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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

964-966

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Pirner, Manfred L., u. Andrea Schulte [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsdidaktik im Dialog – Religionsunterricht in Kooperation.

Verlag:

Jena: IKS Garamond (Edition Paideia) 2010. 365 S. m. Abb. 8° = Studien zur Religionspädagogik und Praktischen Theologie, 2. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-938203-96-5.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen haben in den vergangenen Jahrzehnten ein scheinbar kaum zu stoppendes Gefälle in Richtung zunehmender Spezialisierung entwickelt. Der Blick der Disziplinen wie auch der in diesen Disziplinen tätigen Wissenschaftler hat sich im Zuge dieser Entwicklung offensichtlich geradezu zwangsläufig dramatisch verengt. Was auf der Ebene der Wissenschaftsdisziplinen festzustellen war, spiegelte sich analog auch auf der Ebene der sich aus diesen Disziplinen generierenden schulischen Unterrichtsfächer. Spezialisierung, Separierung, mangelnde Dialogfähigkeit, aber auch fehlende Dialogbereitschaft und nicht vorhandener Kooperationswille sind schließlich die Termini, die das Ergebnis dieser Prozesse sowohl im Wissenschafts- als auch im Schulkontext auf einen Nenner bringen. Theologie, Religionspädagogik bzw. Religionsdidaktik – verstanden als Didaktik des schulischen Religionsunterrichts – aber auch der Religionsunterricht selbst bildeten in diesem Zusammenhang keineswegs eine Ausnahme.
Auf diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass die Religionsdidaktik, die ja schon per definitionem eine Verbunddisziplin ist, sich dieses Defizits bzw. dann auch des Desiderats in Hinsicht auf Dialog und Kooperation langsam bewusst wird und Schritte in die Wege leitet, dem abzuhelfen. Die hier zu besprechende Publikation von Manfred L. Pirner, Erlangen-Nürnberg, und Andrea Schulte, Erfurt, versucht genau dies in den Blick zu nehmen.
Dass der Anstoß zu diesem Prozess nicht zuletzt auch aus der schulischen Praxis erwachsen ist und weiterhin erwächst, lässt sich auch den Ausführungen der Herausgeber im Vorwort des Bandes entnehmen: »Die Vernetzung der Unterrichtsfächer an den Schulen, die verstärkte Kooperation von Fächern in Projekten, fächerübergreifenden Arbeitsphasen und thematisch-inhaltlich struk­-turierten Unterrichtsphasen fordern den Religionsunterricht in besonderer Weise heraus und lassen in Folge das Gespräch zwischen der Religionsdidaktik und den anderen Fachdidaktiken notwendig werden.« (5)
Es könnte auch sein, dass der Religionsunterricht aufgrund seiner Inhaltlichkeit und Struktur, die das Ganze des Menschseins und Lebens in den Blick zu nehmen haben, für ein derartiges Unternehmen des Dialogs und der Kooperation zwischen den Einzelfächern und den diesen Einzelfächern zugeordneten wissenschaftlichen Fachdisziplinen geradezu prädestiniert ist.
Auf dieser Folie bietet der Band dann folgende Einzelbeiträge, wobei insbesondere versucht wurde, die einzelnen Fächer bzw. Fachdidaktiken auch personell in Gestalt unterschiedlicher Autorinnen und Autoren der Beiträge miteinander ins Gespräch zu »verstricken«, ein Prinzip, das jedoch nicht »flächendeckend« eingelöst wurde: Nach dem Einführungsbeitrag der beiden Herausgeber reflektiert Udo G. Schmoll grundlegend die »Begegnung als Schlüsselbegriff für fächerübergreifendes Arbeiten mit und im Evange­lischen Religionsunterricht«, während Veit-Jakobus Dieterich den »fächerübergreifenden Unterricht« in den Blick nimmt. Annegret und Georg Langenhorst verknüpfen »Fachdidaktik Religion und Fachdidaktik Deutsch« unter Auslotung von »Chancen und Grenzen der Kooperation«. Jan Hollm und Manfred L. Pirner beschäftigen sich unter dem Titel »The boundary ist the best place for acquiring knowledge« mit »Religionsdidaktik und Englischdidaktik im Dialog«. Matthias Everding reflektiert mit Norbert Schläbitz über den »Fächerübergreifenden Ansatz im Musik- und Religionsunterricht«, während Thomas Breuer und Bärbel Völkel unter dem Titel »Chronos und Kairos – Reflexionen zum Umgang mit dem Phänomen ›Zeit‹ im Geschichts- und Religionsunterricht« bieten. Bernhard Grümme und Wolfgang Sander machen sich unter dem Leitmotiv »Von der ›Vergegnung‹ zum Dialog?