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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

932-933

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schlögl-Flierl, Kerstin

Titel/Untertitel:

Das Glück – Literarische Sensorien und theologisch-ethische Reaktionen. Eine historisch-systematische Annäherung an das Thema des Glücks.

Verlag:

Berlin: LIT 2007. 362 S. gr.8° = Studien der Moraltheologie, 36. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-9955-4.

Rezensent:

Rochus Leonhardt

Diese Publikation ist die Druckfassung der Dissertation von Kerstin Schlögl-Flierl, die im Wintersemester 2005/06 von der Regensburger Katholisch-Theologischen Fakultät angenommen wurde. Die Arbeit ist auf den ersten Blick klar gegliedert. An eine Einleitung (17–49) schließen sich vier Hauptteile und ein kurzer Schluss­abschnitt an. Am Anfang steht die Behandlung des Glücksthemas in der Theologiegeschichte sowie im gegenwärtigen theologischen Diskurs (51–173). Es folgt eine Verhältnisbestimmung von Theologie und Literatur bzw. Literaturwissenschaft (175–214). Damit ist die Brücke geschlagen zur Analyse von Glücksvorstellungen in ausgewählten literarischen Werken der deutschsprachigen Literatur zwischen 1982/83 und 2002 (215–292). Es folgen eine Synthese (293–313) und ein kurzer Schlussabschnitt (315–317).
Die Einleitung ist recht umfangreich ausgefallen. Dies hat damit zu tun, dass die Vfn. hier nicht, wie man es erwarten würde, das Thema im Blick auf die Forschungslage in der (katholischen) Theologie ventiliert, eingrenzt und profiliert. Vielmehr werden vor allem einschlägige Glücksvorstellungen aus der vorchristlich-antiken und zeitgenössischen Philosophie kurz referiert. Der erste Hauptteil – mit gut 120 Seiten der umfangreichste Abschnitt des Buches – ist zunächst einer weiteren Bestandsaufnahme gewidmet; in diesem Fall stehen theologisch dominierte Ansätze im Vordergrund, na­mentlich die Glückskonzepte von Augustinus, Boethius und Thomas von Aquin. Dann liefert die Vfn. die – in der Einleitung vermissten – Hinweise zum gegenwärtigen Forschungsstand nach, wobei auch neuere Beiträge aus evangelischer Hand gewürdigt werden. Einigermaßen skurril wirkt es, wenn im Abschnitt über »Die lehramtliche Verkündigung über das Glück« (126–132) als evangelisches Beispiel der Erwachsenenkatechismus von 1975 behandelt wird.
Der zweite Hauptteil möchte eine »hermeneutische Grundlegung« für den Dialog »zwischen Literatur(-wissenschaft) und Theologie« liefern (175). Nach kurzen Referaten einschlägiger Versuche aus beiden Disziplinen, zwischen diesen Bereichen eine Be­ziehung herzustellen, untersucht die Vfn. die »Relation von Literatur und Ethik, um die methodische Vorgehensweise für die literarische Glückssuche in Teil C [scil. im dritten Hauptteil] offen zu legen« (199). Dabei orientiert sie sich stark am ethical criticism von Martha Nussbaum, einem Ansatz, nach dem die emotionale Ebene ethischer Orientierung durch die Begegnung mit Literatur geprägt werden kann. Eingedenk der gegen Nussbaum vorgebrachten Kritik möchte die Vfn. allerdings den Eindruck vermeiden, sie würde die literarischen Texte nur als Exempel für eine schon fertige Theorie verwenden; sie sieht sie deshalb »nicht als Teil der Beweisführung, sondern als Quelle an« (212).
