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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

189 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Friedlander, Albert H.

Titel/Untertitel:

Das Ende der Nacht. Jüdische und christliche Denker nach dem Holocaust. Aus dem Engl. übers. von S. Denzel u. S. Naumann.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 1995. 336 S. gr. 8o. geb. DM 78,­. ISBN 3-579-02076-5.

Rezensent:

Gerhard Begrich

Die englische Originalausgabe erschien bereits 1993 in London, wo der Rabbiner Albert H. Friedlander lebt und lehrt, unter einem anderen, dem Inhalt des Buches besser zugehörendem Titel: "Riders Towards the Dawn. From ultimate suffering to tempered hope", während der deutsche Titel ein Ende jener Finsternis anzuzeigen scheint, in der wir alle aber noch stehen, gehen und suchen. Der Vf. bemerkt sogar ausdrücklich, "daß wir alle etwas von dieser Finsternis in uns tragen, gleichgültig, wie unser Leben verlaufen ist" ( 315). Andererseits mußte "dieses Buch ins Deutsche übersetzt werden, weil es eigentlich in Deutschland gedacht und erlebt wurde". In der Vorbemerkung zur deutschen Ausgabe zitiert der Vf. den Prediger Salomonis (Qoh1, 4): "dor holech ­ dor ba; da olam ommedet la-at", was Leo Baeck so übertragen hat: "Eine Generation kommt, und eine geht; aber die Welt besteht ewig", was er aber so ausgelegt hat: "Eine Welt vergeht, eine andere Welt kommt, die Geschlechter aber ­ die Menschheit ­ bleiben immer bestehen", was in diesem Buch zweimal zitiert wird (16. 313). Zu dieser Interpretation und dieser Hoffnung paßt nun der deutsche Titel besser, der um die Finsternis weiß, aber das Ende der Nacht gekommen sieht. So werden denn auch die jüdischen und christlichen Denker, die sich der Herausforderung durch den Holocaust gestellt haben, wenn anders sind sie der Beachtung nicht wert (in Zusammenhang wird zustimmend J. B. Metz zitiert: "Eine christliche Theologie, die sich nicht mit Auschwitz beschäftigt hat, ist des Zuhörens nicht wert."), als "Reiter in der Morgendämmerung" verstanden, die in das Morgen aber erst hineinreiten. Es bleibt und es ist noch viel zu tun, "bevor der Morgen heraufdämmert und wir am Ziel unseres Weges sind, doch wie immer ist auch hier der Weg so wichtig wie das Ziel." Dieser Weg und dieses Ziel liegen in einer Welt, die auf Auschwitz erbaut ist und "die ohne dieses Wissen nicht verstanden werden kann". Und: "Auschwitz liegt in Deutschland, ganz gleich, wo seine geographische Lage ist." ­ wir bedürfen im Besonderen dieses neuen Tages, um gemeinsam in die Morgendämmerung zu reiten, derer die Welt so dringend bedarf. Zu diesen Reitern und Wegbegleitern gehören Juden, Christen, Moslems und Heiden, die gemeinsam eine neue Sprache lernen und lehren müssen, denn der Kelch des Leidens ist übervoll: nach Auschwitz darf und kann nicht so geredet werden wie vor Auschwitz: eine Zeitenwende in Leid und Tränen, der Menschen und Gottes. Theologie und Anthropologie haben im weinenden, mitleidenden Gott, der mit den Opfern in die Gaskammer gegangen ist, einen "neuen Grund". Wer Gottes Leiden und Gottes Schmerz im Holocaust gesehen hat, der sieht im Menschen den Bruder und die Schwester eben dieses Gottes. Das ist der Grund zur Hoffnung und der Ausgangspunkt zu dem geforderten und notwendigen Dialog .

Der Vf. reicht dazu beide Hände und ­ was noch mehr wiegt, und wofür der Rez. ausdrücklich seinen Dank sagen möchte ­ sein Herz. "Deshalb ist der interreligiöse Dialog für mich noch immer der fruchtbarste, zumal in einer Welt, in der sich die Christen ihres jüdischen Erbes zunehmend bewußt werden. Und doch kehren wir, wenn wir nach Deutschland kommen, in ein Umfeld zurück, das noch immer mit Angst assoziiert ist. Auch ich habe Angst."

Dies ist also ein sehr persönliches Buch, weil über Angst nur persönlich geredet werden kann. Wir müssen die Zeiten genau betrachten und analysieren ­ und unsere Angst benennen, um sie aufzuheben in den Morgen unseres Gespräches: wir bedürfen einander. Nur als Einzelperson können wir aufeinander zugehen, einander vergeben und miteinander die Welt Gottes suchen, auf die uns Propheten, Rabbinen, Dichter und Theologen gemeinsam gewiesen haben: "Jeder ’Reiter in die Morgendämmerung’, denen wir ein Stück ihres Weges gefolgt sind, scheint einen Aspekt der Offenbarung für sich entdeckt zu haben." Besonders für einen Dialog mit dem Christentum sei es gesagt, was der Vf. nicht müde wird zu betonen: Diese Offenbarung geschieht in der Thora, in der Juden und Christen gemeinsamen Schrift, denn Thora ist (nur) ein anderes Wort für Offenbarung ­ und: "Gott ist in der Thora offenbart." Suchen (reiten) wir also gemeinsam. Die Gefahren sind nicht gebannt ­ und der Vf. sieht Deutschland in einer "doppelten Schuld" verstrickt und belastet: das Erbe der Stasi und des Nationalsozialismus.

Die kritische Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit (oder sollte man besser von Vergangenheiten sprechen?!) einerseits und dem Verhältnis von Faschismus und Kommunismus andererseits steht noch aus und ist umsomehr gefordert, da die Gleichsetzung der "Stasi-Verbrecher mit den Nazis und der DDR mit Hitler-Deutschland" die Ungeheuerlichkeit der nationalsozialistischen Vergehen "abermals zu einem ganz normalen Zwischenfall in einer Zeit der Wirren und des Krieges herabwürdigt." (181) Auch hier ist Erinnerung die Voraussetzung der Zukunft.

Friedlander fordert uns auf, innezuhalten, zurückzublicken in die Finsternis ­ und gemeinsam weiterzugehen.