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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1018-1020

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hünseler, Peter, u. Salvatore Di Noia [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirche und Islam im Dialog. Europäische Länder im Vergleich.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2010. 302 S. gr.8°. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-7917-2216-0.

Rezensent:

Klaus Hock

Die »Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle« (CIBEDO) feierte 2008 ihr 30-jähriges Bestehen. Eine aus diesem Anlass durchgeführte Konferenz, auf der hochkarätige Vertreter aus Kirche, Politik und Gesellschaft vertreten waren, bildete die Grundlage für diese Veröffentlichung, in der die seinerzeit lediglich 15-minütigen Impulsreferate in ausgearbeiteter Form vorliegen. Die Besonderheit der Publikation liegt nach Aussage der Herausgeber darin, dass explizit nicht der Islam und die Muslime in Europa thematisiert werden, sondern der christlich-islamische Dialog selbst.
Die Einleitung erinnert zunächst an die für den christlich-islamischen Dialog auf katholischer Seite bedeutsamsten Voraussetzungen und skizziert in aller Kürze die Entwicklung von Nostra Aetate bis Papst Benedikt XVI. Dabei wird angemahnt, dass die – insgesamt als positiv eingeschätzte – Bilanz »nur gesichert werden [kann], wenn er bis auf die Ebene der einzelnen Gläubigen, bis weit in das gesellschaftliche Zusammenleben vertieft wird« (21). Dies stellt sich in Europa allerdings äußerst unterschiedlich dar, wobei der nationale Rahmen nach wie vor als prägende Größe von Bedeutung ist, was auch im Aufriss des Bandes in Gestalt von Länder-Fallstudien (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Bosnien und Herzegowina sowie Österreich) zum Ausdruck kommt. Eine erste Einschätzung der Situation wird ebenfalls be­reits in der Einleitung gegeben: mit dem Hinweis auf tragfähig ausgebaute Dialogstrukturen in Frankreich und Deutschland, auf vielversprechende Ansätze in Italien und Österreich, auf die von der Anglikanischen Kirche und Institutionen in freier Trägerschaft befindlichen, komplex vernetzten Dialog-Initiativen in Großbritannien, aber auch mit Hinweis auf erst ansatzweise vorhandene Bemühungen in anderen Ländern.
Drei Festvorträge sind den einzelnen Beiträgen vorangestellt, die aus römisch-katholischer Gesamtsicht (durch den Präsidenten des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog Jean-Louis Kardinal Tauran), aus europäischer, genauer: deutscher Perspektive (durch den damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Karl Lehmann) und aus spezifisch politischem Blickwinkel (durch Wolfgang Schäuble, seinerzeit Innenminister der Bundesrepublik Deutschland) die Thematik beleuchten. Dabei ist auffällig, dass Kardinal Tauran die Frage der Mischehen recht prominent in den Vordergrund rückt, dass Kardinal Lehmann sehr auf die Arbeit CIBEDOs fokussiert und dass Wolfgang Schäuble auf – bei aller Flexibilität des deutschen Religionsverfassungsrechts – noch offene religionsrechtliche Fragen verweist. Damit werden unterschiedliche Akzente deutlich, die sich sowohl aus der institutionellen Verankerung der Festredner ergeben als auch ein Stück­weit widerspiegeln, was ihr je eigenes persönliches Engagement in dieser Sache ausmacht.
Der Hauptteil des Bandes beginnt gleich mit zwei Beiträgen über den christlich-islamischen Dialog in Deutschland: einem kurzen von Thomas Lemmen (über den Beitrag christlich-islamischer Vereinigungen für den christlich-islamischen Dialog) und einem ausführlicheren, analytischen von Hansjörg Schmid – seines Zeichens selbst seit vielen Jahren im theologischen Dialog aktiv engagiert –, der unter der Frage der (A-)Symmetrie des Dialogs nach Möglichkeiten, Bedingungen und Perspektiven für einen Dialog »auf Augenhöhe« Ausschau hält. In seiner Analyse, die u. a. eine Zusammenstellung gewichtiger Gesichtspunkte enthält, in denen die Problematik der Asymmetrie des Dialogs besonders virulent wird, kommt er zu dem Schluss, dass es nicht möglich ist, diese Asymmetrien aufzuheben. Doch: »Dialog auf Augenhöhe kann je­doch zu einem fairen Umgang mit Asymmetrien beitragen« (88).