Im Kernabschnitt des dritten Hauptteils (223–285) werden auf gut 60 Seiten sieben literarische Texte auf ihren Beitrag zur Glücksthematik hin abgeklopft, wobei (plausiblerweise) primär die Einstellungen und Handlungen der Protagonisten und Nebenfiguren berücksichtigt werden. Es handelt sich um Schriften von Peter Handke, Christoph Hein, Botho Strauß, Alois Hotschnig, Adolf Muschg, Martin Walser und Sybille Berg. Schon die Menge des Textmaterials in Relation zum Umfang des Abschnitts verrät, dass die Analysen schwerlich in die Tiefe gehen können, zumal die Vfn. gelegentlich auch noch die Werkkontexte und die zeitgenössische Rezeption berücksichtigt. Dies alles hat zur Folge, dass sie zu einer wirklichen Eigeninterpretation ihrer literarischen Glücksparadigmen gar nicht vorstößt. Es bleibt bei eher flüchtigen Bestandsaufnahmen, die anschließend (286 ff.) systematisiert werden, wobei auf (unvermittelt eingeführte) Schemata zurückgegriffen wird, die von dem Psychologen Philipp Mayring und dem Soziologen Gerhard Schulze entwickelt worden sind.
Den Übergang zur im vierten Hauptteil beabsichtigten »Synthese« bildet eine Bestimmung des Glücks als Mehrwert: »Glück er­scheint weiterhin als Mehrwert, denn sonst würden es die Menschen nicht so eifrig anstreben« (291). – Auf etwa 20 Seiten versucht die Vfn. nun, dieses Mehr »mit Hilfe der Theologie zu füllen« (293). Sie möchte damit, wie es auf der letzten Textseite des Buches heißt, der Herausforderung gerecht werden, »eine theozentrische Verknüpfung mit dem Glück zu leisten« (317). Dazu werden in zehn Punkten die in den literarischen Texten identifizierten Dimensionen des Glücks mit ausgewählten theologischen Topoi verbunden.
(Erst) hier erschließt sich dem Leser der Zweck des ausführlichen ersten Hauptteils: Auf die dort recht eingehend dargestellten Positionen rekurriert die Vfn. jetzt gelegentlich, wenn es um die Formulierung eines theologischen Beitrags zu den verschiedenen Glücksdimensionen geht. Ein Beispiel für die Argumentation: In mehreren der literarischen Texte wird die Glückssuche der Figuren durch Leid­erfahrungen irritiert. Aus theologischer Sicht aber sind Leiderfahrungen immer auch Bestandteil des Glücksbegriffs: »Die Botschaft vom Kreuz erinnert an das mögliche Scheitern, aber auch das Gelingen menschlichen Daseins.« (304) Dieser Gedanke wird wiederum angereichert durch den Rückverweis auf Boethius; in dessen Schrift über den Trost der Philosophie werde ein solcher integrativer und von der Fokussierung auf die affektive Dimension gereinigter Glücks­begriff entwickelt.
Die Vfn. präsentiert in ihrer Arbeit eine Fülle an interessantem Material, insbesondere was den Dialog zwischen Literaturwissenschaft und Theologie über das Glück angeht. Dies kann jedoch nicht über die teilweise gravierenden Schwächen inhaltlicher und formaler Art hinwegtäuschen. Der inhaltliche Hauptmangel des Buches besteht darin, dass die Vfn. es nicht vermocht hat, identifizierbare Schneisen in die Materialfülle zu schlagen.
Schon die Frage, was eigentlich der Primärgegenstand der Arbeit sei, die theo­logisch-philosophischen Glücksdebatten aus Tradition und Ge­genwart (Einleitung und erster Hauptteil) oder die mit dem Glücks­thema befassten literarischen Texte ([zweiter und] dritter Hauptteil), ist für den Leser nicht gut zu beantworten. Diese Un­entschiedenheit hat eine gewisse Oberflächlichkeit in der Durchführung zur Folge, so dass die Ergebnisse der Untersuchungen eine Tendenz zur Trivialität aufweisen: Die Darstellungen der traditionellen Positionen sind nicht innovativ, sondern referieren nur längst Bekanntes; die Interpretationen der literarischen Texte sind unstrukturiert und kaum eigenständig. Das Ganze läuft darauf hinaus, dass die Konfrontation der literarischen Glücksvorstellungen mit verschiedenen theologischen Topoi (im vierten Hauptteil) keinerlei theologischen Erkenntnisgewinn erbringt.
In formaler Hinsicht ist vor allem das Fehlen eines Registerteils zu bemängeln. Überdies ist das Literaturverzeichnis (321–362) wegen seiner Doppelunterteilung nach Kapiteln sowie nach Primär- und Sekundärliteratur äußerst unübersichtlich geraten. Schließlich sind auf den Seiten 308–317 die Fußnoten 1303 bis 1307 nicht mit abgedruckt.