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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

184 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

König, Siegfried

Titel/Untertitel:

Zur Begründung der Menschenrechte: Hobbes –­ Locke –­ Kant.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 1994. 362 S. 8o = Alber-Reihe Praktische Philosophie, 48. Pb. DM 89,­. ISBN 3-495-47776-4.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Drei Absichten verfolgt der Vf. mit seiner Arbeit, die 1990 an der Universität Erlangen-Nürnberg unter einem anderen Titel als philosophische Dissertation angenommen wurde: Er will einen Beitrag zur Diskussion um die philosophische Legitimation von Menschenrechten leisten; er will die ideengeschichtliche Genese der Menschenrechte aus den antiken und christlichen Naturrechtstheorien nachzeichnen; und er will schließlich den im Anschluß an Kant verstandenen Begriff der Menschenwürde als das allen Menschenrechten (im Plural!) zugrundeliegende Prinzip erweisen.

Die wissenschaftliche Diskussion um die Menschenrechte ist zunehmend unübersichtlich geworden, schon deshalb, weil an ihr verschiedene Disziplinen wie die Rechtswissenschaften, die Philosophie und die Theologie partizipieren. Um die Vielfalt der Stellungnahmen zu strukturieren, führt König zwei Unterscheidungen ein. Zum einen differenziert er zwischen einer theoretisch-philosophischen und einer praktischen, politisch-juristischen Ebene der Menschenrechtsdiskussion; beide Ebenen sind aufeinander bezogen. Zum anderen unterscheidet König zwischen positivem und moralischem Recht. Menschenrechte gehören beiden Bereichen an: Als positives Recht sind sie Bestandteil der Grundrechtskataloge von Verfassungen. Als moralisches Recht sind sie ein Kontrollinstrument, um positives Recht zu überprüfen. In einem gewissen Sinn gelten Menschenrechte gerade für die Rechtlosen, die von keinem positiven Recht geschützt werden und der Willkür von Machthabern und Diktatoren ausgeliefert sind. Darum wird von über- oder vorpositiven Menschenrechten gesprochen. Insofern ist das Konzept der Menschenrechte immer an so etwas wie eine vorstaatliche Normativität oder Sittlichkeit gebunden, welche bei den juristisch-politischen Menschenrechtsdiskursen stets mitbedacht werden muß. "Menschenrechte sind eine moderne Form von Naturrecht." (62)

Darum zeigt K. nach einem ersten Teil, welcher in die Problemlage einführt, in mehreren Schritten, wie sich das klassische Naturrecht in eine Philosophie der Menschenrechte verwandelt. Diese ideengeschichtliche Rekonstruktion bildet das Kernstück von K.s Arbeit. Er geht aus vom klassischen Naturrecht, wie es idealtypisch bei Thomas von Aquin und in der Stoa ausgeprägt ist. Das Naturrecht setzt eine Weltvorstellung voraus, in der der Mensch in Relationen eingebunden gedacht wird: Er findet sich in einer geordneten Welt, in einem ’Kosmos’ wieder, und es ist seine Aufgabe, dieser geordneten Welt in seinen Verhältnissen zur Natur, zu den Mitmenschen, zu Gott zu entsprechen und zu erfüllen, was ihm vorgegeben ist.

Es macht nun nach K. das Wesen der Neuzeit aus, daß die Voraussetzung dieser vorgegebenen Ordnung destruiert wird. Dieser Ablösungsprozeß setzt mit Hobbes ein. Nach Hobbes findet sich der Mensch im Chaos vor, nicht im wohlgeordneten Kosmos, aus dem er Normen und Lebensorientierungen entnehmen kann. Um dieses Chaos zu bewältigen, braucht es den sterblichen Gott des Staates, den Leviathan, der als normgebende Instanz an die Stelle der natürlichen Ordnung tritt. Bei Hobbes fehlt noch der Gedanke, daß das Individuum gegen die Eingriffe staatlicher Willkür auch geschützt werden muß.

Diesen nächsten Schritt in der Entwicklung zu den Menschenrechten findet K. bei John Locke. Dieser entwickelt eine individualistische Menschenrechtstheorie, die dem einzelnen das Recht auf Freiheit und Eigentum zugesteht. Allerdings ist dieses Modell Beschränkungen unterworfen, insofern Locke über der Konzentration auf den einzelnen nicht genügend reflektiert, wie die Rechte der einzelnen in ihrer Sozialität zu denken sind.

Eine Weiterentwicklung des Menschenrechtsgedankens in genau dieser Richtung findet K. in der Rechtsphilosophie Kants. Weil in ihr der einzelne zum Subjekt abstrahiert wird, gilt, was Kant an ihm demonstriert, für den einzelnen und gleichzeitig für alle. Insofern gehören Individualität und Sozialität bei Kant zusammen: Jeder einzelne ist danach auch ein Repräsentant der Menschheit. Als solcher kann er keine von außen an ihn herangetragenen Normen akzeptieren, sondern nur diejenigen, die vor dem Forum seiner Vernunft und seines Gewissens Bestand haben. Zentral für Kant ist der Begriff der Freiheit. K. interpretiert sie als das Menschenrecht, welches jedem kraft seines Menschseins zusteht. Es ist Aufgabe des Rechts, solche Freiheit für jeden einzelnen zu ermöglichen. Es ist Aufgabe der Ethik zu reflektieren, wie mit solcher Freiheit umzugehen ist.

Weil dem Menschen Freiheit und Vernunft eignen, hat er auch Würde. Weil der Mensch Würde hat, hat er Rechte. Die Würde, die Freiheit des Menschen ist darum das Menschenrecht, das allen anderen Menschenrechten zugrunde liegt. In der Menschenwürde sieht K. darum das Kriterium, an dem alle Menschenrechtskataloge zu messen sind. Dies ist die Schnittstelle, auf die K. seine Untersuchung hinführt und an der er endet. In seiner Perspektive bildet die Menschenwürde den ideengeschichtlichen Fluchtpunkt des Naturrechts. Auf sie, die nicht empirisch, sondern nur transzendental zu erweisende Menschenwürde hat sich das Naturrecht in der Moderne kondensiert.

Weil K. sich auf diesen einen ideengeschichtlichen Aspekt konzentriert, fordert seine ­ im übrigen einleuchtend disponierte und klar geschriebene ­ Untersuchung zu Rückfragen und zu weiterführenden Fragen heraus. Nur zwei Punkte seien hervorgehoben: 1. Die theologischen Elemente der Philosophie von Hobbes und Locke werden von K. als Atavismen behandelt. Kants Religionsschrift wird schon gar nicht mehr erwähnt. Wird die Theologie damit zugunsten der ideengeschichtlichen Stringenz geopfert? Oder spielt sie für das Naturrecht ­ und im Gedanken der Gottebenbildlichkeit für die Menschenwürde ­ nicht doch eine größere Rolle als K. meint? Menschenwürde wird nicht nur durch Erklärungen geschützt, sie ist auch gefährdet. Diesen Gefährdungen hat sich Kant in seiner Religionsschrift im Problem des radikalen Bösen zugewandt. 2. Um von der ideengeschichtlichen zur politisch-praktischen Ebene hinüber zu führen, wäre es wichtig, mehr darüber zu erfahren, wie zum Beispiel in Deutschland das Kantsche Konzept der Menschenwürde Eingang in die juristische Auslegung des Grundrechtsteils des Grundgesetzes gefunden hat. Denn gerade in den Grundrechten sind positiv geltende Freiheitsrechte mit einer vorpositiven Menschenrechtskonzeption (Art.1 GG) verschränkt.