« Gedanken über das »Verhältnis von Religionsdidaktik und Politikdidaktik«. Für den Beitrag »Räume erschließen, bewahren und gestalten. Impulse für ein fächerübergreifendes Lernen im Geographie- und Religionsunterricht« zeichnen drei Autorinnen verantwortlich: Christiane Meyer, Elisabeth Naurath und Bettina Rosenhagen. Weitere Beiträge liefern: Thomas Retzmann und Thomas Schlag (»Ökonomische Bildung – wirtschaftsdidaktische und religionsdidaktische Perspektiven«), Katrin Bederna und Laura Martignon (»Es war einmal ein enges Paar: … Matheologie?«), Andreas Benk und Roger Erb (»Religionsdidaktik und Physikdidaktik«) sowie Jürgen Court und die Herausgeberin Andrea Schulte (»Religionsdidaktik und Sport­-didaktik«).
Abweichend von dem auch personell praktizierten Dia­logprinzip des Zusammenspannens von jeweils einem religionsdidaktischen Autor mit einem Autor aus der speziellen Dialogdisziplin räsonniert Claudia Gärtner über »Mehr als Bilder im Religionsunterricht« und stößt zu der These vor: »Kooperationen von Kunst- und Religionsunterricht berühren Grundvollzüge von Religion und Kunst«, während sich Karl Ernst Nipkow grundsätzliche Ge­danken macht über »Schöpfungsglaube, Kreationismus und Na­turwissenschaft. Voraussetzungen für das Gespräch des Religionsunterrichts mit naturwissenschaftlichen Fächern«.
So ist in dem Band ein wahrlich aspekt- und facettenreiches Geflecht des Dialogs und der Kooperation zwischen der Religionsdidaktik und den anderen Fachdidaktiken entstanden, das nicht zuletzt eben auch und hoffentlich seine Auswirkungen auf den konkreten Religionsunterricht und seine Vernetzung mit den anderen Fächern im schulischen Kanon haben wird und vice versa. Dies im Einzelnen hier darzulegen, fehlt leider der Raum. Der geneigte Leser möge hier selbst zu dem verdienstvollen Band, der ein Stück weit Neuland betritt, greifen und sich sozusagen an der Quelle bedienen!
Einige mehr strukturelle und kritisch-weiterführende Anregungen zu den Beiträgen und dem Band insgesamt seien hier »gewagt«, ohne dass das Verdienst der zu besprechenden Publikation damit geschmälert werden soll.
Hilfreich und den Ertrag der Reflexionen noch weiter steigernd wäre es vielleicht gewesen, wenn die beiden Herausgeber den Autoren für ihre Beiträge ein – nicht zu enges! – Strukturraster vorgegeben hätten, mit dessen Hilfe bestimmte strukturelle Aufmerksamkeitsaspekte, die für alle Disziplinen und ihren Dialog miteinander Gültigkeit beanspruchen können, herausgearbeitet hätten werden können. So verbleibt manches im Raum des Vagen und Zufälligen, strukturell auch nicht Kompatiblen. Mit diesem Vorgehen hätte vielleicht ein methodisches Raster erarbeitet werden können, mittels dessen eine Art heuristisch fundierter Dialog auf eine dauerhafte Basis hätte gestellt werden können. Vielleicht ist dies aber dann auch erst in einem nächsten Schritt zu verwirklichen. Weiterhin: Bei nicht wenigen der im Band enthaltenen Beiträge hat der Leser den Eindruck, dass kein echter Dialog vorliegt, sondern die formal zusammengespannten Autoren doch alle für sich schreiben, ohne im Blick zu haben, was der Dialogautor aus seiner und der Perspektive der von ihm vertretenen Disziplin formuliert. So entsteht an nicht wenigen Stellen der Eindruck eines vordergründigen, nicht wirklichen Dialogs – ja, spitzt man es zu, der eines zweifachen Mo­nologs.
Und schließlich: Bewusst geworden ist den beiden Herausgebern bei ihrem Projekt auch, dass der Dialog mit den anderen Religionsunterrichte(n) wie auch mit dem Ethikunterricht hier ausgespart geblieben ist (vgl. 9). Auch wenn – wie sie richtig schreiben – dieser Dialog »ganz eigene Perspektiven und Aufgabenstellungen mit sich bringt« (ebd.), sollte dieser Reflexionshorizont dennoch nicht vernachlässigt werden, da die besondere Nähe der betroffenen Disziplinen natürlich auch besondere Chancen in sich birgt. Der von den Herausgebern ausgedrückten Hoffnung, »dass mit diesem Band ein Anfang gemacht ist, der sowohl im Hinblick auf die Vertiefung der bilateralen Diskurse zwischen den … versammelten didaktischen Disziplinen als auch über sie hinaus vielfältige Fortsetzungen findet«, kann sich der Rezensent nur an­schließen.

