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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

935-937

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Crone, Katja, Schnepf, Robert, u. Jürgen Stolzenberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Über die Seele.

Verlag:

Berlin: Suhrkamp 2010 (2. Aufl. 2011). 479 S. kl.8° = Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1916. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-518-29516-8.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Der Sammelband hat sich zum Ziel gesetzt, das philosophische »Mind-Body-Problem«, das sich nur in bestimmten Problem- und Theoriekonstellationen so stelle, wie es heute diskutiert werde, in seinen Zusammenhängen durch einen Blick in die Philosophiegeschichte näher zu beleuchten und »bedeutende und wirkungsmächtige Positionen« zur vergleichenden Diskussion vorzustellen. Dazu haben die Herausgeber, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, 21 Aufsätze verschieden ausgewiesener Fachleute, die auf den Seiten 474 ff. knapp vorgestellt werden, präsentiert.
Der Band ist in drei große Abschnitte gegliedert: »I. Funktionen der Seele in Antike und Mittelalter, II. Transformationen des Seelenbegriffs in Neuzeit und Moderne, III. Seele, Geist und Bewusstsein in der aktuellen Diskussion«. In Teil I entfalten die Autoren Thomas Alexander Szlezák, Dorothea Frede, Jens Halfwassen und Christoph Horn unter unterschiedlichen Aspekten Positionen Platons, Aristoteles’, Plotins und Augustinus’. Der Seelebegriff Platons ist Zentrum seiner Philosophie, die Dreiteilung der Seele wird in Szlezáks Aufsatz durch eine Parallelisierung zu Freud (Es, Ich, Über-Ich) und zur Existenzphilosophie aktualisiert, die Grundlagen Platons in der griechischen Tradition, von Homer bis zu den Vorsokratikern, werden dargestellt. Sodann werden zehn Beispiele platonischen Redens über die Psyche aus seinen Schriften Theaitetos, Phaidros, Politeia und Phaidon gegeben, wobei die Zitate den Reifungsprozess des Philosophen durch ihre steigernde Anordnung wiederzugeben versuchen und die Politeia mehrfach zitieren. Die anschließende Auswertung zeigt Platons Dreiteilung als Modell für Sigmund Freud. Der Autor geht auf die Unsterblichkeit der Seele bei Platon genauso ein wie auf ihre ontologische Konstitution, den Standort der Seele zwischen Ideenwelt und Sinneswelt, um mit dem ethischen Aspekt, dem Ziel einer ›Angleichung der Seele an Gott‹ zu schließen. Dorothea Frede entfaltet den Seelenbegriff des Aristoteles unter dem Aspekt des freien Willens. Dabei zeigt sie, dass Determiniertheit durch den Charakter kein Negativum ist für Aristoteles, dass man nach Auffassung des Philosophen es wohl in der Hand habe, wie man werde, allerdings nur in eingeschränktem Maße. Sie stellt Aristoteles als ethischen Deterministen dar, dem lediglich in der Wahl der Mittel zur Erfüllung seiner ethischen Bestimmung eine gewisse Freiheit zukomme, weshalb der Begriff des Willens zur Beschreibung seiner Philosophie wenig geeignet sei. Halfwassens Verhältnisbestimmung von Seele und Geist bei Plotin beschreibt die neuplatonische Position, die die Seele als Emanation, als Selbstentfaltung des Geistes ansieht, deren Wesen das Denken sei. Der Autor stellt dies in die Tradition Platons, zeigt aber auch auf, wie weit hier Descartes, aber auch Positionen des deutschen Idealismus (Schelling, Fichte, Hölderlin) vorweggenommen werden. Die intellektuelle Anschauung werde zu einer genuin philosophischen Form mystischer Erfahrung. Im anschließenden Aufsatz von Christoph Horn ist die Darstellung der trinitarischen Struktur des menschlichen Geistes ebenso von besonderem Interesse wie die Darstellung von Augustinus als dem ersten Philosophen mit einem ausgeprägten Willensbegriff im Sinne eines radikal freien Entscheidungsvermögens.
Der 2. Abschnitt (Transformation des Seelenbegriffs in Neuzeit und Moderne) beginnt interessanterweise mit einem Aufsatz von Burkhard Mojsisch zum bekanntesten Vertreter der Sterblichkeit der Seele in der Renaissance, Pietro Pomponazzi, berücksichtigt dann Descartes und seinen Dualismus, um weiter die verschiedenen Auffassungen im Verlauf der Philosophiegeschichte von den weiteren Autoren darstellen zu lassen. Hume, Wolff und Hegel, der noch einmal mit Platon und Aristoteles verglichen wird, kommen darin vor, Dilthey, Heidegger und Husserl, Plessner und Freud, interessanterweise ist der Auffassung Kants keine eigene Darstellung gewidmet.
Die aktuelle Diskussion im 3. Teil bezieht in die Betrachtung Ergebnisse moderner naturwissenschaftlicher Forschung ein. So lassen Konrad Cramer und Jürgen Stolzenberg in ihrem Aufsatz »Geist und Materie. Ein Dialog« einen Neurophilosophen und ein »Ich« diskutieren und greifen so m. E. die platonische Dialogform auf, um dem Ich das letzte Wort zu geben in einer Art geistiger Selbstbehauptung gegen die Auffassung des Neurophilosophen, Mentales aus Materiellem zu erklären. Interessant ist auch der Aufsatz von Uwe Meixner, der einen metaphysischen Seelebegriff nicht allein dem Menschen als Lebewesen reservieren will. Der abschließende Aufsatz von Ansgar Beckermann »Die Rede von dem Ich und dem Selbst. Sprachwidrig und philosophisch höchst problematisch« stellt die philosophische Differenzierung zwischen »Ich« und »Selbst« einer Sprachkritik, die in der philosophischen Tradition Ludwig Wittgensteins steht.
Insgesamt bietet der Band unter dem Aspekt des Seelebegriffs eine instruktive Entfaltung philosophischer Positionen, die in historischer Ordnung präsentiert werden und im letzten Teil den Dialog mit den Naturwissenschaften verstärkt einbeziehen.