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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

940-941

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Obst, Thorsten

Titel/Untertitel:

Das Heilige und das Denken. Untersuchungen zur Phänomenologie des Heiligen bei Klaus Hemmerle.

Verlag:

Würzburg: Echter 2010. 285 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 49. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-03316-3.

Rezensent:

Martin Hailer

Dem Buch liegt eine Bonner katholisch-theologische Dissertation von 2009 zugrunde, sein Vf., Thorsten Obst, ist Kaplan in Krefeld. Er analysiert eingehend religionsphilosophische und theologische Grundentscheidungen des langjährigen Bischofs von Aachen, Klaus Hemmerle († 1994), der zuvor an den Universitäten Freiburg und Bochum wirkte. Das Ziel der Untersuchung ist zu zeigen, dass Hemmerles Religionsphilosophie von seiner Theologie nicht zu trennen ist, auch wenn man die beiden unterscheiden muss (13.273).
Dazu stellt der Vf. zunächst die Religionsphilosophie seines Hauptautors in den engeren und weiteren ideengeschichtlichen Kontext (Kapitel I–II). Der engere ist Martin Heideggers Spätphilosophie nach der »Kehre« und deren Adaption in der katholischen Fundamentaltheologie. Heideggers Kehre thematisiert, dass das menschliche Dasein Sinn vom Sein selbst empfängt. Die damit verbundenen tastenden Versuche, von Gott und von einer Spur des Heiligen zu reden, stehen Pate für das religionsphilosophische Programm, die Passivität des Denkens gegenüber dem Phänomen des Heiligen zu konzeptualisieren. Hemmerles Schlüsselkonzept ist hierbei der Unterschied zwischen »fassendem« und »lassendem« Denken, wobei letzteres den Begegnungscharakter mit einem strikt Anderen ausdrückt, welches das Heilige ist (62–64.123 f.). Der weitere ideengeschichtliche Kontext ist die idealistische Konzeption des Verhältnisses von Gott und Welt. Der Vf. führt aus, wie Hemmerle hier auf Franz von Baader zurückgreift, der gegen Hegel und Schelling anführt, dass Gott zu seiner Vollkommenheit die Welt nicht als Darstellung bzw. Mittel benötigt (107 f.). Freilich wird Baaders Werk knapp als »gnostisch« (114) bestimmt und unter Verweis auf Franz Rosenzweig gezeigt, wie zentral der Gedanke von der radikalen Andersheit Gottes und des Heiligen für Hemmerle ist (141–143).
Die vorrangig der materialen Theologie Hemmerles gewidme­ten Kapitel III und IV sind weniger genealogisch und eher werk-­immanent-rekonstruierend angelegt. Hieraus ist vorrangig die Konkretisierung von Hemmerles Phänomenologie des Heiligen wichtig. Sie geschieht auf doppelte Weise: Es gibt eine allgemeine Erfahrung des Heiligen, die in jedem religiösen Akt nachweisbar ist. Daneben gibt es eine unterscheidend christliche Erfahrung des Heiligen, die explizit auf Gottes Selbstoffenbarung in Christus beruht und die trinitarisch begründet ist. Diese unterscheidend christliche Erfahrung hebt aber die allgemeine nicht auf, sie konkretisiert und überbietet sie (225–228.252). Religionsphilosophie und materiale Theologie Hemmerles, so schließt der Rezensent, verhalten sich also zueinander wie die Abfolge von demonstratio religiosa und demonstratio christiana in der katholischen Apologetik. Dass eine demonstratio catholica folgen könnte, wird angedeutet (256–258).
Das Untersuchungsziel – die Zusammengehörigkeit von Religionsphilosophie und Theologie Hemmerles – ist damit erreicht. Dies ist, darf man gedankliche Konsistenz bei einem Autor mit systematischem Anspruch und ohne Eingeständnis größerer Brüche oder Entwicklungsschritte unterstellen, freilich auch nicht überraschend. Das wäre es nur dann, wenn die Religionsphilosophie des Schülerkreises von Bernhard Welte, dem Hemmerle angehörte, prinzipiell in der Gefahr wäre, Ergebnisse zu liefern, die theologisch nicht anschlussfähig sind. Nichts in dem Band deutet aber darauf hin. Der Hauptnutzen der Arbeit ist deshalb in den Darstellungen zum Werk Hemmerles und seinen Quellen selbst zu suchen. Diese werden mit einer gewissen Hermetik vorgetragen: Die Arbeiten des Hauptautors werden nicht in den zeitgenös­sischen theologischen Kontext eingeordnet, kein einziger Autor findet Erwähnung, der nicht ideengeschichtlich oder als Sekundärliteratur für Klaus Hemmerles Theologie unmittelbar wichtig ist. Auch spielt das fast 20-jährige bischöfliche Wirken Hemmerles für die Darstellung keine Rolle. Die Hermetik zeigt sich auch begrifflich: Durchgängig substantiviert der Vf. »das Denken« eines Autors und spricht niemals von Argument, These, Behauptung, Position, Meinung oder dergleichen. Das erweckt den Eindruck, als gäbe es zu der vorgestellten Gedankenwelt keinen anderen Zugang als den, sich gänzlich in sie zu begeben. Eine dialogorientierte Erschließung ist nicht Gegenstand des Buches. Dass es sie einmal gibt, kann man nach seiner Lektüre allerdings wünschen.