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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

969-970

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bärsch, Jürgen, u. Winfried Haunerland[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgiereform vor Ort. Zur Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Bistum und Pfarrei.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2010. 376 S. m. Abb. 8° = Studien zur Pastoralliturgie, 25. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2250-4.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Dass das Zweite Vatikanische Konzil eine umfassende Liturgiereform beschlossen hat, ist ausreichend bekannt und oft dargelegt, untersucht und zitiert worden. Dabei ist – manchmal auch bis zum Überdruss – wiederholt worden, dass das Konzil eine »participatio actuosa« des gesamten Gottesvolkes intendiere. Wie es damit aber tatsächlich aussieht, wie sich die Reform am Ort der alltäglichen Feier in der Pfarrei vollzogen hat und welche Wirkungen zu sehen sind, will dieses Sammelwerk darlegen.
Nach einer Einführung in dieses Vorhaben und seine Voraussetzungen durch beide Herausgeber skizziert Winfried Haunerland, wie sich die Messbuchreform im deutschen Sprachgebiet vollzogen hat. Es geht vorrangig um die Geschichte der Übersetzung der lateinischen Texte in die deutsche Sprache, wie sie im deutschen Missale 1975 dokumentiert sind. Danach gab es weitere Versuche, aufgrund der Erfahrungen mit diesen Texten eine neue Übersetzung zu unternehmen, die aber an der neuen Übersetzungsinstruktion »Liturgiam authenticam« von 2001 gescheitert sind. Die daraufhin unter bischöflicher Leitung in Angriff genommenen neuen Übersetzungen sind noch nicht abgeschlossen, zumal das Missale 2002 in dritter Auflage erschienen ist. Markus Roth zeichnet die unermüdliche Übersetzungstätigkeit von Joseph Pascher nach, der damit Wesentliches für das deutsche Sprachgebiet geleistet hat. Insbesondere wird hier Paschers Arbeit am Stundengebet gewürdigt. Auf das bislang kaum erforschte Gebiet der Bilingualen Altarmessbücher macht Andrzeij Hoinkis aufmerksam. Nach der Verabschiedung der Liturgiekonstitution vom 3. De­zember 1963 wurden mehr oder weniger provisorische Messbücher, die neben dem lateinischen Text den muttersprachlichen boten, herausgegeben. Sie gewannen bis zum neuen Missale von 1970 an Bedeutung. Interessant ist der Beitrag von Angel Maria Unzueta über eine ganz andere bilinguale Situation im Baskenland. Dort war die Frage zu beantworten, wie und wann die spanische und die baskische Sprache zu verwenden sei. Der Autor trägt dazu eigene Erfahrungen aus der Entstehungsphase vor. Reimund Haas geht der Entwicklung von Eigenfeiern (Feiern, die nur in einem Bistum vorkommen) im erst 1958 gegründeten Bistum Essen nach. Er stellt dar, warum und welche Selige und Heilige wann verehrt werden. Norbert Trippen erzählt von seinen Erfahrungen mit der vorkonziliaren und mit der nachkonziliaren Liturgie, die er als Jugendlicher, dann als junger Priester erlebt hat, und zeigt, wie sich der damalige Kölner Kardinal Frings mit den Messreformern auseinandersetzte, die die Konzilstexte progressiv auslegten. Christoph Freilinger legt dar, wie die Liturgiereform in der Diözese Linz schon weit vor dem Konzil begann und danach energisch fortgesetzt wurde. Das zeigt sich auch bei der seit einigen Jahren zu beobachtenden Einsetzung von Laien in Leitungsdienste für Liturgiefeiern. Martin Stuflesser zeichnet die Implementierung der neuen Liturgie in der Erzdiözese Boston (USA) nach, was schon deshalb interessant ist, weil ihr Erzbischof Konzilsteilnehmer war und jene Kräfte einzubinden wusste, die bereits vor dem Konzil für eine liturgische Erneuerung eingetreten waren. Franz-Rudolf Weinert zeigt am Beispiel eines Mainzer Dompfarrers, wie er als Seelsorger die Liturgieveränderungen ab 1965 behutsam einführte, entsprechende Quel­-lentexte werden wiedergegeben. Verena Schmidt hat für drei Pfarreien des Bistums Essen Pfarrchroniken, Festschriften, Pfarr­nachrichten, Protokolle etc. ausgewertet, um ermessen zu können, wie Pfarrer den Gemeinden die Liturgiereform nahegebracht ha­ben und – soweit dafür schriftliche Verweise festgehalten wurden – wie die Gemeinden die Liturgiereform aufgenommen und mitvollzogen haben. Jürgen Bärsch hat Fest- und Jubiläumsschriften aus dem Bistum Essen gesichtet und dabei unterschiedliches Material gefunden, das die Veränderungen in den Gemeinden beschreibt – allerdings oftmals aus der Feder jener, die selbst die Veränderungen durchführten, nämlich der Pfarrer vor Ort. Johannes Krämer zeigt an ausgewählten Kirchbauten, wie die Liturgiereform bis heute raumverändernd wirken kann, und plädiert weniger dafür, dass der Priester versus populum zelebriert, sondern vielmehr cum po­-pulo, was sich baulich ebenso verwirklichen lässt. Norbert Weigl hat zahlreiche Predigten analysiert, die während der Liturgieveränderungen in den Gemeinden gehalten wurden oder die als Vorlage für Predigten dienten. Bettina Kaul berichtet von einem Seminar, das Jürgen Bärsch und sie zur Liturgiereform vor Ort durchgeführt haben und in dem sie sieben Studenten beauftragten, In­terviews mit Priestern oder engagierten Laien über die Liturgiereform zu führen. Interviewergebnisse von Priestern werden wie­dergegeben. Stephan Steger berichtet von den Bemühungen des liturgiewissenschaftlichen Lehrstuhls in Würzburg um die Erforschung der Li­turgiereform im dortigen Bistum und gibt eine Übersicht, wie im Würzburger Diözesanblatt von 1963 bis 2003 über Liturgiereformen berichtet wurde.
Es ist schon verwunderlich, dass die sog. Laien so gut wie gar nicht als Zeitzeugen in diesem Forschungsgebiet zu Rate gezogen werden, hat doch das Konzil gewünscht, dass »alle Gläubigen zu jener vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden« (Denz 4014). In diesem Buch werden vorrangig textliche Zeugen zu Rate gezogen, die durch das Konzil oder durch die Ortsbischöfe und Ortspfarrer verfasst wurden. Darüber hinaus kommen auch Priester als Zeitzeugen vor, die gern von ihren Reformbemühungen berichten und sich dabei gelegentlich an Äußerungen von Laien erinnern können. Zieht man aufgrund dieses Bandes ein Fazit für das Forschungsgebiet, dann ist die Liturgiereform eine Sache der Amtskirche, die aus Konzil, Papst, Bischöfen und Priestern besteht, die sich um eine Liturgiereform bemühen oder bemüht haben, die vorrangig die Laien berücksichtigen und mit einbeziehen soll, wobei sie Letztere aber nicht kennen und auch nicht in der Lage sind, sie mit den hier angewendeten und vorgelegten Methoden kennenzulernen. Die Laien werden nach wie vor als Objekt der Reform angesehen, nicht aber als Subjekt. Ob das Konzil das überhaupt wollte? Zumindest legt es der Konzilstext nahe, denn er begründet die volle, bewusste und tätige Teilnahme an den liturgischen Feiern damit, dass diese »vom Wesen der Liturgie selbst erfordert wird und zu der das christliche Volk, ›das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk‹ [1 Petr 2,9; vgl. 2,4f] kraft der Taufe das Recht und die Pflicht hat« (Denz 4014).