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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1024-1025

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Spectorsky, Susan A.

Titel/Untertitel:

Women in Classical Islamic Law. A Survey of the Sources.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2010. X, 223 S. gr.8° = Themes in Islamic Studies, 5. Lw. EUR 96,00. ISBN 978-90-04-17435-1.

Rezensent:

Christine Schirrmacher

Susan Spectorsky hat es sich zur Aufgabe gemacht, Auffassungen einflussreicher muslimischer Gelehrter vom 7.–12. Jh. n. Chr. zur Rechtsstellung der Frau zusammenfassend darzustellen. Dieser Zeitraum ist deshalb so interessant, weil mit der Entstehung der vier sunnitisch-islamischen Rechtsschulen und einem gewissen Endpunkt der Methodensuche zur Rechtsfindung bis zum 10. Jh. wesentliche Leitlinien des Schariarechts bis heute festgelegt wurden. Zum Schariarecht gehört außer dem Strafrecht vor allem das Ehe- und Familienrecht. Von daher hat die Auslegung von Koran und Überlieferung durch maßgebliche Theologen – wie die hier dargestellten – bis heute weitreichenden Einfluss auf heutige Stellungnahmen muslimischer Theologen zum Thema »Frau«.
Da sich Muhammad in Medina nicht nur als Prediger und Gesandter, sondern auch als Gesetzgeber verstand, ist die islamische Theologie und Jurisprudenz von Anfang an aufs Engste mit dem nachzuahmenden Vorbild und der »Gewohnheit« Muhammads (der sunna) verzahnt, denn jede nach Muhammads Tod aufkommende Frage – auch die der Frauenrechte – orientierte sich an Lehre und Praxis der frühislamischen Gemeinschaft.
Warum ist es so schwierig, qualifizierte Aussagen zur Stellung von Frauen im islamischen Recht zu treffen? Der Grund liegt in der Not­wendigkeit, sich durch umfangreiche arabisch-juristische Kom­pendien der Frühzeit hindurchzuarbeiten. S. versetzt den Leser, der diesen Weg nicht beschreiten kann, durch die Zusam­menfassung der Aussagen maßgeblicher Theologen aus einem Zeitraum von fünf Jahrhunderten in die Lage, indirekt Zugang zu diesen Quellen zu erhalten. Damit ist, wie das Vorwort betont, zwar noch nichts über die damalige Lebenswirklichkeit von Frauen ge­sagt; dennoch ist an den geschilderten Rechtsfragen ablesbar, welche Themen überhaupt diskutiert wurden und in welchem Duktus dies geschah.
S. konzentriert sich im Wesentlichen auf die Rechtsdiskussionen der Regelungen zu Heirat und Scheidung und damit in Zusammenhang stehende Fragen wie das Entscheidungsrecht der Frau in Heiratsangelegenheiten, Brautgabe und Polygamie, Zeit- und Sklavinnenehe, Witwen- und Erbrecht, Kindschaftssorgerecht und Zeugenrecht sowie das Strafrecht in Bezug auf Unzucht und Ehebruch und die Frage der angemessenen Kleidung für Frauen.
Auch kritische Anmerkungen gehen angesichts dieser im Wesentlichen juristischen Materie nicht verloren, die auch im Hinblick auf moderne Diskussionen über die Rechte von Frauen manche Perspektiven eröffnen: So arbeitet S. heraus, dass die islamische Rechtswissenschaft die Brautgabe zwar nicht als »Kauf« der Frau interpretiert, aber die Brautgabe unisono als Gegenleistung für den ungehinderten Zugang des Mannes zu den Geschlechtsorganen der Frau versteht: Ist sie gegen seinen Willen außer Haus oder widerspenstig und verweigert den Verkehr, ist er berechtigt, seinen Unterhalt einzustellen.
Ebenso zeigt S., dass die frühe islamische Rechtswissenschaft für Frauen eindeutige Verhaltenskodizes definiert (wie z. B. die dem Ehevertrag zugrunde liegende unbedingte Gehorsamspflicht der Ehefrau gegen ihren Ehemann), die in Anlehnung an Sure 4,34 notfalls mit Druck (Entzug von Gemeinschaft) oder sogar körperlicher Gewalt (»leichte« Schläge) erzwungen werden darf. Dem Mann kommen zwar ebenso Pflichten zu (wie die des Unterhaltes) sowie Anweisungen (wie etwa, seine Frau gut zu behandeln), dies sind aber vor allem im letzten Fall lediglich Appelle, deren Nicht-Beachtung allenfalls bei groben Verstößen (schwere Misshandlung der Frau) und nur bei günstiger gesellschaftlicher Position der Frau gerichtlich einklagbar sind.
Aufgrund der Tatsache, dass diese normativen Auslegungen des Ehe- und Familienrechts der Scharia bis heute keine wesentliche Überarbeitung erfahren haben, wird deutlich, dass nicht die koranischen Bestimmungen des 7. Jh.s für die Begründung heutiger Frauenrechte an sich problematisch sind, wohl aber die Tatsache – bei gleichzeitiger praktischer Außerkraftsetzung dieser Bestimmungen im Leben vieler Musliminnen heute –, dass die Befolgung dieser Schariabestimmungen vom Mainstream muslimischer Theologen nach wie vor grundlegend bejaht bzw. angemahnt wird.
Grundsätzlich ist S.s Untersuchung gerade aufgrund der Quellenverarbeitung nicht nur für Islamwissenschaftler, sondern auch für Historiker, Religionswissenschaftler oder Theologen von Interesse. Allerdings wird sie vermutlich aufgrund der zahlreichen (auch arabischen) Fachtermini sowie der beim Leser vorausgesetzten Kenntnis der frühislamischen Geschichte und des Schariarechts wohl doch vor allem von Islamwissenschaftlern genutzt werden können. Verdienstvoll ist solch eine quellenbezogene Standortbestimmung islamischer Theologie und Jurisprudenz der ersten fünf Jahrhunderte allemal.