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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1029-1030

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

LeMon, Joel M.

Titel/Untertitel:

Yahweh’s Winged Form in the Psalms. Exploring Congruent Iconography and Texts.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. XIV, 231 S. m. Abb. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 242. Lw. EUR 61,95. ISBN 978-3-7278-1670-3 (Academic Press Fribourg); 978-3-525-54364-1 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Florian Lippke

Die alttestamentliche Wissenschaft ist in Bezug auf traditions- und religionsgeschichtliche Fragestellungen im Aufbruch begriffen. Einen substanziellen Anteil hieran haben auch die seit 30 Jahren von O. Keel vorgelegten Studien zur Ikonographie der südlichen Levante und der benachbarten (Hoch)kulturen. Es ist somit erfreulich, dass nun vermehrt Qualifikationsarbeiten vorliegen, welche die neuen Ansätze bzw. Impulse aufgreifen und diese auch in ihre Analysen mit einbeziehen: Deutliche Beispiele für diese Tendenz stellen neben dem hier rezensierten Werk Strawn 2005 (OBO 212) und de Hulster 2009 (FAT II–36) dar. Für eine gelungene Integration ikonographischer und philologischer Ansätze kann zudem auf Kutter 2008 (AOAT 346) verwiesen werden.
Das hier vorzustellende Werk von Joel M. LeMon reiht sich nahtlos in die skizzierte Linie ein, fokussiert es doch ein textlich wie bildlich belegtes Motiv (geflügelte Gestalt Gottes). Text und Bild auf Kongruenzen und Interpretationssynergien hin zu untersuchen, ist erklärtes Ziel der Abhandlung. Die Monographie stellt eine Überarbeitung der Qualifikationsschrift (PhD, Emory University, 2007) des Vf.s dar. Sie gliedert sich (neben Vorwort [XI f.], Abkürzungsverzeichnis [XIII f.], Abbildungsteil [195–209], Literaturverzeichnis [211–224] und Indizes [225–231]) in neun Hauptkapitel: Während Kapitel 1 in vielerlei Hinsicht als Einleitung fungiert (Hindernisse bei der Erforschung, ikonographische Method(ologi)en und Kontextualisierungen, 1–25), bietet der Vf. in Kapitel 2 eine detaillierte Typologie der Flügel-Ikonographie Syrien/Palästinas mit Beispielen aus der prähellenistischen Bildkunst (27–58). Im Besonderen ist hier auf die vorgestellte Klassifizierung (27 f.) zu verweisen, welche die diskutierten Fundstücke (Stempel-, Rollsiegel, Reliefs, Statuen u. a.) sinnvoll systematisiert. Der Vf. untersucht ikonographisch neben Vogelflügeln (Raubvögel, Falken, Tauben, Strauße etc., 28–38) auch Flügeldarstellungen bei Mischwesen (Sphingen, Uraei, Käfer, Dämonen, Genien, 38–50) und geflügelten Gottheiten (anthropomorphe geflügelte Sonnenscheibe, sowie geflügelte maskuline und feminine Gottheiten, 50–58). Die Kapitel 3–8 sind, entsprechend dem Gesamttitel, der Analyse sechs ausgewählter Psalmen (Pss 17.36.57.61.63.91) und den darin enthaltenen Flügelvorstellungen gewidmet. Ein Fazit (9. Conclusion) bündelt die Ergebnisse zu einem kohärenten Gesamtbild.
Im Rahmen der Einzelanalysen (Kapitel 3–8) verfährt der Vf. konsequent nach einem Schema, das sukzessive Übersetzung (1.), literarische Analyse (2.) und die Frage nach ikonographischen Kongruenzen behandelt (3.). Am Ende eines jeden Kapitels zieht der Vf. ein Zwischenfazit (4.).
Mit dem Terminus iconographic congruencies ist ein Zentralelement in der Analyse des Vf.s angesprochen. Der Vergleich zwischen Text (Psalm) und Bild (aus Palästina/Israel, dem Vorderen Orient) steht für ihn im Vordergrund. Zugleich löst er ein, was Bildforscher seit Langem fordern, nämlich die Berücksichtigung des Kontextes. Gemeinhin ist das erklärte Ziel einer solchen Herangehensweise die Erhebung des religiösen Symbolsystems; beim Vf. bleibt das Ziel (fast ausschließlich!) die Interpretation des Psalms in seiner Endgestalt (vgl. hierzu auch 1.3 »Utilizing [!] Iconographic Evidence«).
Das ikonographische Material zu den ausgewählten Psalmen wurde sinnvoll selektiert und zeigt, wie intensiv der Vf. Vergleichsstücke recherchiert hat. Gleichsam ist darauf hinzuweisen, dass eine deutlichere Differenzierung zwischen den jeweiligen Herkunftsorten, Kulturkreisen und Zeiten hätte beachtet werden müssen: Fundstücke aus Megiddo (hier: 13. Jh.), Nimrud (hier: 8. Jh.) und Idalon (hier: 7. Jh.) sind nicht unmittelbar miteinander gleichwertig zur Erklärung des 17. Psalms heranzuziehen (92 ff.).
Zweimal (111 f.192 f.) schlägt der Vf. vor, die unterschiedlichen Aussagekonstellationen mit der Vorstellung einer »Kippfigur« zu verstehen. Dieses Erklärungsmodell stimmt natürlich mit der Idee »ein Bild – zwei Aussagen« überein, allerdings sollte an den notwendigen Punkten die ägyptisch-altorientalische Kunstgeschichte mit einbezogen werden: Diese kennt mit der sog. »Aspektive« eine genuine Abbildungskonvention, die mehrere Ansichten in sich vereint und damit eine perspektivische Engführung vermeidet. Dass also durch ein Bild mehrere Ansichten ausgedrückt werden können, ist für die prähellenistische Antike nicht überraschend. Was für Bilder gilt, ist in diesem Fall auch für Texte nachweisbar. Aus diesem Grund muss des Vf.s Kippfigur-Vergleich gerade wegen seiner anachronistischen Tendenz ein wenig relativiert werden; allerdings sollte deshalb das kreative Potential seines Vorschlages keine Abwertung erfahren.
Der Vf. hat mit seiner Studie eine sinnvolle Integration der ikonographisch-religionsgeschichtlichen Analyse in den Bereich der alttestamentlichen Exegese demonstriert. Zugleich ist damit ein Plädoyer ergangen zugunsten einer Interpretation, die neben der genauen philologischen Arbeit auch den Bildern ihr Recht einräumt, gesehen zu werden (Corrigenda und Literatur unter http://bit.ly/iR54vO).