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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

967-968

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Aram I, Catholicos of Cilicia

Titel/Untertitel:

Saint Nerses the Gracious and Church Unity. Armeno-Greek Church Relations (1165–1173).

Verlag:

Antelias: Armenian Catholicosate of Cilicia 2010. 254 S. u. 1 Kt. gr.8°. Lw. ISBN 978-9953-0-1442-5.

Rezensent:

Gabriele Winkler

Es ist wohlbekannt, dass Antelias mit dem Sitz des armenischen Katholikosats des Hohen Hauses von Kilikien schon seit geraumer Zeit in jeder Hinsicht zu einem außerordentlich lebendigen theologischen wie kirchlichenpolitischen Zentrum geworden ist und Katholikos Aram I. für seinen großen politischen wie ökumenischen Einsatz eine herausgehobene Rolle im Libanon spielt.
Auch die vorliegende Publikation, die von der Calouste Gulbenkian Foundation finanziell unterstützt und Katholikos Khoren I. (1963–1983), dem Vorgänger Aram I., gewidmet wurde, ist in diesem Kontext zu sehen, wie schon die vielen umfangreicheren Veröffentlichungen von Aram I. seit 1974 bis in die Gegenwart (s. die Angaben am Ende des Bands) ein beredtes Zeugnis seiner pastoralen und kirchenpolitischen Anliegen geben, so z. B.: In Search of Ecumenical Vision (2000), The Christian Witness at the Crossroads in the Middle East (2005), aber auch: For a Church Beyond its Walls (2007) und: Pour une Monde Transformé (2008).
Die jetzige Veröffentlichung greift bewusst auf die hochbedeutsame kilikische Periode der armenischen Kirche im Mittelalter zurück und stellt dabei das Wirken des großen Katholikos Nerses Schnorhali (1166–1173) in das Zentrum der Erörterungen, nicht nur weil diese Periode für die armenische Kirche von einschneidender Bedeutung war, sondern weil sie bis heute ihre Wirkkraft weit über das Hohe Haus von Kilikien hinaus keineswegs verloren hat.
Der vorliegende bedeutsame ökumenische Beitrag wurde in zwei große Teile gegliedert: Der erste Teil bietet eine Einführung in den geschichtlichen Hintergrund der damaligen schwierigen Lage Armeniens und den von Byzanz ausgehenden Druck auf die Kirche Armeniens, ferner eine Erörterung der Kontakte Armeniens mit den benachbarten Kirchen und zusammenfassend das Bestreben der Armenier nach Ausgleich bei den christologischen Divergenzen, mit einem Rückblick auf das Konzil zu Chalcedon 451 und das zentrale Anliegen der Armenier (bis heute) um »Equality, not Dominion« (90). Hier ist aufgrund der über Jahrhunderte anhaltenden Leidensgeschichte der Armenier, die mit der Aufteilung des Landes in einen persischen und byzantinischen Teil Armeniens in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s ihren Anfang nahm und bis zum Genozid an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs durch die Türken immer wieder Gegenstand einer existenziellen Auseinandersetzung um das Überleben war, der stets pragmatisch ausgerichtete Ansatz der Armenier hervorzuheben, der auch heute eine zentrale und beeindruckende Rolle spielt. In diesem Zusammenhang wären auch die intensiveren ökumenischen und von gegenseitigem Respekt geprägten Kontakte zwischen Etschmiacin in Armenien, d. h. dem Katholikos Aller Armenier, Karekin I., und nach dessem allzu frühen Tod Karekin II. mit dem Vatikan zu erwähnen, für die sich vor allem der Primas der Armenischen Kirche Nordamerikas (New York), Khajag Barsamian, eingesetzt hat, was zu wissenschaftlichen Symposien am Pont. Orientalischen Institut in Rom zu Ehren des hohen Besuchs der Katholikoi im Vatikan 1996 und 2000 geführt hat.
Zurück zu Aram I. und seinem ökumenischen Diskussionsbeitrag: Der zweite Teil bietet vor allem die relevanten armenischen und byzantinischen Dokumente. In einem Ausblick bekräftigt Katholikos Aram I. seine Vision von der Ökumene. Daran schließen sich die Bibliographie sowie zwei Register an. Auf die informative Landkarte ganz am Ende des gelungenen ökumenischen Beitrags ist besonders hinzuweisen.
Bei der Bibliographie (221–236) fällt auf, dass mehrere wichtige Arbeiten fehlen, dabei solche selbst namhafter armenischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – so z. B. von M. D. Findikyan (New York) und vor allem sogar von Nina Garsoian, die, was die Geschichte Armeniens betrifft, in wissenschaftlichen Kreisen zu den wichtigsten Gelehrten zählt. Zudem wird des Öfteren auf veraltete und längst überholte Werke zurückgegriffen – wie z. B. auf Conybeare’s Rituale Armenorum von 1905 oder auf Ter-Minassiantz, Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen von 1908, oder Ter-Mikelian, Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zur byzantinischen von 1892. Die letzteren beiden Arbeiten wurden 1908 bzw. 1892 ins Armenische übersetzt und sind so verständlicherweise in ihrer armenischen Textgestalt konsultiert worden, da deutschsprachige Publikationen im Gegensatz zu früher vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr eingesehen werden können. Unverständlich ist, wieso die Edition des armenischen Lektionars nach dem armenischen Codex Jerusalem 121 durch A. Renoux nicht ihm, sondern irrtümlich F. Graffin, dem Herausgeber der Patrologia Orientales, zugeordnet wurde (227. 233). Nebenbei sei auch noch angemerkt, dass mittlerweile R. Thomson 2001 eine zweite, wesentlich überarbeitete Ausgabe seiner Einführung und Übersetzung von »The Teaching of Saint Gregory« vorgelegt hat, während in der Bibliographie (235) noch die alte Ausgabe von 1970 angeführt wird.
Wer sich für den ökumenischen Dialog interessiert und dabei auch den bis in die Gegenwart bedeutsamen Dialog zwischen der chalcedonensischen byzantinischen Kirche und einer alt-orientalischen nicht-chalcedonensischen Kirche zur Kenntnis nehmen möchte, dem sei diese Veröffentlichung empfohlen, wobei man allerdings die Wurzeln des Konflikts und ihre hervorragende wissenschaftliche Aufarbeitung durch Nina Garsoian (L’Église arménienne et le grand schisme d’Orient von 1999) nicht aus den Augen verlieren sollte.