Hier können nur in wenigen Stichpunkten einige auffällige Aspekte der Länderbeiträge hervorgehoben werden, auf die sich die durchweg reflektierten und der komplexen Situation angemessenen Beschreibungen selbstverständlich nicht reduzieren lassen; sie alle enthalten einen Überblick über die verschiedenen Dialogvorhaben und geben eine fundierte Einschätzung der jeweiligen Situation, setzen jedoch noch je eigene Akzente: Jean-Marie Gaudeul (Frankreich) legt den Finger in die Wunde der Widersprüchlichkeit unterschiedlicher kirchlicher Stellungnahmen zum Islam, die unter den Dialogpartnern bisweilen erhebliche Irritationen auslösen. Damian Howard verweist auf die Möglichkeit einer – nicht unproblematischen – »neuen Allianz« zwischen Islam und Moderne auf der Grundlage eines von beiden Seiten vertretenen, leichter nachvollziehbaren und deshalb einfacher miteinander vermittelbaren (da im Vergleich zum Christentum weniger komplexen) Modells religiöser Vielfalt. Francesco Zannini (Italien) bemängelt die defizitären Kenntnisse der Italiener über den Islam und unterstreicht die Notwendigkeit, im Dialog gerade Widersprüche zwischen den Glaubensgemeinschaften in Lehre und Glaubenspraxis nicht zu nivellieren. José Luis Sánchez Nogales (Spanien) stellt ein konzises Phasenmodell des christlich-islamischen Dialogs und seiner thematischen Schwerpunkte vor, wobei er auf mehrere neuralgische Punkte verweist – so etwa die einseitige Verherrlichung der andalusischen muslimischen Kultur, die mit Polemiken gegen die katholische Kirche einhergeht, oder die im Windschatten der gegenüber nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften fortschrittlichen Religionspolitik von einigen muslimischen Gruppen erhobenen aggressiven Forderungen wie z. B. die nach der Öffnung der Mezquita von Córdoba für das islamische Gebet. Niko Iki, der seine Darstellung als einen »potentiellen« Beitrag aus Bosnien und Herzegowina bezeichnet, zeichnet ein komplexes Bild der widersprüchlichen Situation im Land, sieht aber in der möglichen Entwicklung einer »interreligiösen Theologie« eine hoffnungsvolle Option, die sich auf der Grundlage eines offen, wahrhaft und aufrichtig geführten Dialogs entwickeln kann. Und Elisabeth Dörler (Österreich) beobachtet die Transformation von einem bosniakischen in einen österreichischen Islam als Prozess, der bei aller Schwierigkeit – so u. a. in Gestalt extremer interner Spannungen und Widersprüche unter den muslimischen Gläubigen, die jedoch auch unter den christlichen Gläubigen sowie in Hinsicht auf den christlich-islamischen Dialog selbst ihr Pendant finden – zu den notwendigen Differenzierungen führen wird, derer es für die gegenseitige Wahrnehmung und das friedliche Zusammenleben bedarf.
Thomas Specker unternimmt abschließend die schwierige Aufgabe, das komplexe und disparate Material in einer kurzen Zusammenfassung zu sichten. Zielsicher identifiziert er den Streit um die Interpretation der Geschichte Andalusiens und Bosnien-Herzegowinas als Beispiel für ein grundlegendes Desiderat im christlich-islamischen Dialog, nämlich »dass der unterschiedliche Bezug auf die geteilte Geschichte bisher wenig zum Thema geworden ist« (288), was seinerseits symptomatisch dafür ist, dass sich die Entdeckung vermeintlicher Gemeinsamkeiten allzu oft als Projektion der eigenen Binnensicht erweist.
Das Buch gibt einen guten Überblick über die Situation des christlich-islamischen Dialogs – nein, es muss heißen: des rö­misch-katholisch-islamischen Dialogs. Diese Beschränkung ist durchaus legitim, hätte in dem Band jedoch deutlicher herausgestellt werden können. Andererseits zeichnet sich ab, dass nicht wenige der Dialoginitiativen auf christlicher Seite durchaus auch eine interkonfessionelle Dimension haben. Dem Rahmen des Anlasses mag es auch geschuldet sein, dass der Blick auf die Situation in den verschiedenen Ländern sowie auf die in dem Band versammelten Berichte keine weiteren, über die durchaus offen genannten Defizite hinausgehenden (selbst)kritischen Analysen vornimmt. Es wäre durchaus lohnend gewesen, dem sich aufdrängenden Eindruck nachzugehen, dass dort, wo christlich-islamische Dialogkulturen inhaltlich und strukturell am wenigsten entwi­ckelt sind, der vorfindliche Katholizismus viel stärker selbstreferentiell ausgerichtet ist als in jenen Ländern, wo sich der Umgang mit kultureller Vielfalt und religiöser Pluralität wie auch die Ausformung der eigenen Glaubenspraxis und Lehre liberaler, weniger dogmatisch und dadurch souveräner gestalten – was sich jeweils auch in den entsprechenden Länderberichten niederschlägt. Das mag als Binsenweisheit erscheinen, führt jedoch recht deutlich vor Augen, dass die von anderer Seite öfter beschworene Besinnung auf die eigenen Traditionen, die eigene Identität, die eigene Glaubensgewissheit etc. vielleicht doch eher einen Rückzug hinter liebgewonnene Festungsmauern markiert als das Bemühen um eine offene Begegnung in einem pluralen Umfeld – mit all seinen Unwägbarkeiten.