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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

181–184

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Keller, Albert

Titel/Untertitel:

Philosophie der Freiheit.

Verlag:

Graz-Wien-Köln: Styria 1994. 350 S. 8o. Kart. DM 56,­. ISBN 3-222-12294-6.

Rezensent:

Martin Bieler

In seiner "Philosphie der Freiheit" unternimmt es der seit 1969 an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München Philosophie lehrende Vf., die Grundstruktur der menschlichen Person und der individuellen Freiheit umfassend darzulegen. Er betont dabei zu Recht, daß "die menschliche Person Freiheit ist (nicht nur hat)" (18). Der Vf. bezeichnet die Freiheit unter Verweis auf Kant als eines der drei Hauptthemen der Philosophie: Sie steht neben der Lehre von der Wahrheit (Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie) und neben der Seins- und Gotteslehre (Metaphysik und Philosophische Gotteslehre) (16-17).

Ebenfalls an Kant orientiert ist der Aufriß des Buches. Der Vf. gliedert seine Arbeit gemäß den drei Fragen Kants nach dem uns möglichen Wissen, unserem Sollen und dem, was wir hoffen dürfen. Die ersten vier Kapitel befassen sich mit der Frage, was ich von der Freiheit wissen kann: 1. Was ist "Freiheit"?; 2. Gibt es Freiheit?; 3. Freiheit und Vernunft; 4. Freiheit und Personalität. Die folgenden Kapitel sind der Frage gewidmet, was ich mit der Freiheit tun soll: 5. Freiheit und Norm; 6. Freiheit und Mitmenschlichkeit; 7. Freiheit und Gesellschaft; 8. Freiheit und Welt. Die beiden Schlußkapitel orientieren sich an der Frage, was ich durch die Freiheit hoffen darf: 9. Freiheit und Glück; 10. Freiheit und Gott.

Die Stärke des Buches ist, daß sich der Vf. in geradezu enzyklopädischer Manier um Begriffserklärungen bemüht und das Phänomen der Freiheit mit den Mitteln der Alltagssprache zu erschließen versucht. Dies macht das Buch für einen ersten Einstieg in die Thematik geeignet. Zugleich macht es aber auch die Schwierigkeit dieses Buches aus, denn sein Argumentationsduktus macht es nicht ganz einfach, den (durchaus vorhandenen!) systematischen Grundlinien zu folgen. Auf jeden Fall wird man das Buch mit Gewinn lesen und anregende Entdeckungen darin machen. Als Beispiel sei nur die Bemerkung genannt, "es liege auch im Unsinn Sinn, wenn er nämlich frei macht" (312).

Der Ansatz des Vf.s im einleitenden Teil ist bewußt anthropozentrisch. Philosophie der Freiheit ist für ihn "Wissenschaft von der Freiheit in ihrer Bedeutung für den Menschen als Menschen". Freiheit faßt er dabei "vorläufig" als Fähigkeit, "sich selbst zu bestimmen und nicht völlig fremdbestimmt zu sein, sowie als deren Verwirklichung" (15). Dabei ist beim Menschen von der Selbstbestimmung auszugehen (110). Es gibt offensichtlich Stufen der Freiheit und die Möglichkeit, als Freiheit Freiheit zu gewinnen oder zu verlieren. Aufgrund der Weltgebundenheit des Menschen gehört die Fremdbestimmung zum Menschen. Unter "Fremdbestimmung" wird nicht nur das von außen Kommende, sondern auch eigene Triebe und Gewohnheiten verstanden (26).

Wichtig ist die Einsicht, daß nicht erst die voll entwickelten Fähigkeiten der Vernunft und der Freiheit einen Menschen zum Menschen machen, sondern bereits die Naturanlagen zu diesen Fähigkeiten (30; vgl. auch 165-167). In der Entwicklung und Entfaltung dieser Fähigkeiten wird dem Menschen die Welt erschlossen: ",Tätigkeit’ ist ein Aspekt, der unsere gesamte Weltsicht durchdringt. Nur was wirkt, erkennen wir als existent an, denn wir nennen es ’wirk’-lich, sprechen von ’Wirklichkeit’" (37). Der Vf. betont, daß unser eigenes Tun den Bezugspunkt bildet, von dem her wir beurteilen, was als Tätigkeit und mithin als Wirklichkeit gilt. Der Vf. betont, der Mensch deute die Welt zunächst anthropomorph (39). Wenn das so verstanden wird, daß alles, was erkannt wird, auf die Art und Weise des Erkennenden erkannt wird, dann braucht dies nicht auszuschließen, daß von uns zuerst sinnlich Begegnendes erkannt wird und wir erst von daher über unsere Fähigkeiten reflektieren können.

Im Versuch, das Ich zu verstehen, von dem unsere Welterkenntnis ausgeht, greift der Vf. auf Kants Unterscheidung zwischen transzendentalem und phänomenalem Ich zurück. Das transzendentale Ich ist außerhalb der Erfahrung (43), obwohl ohne es ein "vergleichendes und identifizierendes Erkennen" nicht möglich ist (61). Wenn empirisches und transzendentales Ich wirklich eins sein sollen (61), dann kann aber auch das, was Kant das transzendentale Ich nennt, nicht jeglicher Erfahrung entzogen sein. Die Transzendentalität des Ich muß vielmehr in jedem Bewußtseinsakt miterfahren werden. Nur so wird auch die menschliche Erfahrung der Zeitekstasen der Vergangenheit und der Zukunft verständlich.

Ebenfalls unbefriedigend bleibt die Auskunft, die Begriffe "Leib-Seele" einerseits und "Geist-Materie" andererseits seien für die Erörterung der Freiheitsproblematik entbehrlich (57-74). Ich sehe nicht, inwiefern es dem Vf. gelungen wäre, diese Begriffe und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen durch etwas Einleuchtenderes zu ersetzen.

