen zum Ausdruck bringen. Die Gleichartigkeit der Gestalt sei aber vom synthetischen Denken her zu verstehen. »Was eigentlich ausgesagt werden soll, ist eine Gleichartigkeit, die darauf zielt, dass Gott und Mensch gleichartig (nicht identisch!) hinsichtlich ihrer Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten (s. o.) sind« (179). Erst »muss die Kommunikation zwischen Gott und Mensch klappen« (181), dann kann der Mensch auch seinen Herrschaftsauftrag wahrnehmen. Die Übereinstimmung, die W. hier zwischen Gottebenbildlichkeit und »Körper- bzw. Funktionsbild von Gott und Mensch« festzustellen meint, ist jedoch weder von der Begrifflichkeit noch vom Textzusammenhang her ge­rechtfertigt: Weder lässt der Bildbegriff demut einen Bezug zu Körper(teil)begriffen und funktionalen Zuschreibungen zu noch zu Kommunikationszusam­menhängen: Vielmehr ist der Mensch hier und in anderen priesterlichen Texten allein Empfänger des göttlichen Wortes/Be­fehls. Eine »Gleichartigkeit des Körper- bzw. Funktionsbildes von Gott und Mensch« (181) kann aus Gen 1 kaum geschlossen werden.
Im kurzen Schlussteil formuliert W. »die theologische Bedeutung des alttestamentlichen Redens von Gottes Körper« (183), die er als »Körpertheologie« bezeichnet. Deutlich wird in dieser Zu­sam­menfassung erneut, dass W.s symbolisches Körperverständnis sich in den Funktionen der Körperteile erschöpft, »ohne dass eine visuelle Gestaltvorstellung damit verbunden ist« (183). Dagegen sieht W. es als besondere Leistung an, dass es dieser Körpertheologie gelinge, das mentale Bild vom Körper Gottes beizubehalten und gleichzeitig das Bilderverbot im Sinne eines Kultbildverbots zu denken sowie einen strikten Monotheismus durchzuführen. Wie fehlende visuelle Gestaltvorstellung sich mit dem »(mentale[n]) Bild vom Körper Gottes« (188) vereinbaren lässt, wird nicht reflektiert.
Der Versuch, das Phänomen der anthropomorphen Rede von Gott vor dem Hintergrund altorientalischer und alttestamentlicher Bild- und vor allem Körpervorstellungen in allgemeinverständlicher Sprache zu erläutern, ist zu begrüßen – wie auch die Unternehmung, die unserem Verständnis fremden Seh- und Ge­staltungsprinzipien und das den alttestamentlichen Körperbegriffen eigene synthetische Denken ausführlich darzulegen, wenngleich die Ausführungen in den Kapiteln 4 und 5 kaum neu sind. Allerdings hält das Ergebnis, dass »Kommunikation und Handlung« das Körper- bzw. Funktionsbild Gottes ausmachen, dem Dis­kurs gegenwärtiger Bild- und Körperkonzepte nicht stand und vernachlässigt u. a. die Betonung der sozialen Funktion des Körpers: Diese hätte die soziomorphe Gestalt JHWHs und seine Handlungen – JHWH als König (Jes 6) bzw. als Elternteil (Hos 11) – konzeptionell verbunden. Damit wird letztlich auch die Frage virulent, ob die methodische Entscheidung, sich allein der gestalthaften Seite der Gottesdarstellung zuzuwenden und die Körperteilfunktionen an­hand von Einzelbelegen, nie aber in einem Textzusammenhang zu analysieren, einer »Körpertheologie« gerecht werden kann.
Für die angekündigten Studien zu Anthropopragmatismus und Anthropopathismus wären daher vertiefte hermeneutische und methodische Grundlegungen wünschenswert.