WürzburgHorst F. Rupp




Die an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät Jena im April 2009 angenommene Dissertation von Anja Richter ist »eine historisch-systematische Untersuchung zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte der höheren Schule«. Sie thematisiert »schulische Feiern und Feste an drei sächsischen Gymnasien zwischen der Reformdis­kussion um 1800 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs« und be­schreibt den »Bedeutungswandel von Schulfeiern« in der »Spannung zwischen bürgerlicher Selbstdarstellung und staatlicher Funktionalisierung«.
Die Vfn. zeichnet solche Schulfeiern in der »Reformphase (1812–1846)«, »zwischen partikularer und nationaler Bedeutung (1848–1868)« und »im Kaiserreich« in den jeweiligen bildungspolitischen, nationalpolitischen, kulturell-religiösen und wirtschaftlichen Kontext ein. Dabei orientiert sie sich an »Leitfragen« nach dem Einfluss der Kontexte, nach dem Anlass der Feiern, nach dem, was da »in den Reden als Sinnreservoiren kommuniziert« wurde, und nach der gesellschaftlichen Bedeutung dieser schulischen Festkultur. Mit einigen Ausblicken auf andere Schulen konzentriert sie sich auf die Fürsten- und Landesschule St. Afra in Meißen, die Nikolaischule in Leipzig und das Albertinum in Freiberg. Als Quellen dienen ihr Schulprogramme, Jahresberichte der Rektoren, Festschriften, besonders Festreden bei Jubiläen (Reformation, Völkerschlacht bei Leipzig, Geburtstage von Fürsten), aus denen sie »Genese und Verlauf ausgewählter Feiern« rekonstruiert und das sich darin ausdrückende »Geschichtsbewusstsein« erhebt. In all diesen Texten wird das Bestreben erkennbar, den Adressaten »Symbol- und Identifikationsfiguren« vor Augen zu stellen und so auf ihre »Selbstkonzepte« einzuwirken.
Die Vfn. unterscheidet vier Typen von Schulfeiern: Die Repräsentationsfeier dient der »Selbstdarstellung, Selbstthematisierung und Selbstrechtfertigung« der Schule, die Gesinnungsfeier, etwa am Geburtstag des Herrschers, der Stärkung einer monarchistischen Haltung. Bei der Tugendfeier gedenkt man religiöser und kultureller Vorbilder wie Luther, Melanchthon, Goethe und Schiller. Die Ereignisfeier erinnert an wichtige Geschehnisse der nationalen Geschichte wie die Reformation, die Völkerschlacht bei Leipzig oder später die Schlacht von Sedan. Die Festreden spiegeln Wandlungen der politischen Situation und des Bildungskonzeptes und lassen das Bestreben erkennen, nicht nur Ereignisse und Gestalten der deutschen Geschichte, sondern auch Glaubensinhalte für die Erzeugung bürgerlich-politischer Haltungen zu nutzen. In den Festreden drücken sich Einstellungen der Lehrer aus, wie sie wohl auch weithin den Unterricht bestimmten. Die Mentalität einer wichtigen Gruppe des deutschen Bildungsbürgertums im 19. Jh., der Gymnasialprofessoren, wird in das soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Kräftefeld des deutschen Kleinstaates Sachsen eingezeichnet. Das Buch, das auf sorgfältiger Ar­-chivarbeit und Literaturauswertung basiert, breitet vor dem Leser eine Fülle von Einzelheiten und Zusammenhängen aus. Um die inkulturierende Wirkung der geschilderten Rituale zu illustrieren, hätten vielleicht auch autobiographische Zeugnisse ehemaliger Schüler herangezogen werden können.