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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

980-982

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lederle, Julia

Titel/Untertitel:

Mission und Ökonomie der Jesuiten in Indien. Intermediäres Handeln am Beispiel der Malabar-Provinz im 18. Jahrhundert.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2009. 315 S. m. Abb. gr.8° = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika), 14. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-447-05909-1.

Rezensent:

David Neuhold

Julia Lederle konnte ihre in Heidelberg bei Dietmar Rothermund abgeschlossene Dissertation 2009 in der renommierten Reihe »Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte«, die von Johannes Meier und Klaus Koschorke betreut wird, herausgeben – dies ist schon an sich ein Qualitätsmerkmal.
Die These L.s verortet sich historisch in der Missionsgeschichte der Frühen Neuzeit, die zuerst bekanntlich (römisch-)katholisch und hier in besonderer Weise von den Orden geprägt war; calvi­nistische und vor allem pietistisch-protestantische missionarische Aktivitäten sind spätere Phänomene. Diesbezüglich ist im Besonderen die Vorreiterrolle der Gesellschaft Jesu (1540 begründet, 1773 vorerst aufgehoben, im portugiesischen Einflussgebiet bereits 1759) zu nennen. Auf sie wird auch im zu besprechenden Band ein Hauptaugenmerk gelegt, ohne die enorme Diversität an missionarischen Impulsen in der sog. ersten Phase der Globalisierung außer Acht zu lassen und eben auch die Anstrengungen anderer Ordensgemeinschaften und missionarischer Unternehmungen zu vergessen. Überhaupt sind ordensgeschichtliche Zusammenhänge im Buch sehr anschaulich und profund dargestellt (so z. B. die in Portugal wichtige Entwicklung vom Templer- über den Christusorden hin zur Gesellschaft Jesu).
Jede, nicht nur »religiöse« Mission benötigt ökonomische Grundlagen, dies scheint banal; der Umgang mit materiellen und pekuniären Mitteln für religiöse Zwecke ist aber in der Christentumsgeschichte, wie man weiß, ein allzeitiges Konfliktpotential, bis heute. Welche Mittel sind gerechtfertigt? Welche Vorgangsweise ist als verfehlt bzw. nicht evangeliumsgemäß anzusehen? Diese Problematik wird auch in der hier betrachteten Studie überaus deutlich, wenn etwa darauf hingewiesen wird, dass den Jesuiten der Handel bzw. die Kreditvergabe verboten wurde, oder wenn man sich die immensen Kosten einer Überseereise für einen Missionar vor Augen führt.
Der Band fußt auf teils detailreichen historischen Quellen, die auch wirtschaftshistorisch von Interesse sind. Jene konnte L. in Deutschland, Italien, Portugal und Indien ausfindig machen, eine große Leistung. Die vier im ersten Satz des Vorwortes genannten Länder sind geographisches Programm der Studie: Deutschland als Herkunftsland vieler Jesuiten (aber auch von L.), Italien als Zentrum der römischen Christenheit, Portugal als Missions- und Kolonialmacht mit besonderer Stellung in der Frühen Neuzeit sowie Indien in seinen südlicheren Regionen als eine Destination derjenigen, die sich dem aus Mt 28,19 bekannten Missionsbefehl stellten. Für eine grobe Orientierung wäre hier unter Umständen, vor allem für die Zielregion des Subkontinents, dargebotenes Kartenmaterial hilfreich gewesen, z. B. wo es um die administrativen Strukturen der Jesuiten in Indien selbst geht. Die vorhandenen Bilder und Tabellen im Band veranschaulichen das Gesagte ja in hohem Maße, dafür ist man als uninspirierter Leser sehr dankbar.
Nun aber endlich zur inhaltlichen Kernfrage des Bandes, die da lautet: »Mittels welcher jesuitenspezifischer Strukturen und Verhaltensweisen finanzierte und organisierte der Orden im 18. Jh. die Missionen seiner Malabar-Provinz, und wie wurde dies dargestellt?« (275) In der Beantwortung dieser Frage spielt das schon im Untertitel angeklungene Konzept der Intermediarität eine große Rolle: Jesuiten als intermediäre Akteure, als Zwischen-Akteure. Ist dies einerseits als Antwort überzeugend, so wirkt die Rede von den intermediären Playern bisweilen vielleicht auch ein wenig banal; sie wird unter Umständen zu stark strapaziert, also zu weit verwendet, so dass man das Eigenschaftswort »intermediär« an manchen Stellen gut und gerne weglassen hätte können (131). Die Jesuitenmissionare konnten nun allgemein auf Landbesitz zurückgreifen, auf Donationen in Europa, in geringerem Ausmaß auch vor Ort in Indien, auf Handelserträge (vor allem über Kokos und Reis) und Kreditvergabe und im Besonderen auf die Unterstützung Portugals. Hier zeigt sich eine enge Verflechtung, die nicht zuletzt mit der Aufhebung des Ordens in portugiesischem Hoheitsgebiet deutlich zutage tritt. Der Jesuitenorden kann laut L. als Non-Profit-Organisation angesehen werden.
In der Darstellung der finanziellen Situation – L. zeigt auch auf, dass die Jesuiten keine doppelte Buchhaltung praktizierten – waren die Jesuiten der Malabar-Mission zurückhaltend (und wenig transparent); sie verzweckten diese auch, um im Speziellen in der Heimat neue Forderungen stellen zu können. Daneben stand mit der Goa-Provinz im Norden ein reiches Pendant als Vergleichsfolie bei Fuß. Grundsätzlich betrachtet L. freilich die ökonomische Basis der Malabar-Provinz im 18. Jh. als zufriedenstellend, von Reichtum (wovon manche der Gegner des Ordens überzeugt waren) kann aber in diesem Fall nicht die Rede sein. Nicht nur hier ordnet L. überzeugend ein und analysiert sauber.
Insgesamt fällt in methodischer Hinsicht bei L. der ausgezeichnet angewandte komparatistische Ansatz auf; omnipräsent bereichert der Vergleich den Band sehr und macht die Dinge verständlich (238). In der Darstellung überzeugt zudem die klare Struktur, die gleichmäßige Proportionalität sowie Überschaubarkeit der Kapitel, nicht zuletzt wegen der am Ende der jeweiligen Kapitel dargebotenen Fazite. Historisch könnte man gegebenenfalls noch anmerken, dass manches zu stark ex post betrachtet wird, wenn etwa die Aufhebung des Jesuitenordens schon antizipiert und rück­-projiziert wird. Das Werk wird über die hier getätigten kritischeren Anmerkungen in seinem Wert in keiner Weise geschmälert.
Die Jesuiten hatten etwas angestoßen, das sie selbst vorerst, im 18. Jh., nicht verwirklichen konnten: einen in die Tiefe reichenden Kulturtransfer (261) und eine Dynamik im westlichen Christentum, mit welcher es seine Grenzen zu überschreiten vermag. Der Orden hatte beispielsweise im Beobachtungszeitraum L.s keine einheimischen Mitglieder aufgenommen. Wie anders dies sich heute zeigt, sieht man auch daran, dass der heutige Jesuiten-Orden einen neuen personellen Schwerpunkt in Indien hat (mit ca. 4.000 Novizen stellt Indien ein Drittel des Nachwuchses der Societas Jesu weltweit).