In den ersten vier Kapiteln, die der Frage gewidmet sind, was wir von der Freiheit wissen können, befaßt sich der Vf. vor allem mit der menschlichen Selbsttätigkeit. Er orientiert sich dabei an der Einsicht, daß die Freiheit als Fähigkeit dadurch nachgewiesen wird, "daß der Mensch davon Gebrauch macht...: Wer etwas tut, der ist dazu auch fähig" (121). Die Tätigkeit des Menschen ist aber nicht nur maßgeblich zur Eruierung des Vermögens der Freiheit, sondern sie ist auch entscheidend für dessen Verwirklichung und Entwicklung: "Vielmehr müßte Freiheit völlig absterben, wenn sie dauernd brachläge" (79). Wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem Determinismus und der Hinweis darauf, daß die moderne Quantenphysik dem klassischen Determinismus seine Grundlagen entzogen hat (114-115).

Problematisch ist die Ablehnung der Frage nach dem Seelenvermögen des Menschen (130), weil dies einem Verzicht auf die Frage nach der Einheit des Menschen in der Vielfalt seiner Bezüge und Fähigkeiten gleichkommt. Auch der Vf. kommt nicht darum herum, ständig vom Willen im Unterschied zur Vernunft zu sprechen. Natürlich bilden Erkennen und Wollen und somit Vernunft und Wille im Menschen eine Einheit (157), aber offensichtlich sind sie zugleich voneinander zu unterscheiden, und es ist nicht unerheblich zu wissen, warum sie sich unterscheiden und inwiefern genau sie trotzdem eine Einheit bilden. Ohne den Rückgriff auf den Gedanken, daß verschiedene Vermögen aus der Seele als forma corporis resultieren und durch diese als ihrem Einheitsgrund miteinander vermittelt werden, dürften diese notwendigen Fragen kaum zu klären sein.

Das vierte Kapitel zu "Freiheit und Personalität" nimmt eine Schlüsselstellung ein. Hier wird noch einmal gegen die abstrusen Vorstellungen von P. Singer mit J. Gründel betont, die Würde der Person sei nicht eine Folge der Ausbildung der Persönlichkeit, sondern liege ihr voraus (168). Die Person des Menschen wird aber vom Vf. nicht als statische Substanz der Bewegung entgegengesetzt. Er plädiert vielmehr treffend für ein neues Verständnis von "Substanz": "Somit ist recht verstanden Substanz der Tendenz nicht gegenübergestellt, vielmehr läßt sich Substantialität ursprünglich nur als in sich stehendes Ausgerichtetsein feststellen" (179). Im Anschluß daran stellt sich die Frage, worauf dann der Mensch als Freiheit ausgerichtet ist. Das letzte, dem Menschen vorgegebene Ziel ist Freiheit: "Die Freiheit bildet das formal letzte Ziel des Menschen" (185).

Im fünften Kapitel wird weiter ausgeführt, wie diese Ausrichtung auf Freiheit das menschliche Handeln normiert. Pointiert wird gesagt: "Ethisch gut ist alles, insofern es frei macht" (206). Besonders gelungen scheinen mir in diesem Kapitel die Charakterisierungen verschiedener Formen heutiger Ethik (207-224) zu sein.

Im sechsten Kapitel wird gezeigt, wie die Ausrichtung des Menschen auf Freiheit notwendig impliziert, daß er sich auf den anderen Menschen bezieht, weil nur dieser einerseits ein endliches und damit konkret anstrebbares Ziel und andererseits kein nur vorläufiges Objekt ist: "Er ist zugleich endlich und in seiner Freiheit der Tendenz nach, die ihn ausmacht, unendlich" (235). Die Freiheit des anderen wird dabei nicht als Grenze, sondern als Freiheitseröffnung für mich verstanden (249). (Anders steht es mit den Freiheiten [Pl.!] des anderen, die die meinigen durchaus einschränken können [293].)

Im siebten Kapitel wird die Ausrichtung des Menschen auf andere Freiheit auf die Gemeinschaft und Gesellschaft hin ausgeweitet: "Gegenständliches Endziel des Menschen ist die freie Gemeinschaft freier Personen, die selbst auf Freiheit und Gemeinschaft aller Menschen ausgerichtet ist" (271).

Im achten Kapitel betont der Vf., daß alle natürlichen und kulturellen Güter im Hinblick auf die Ausrichtung des Menschen auf Freiheit zu betrachten sind. Das steht durchaus nicht im Gegensatz zum pfleglichen Umgang mit Natur und Kultur, sondern ist recht verstanden die unabdingbare Voraussetzung dafür.

Im neunten Kapitel versucht der Vf. zu zeigen, daß das Glück des Menschen in der Erfahrung der Freiheit, in der Erfahrung des ungehinderten Selbstbesitzes besteht (311). Dieser Selbstbesitz ist aber nur in Ausrichtung auf die Freiheit aller anderen möglich (313). Weil dieses Glück in der Geschichte nicht vollständig zu erreichen ist (315) und das Streben nach diesem Glück von der Schranke des Todes durchkreuzt wird (317-319), ist die Frage nach dem vollkommenen Glück des Menschen und damit die Frage nach dessen Freiheit nur als Frage nach der absoluten Freiheit, der Bedingung der Verwirklichung menschlicher Freiheit, möglich.

Diese Frage nimmt der Vf. im letzten Kapitel auf. Er versteht unter "Gott" mit Thomas von Aquin das ipsum esse subsistens (338), das Transzendent-Absolute, wobei unter "Absolutheit" keine schlechthinnige Beziehungslosigkeit, sondern Unbedingtheit zu verstehen ist (324). Erst durch den Bezug zum absoluten Sein findet die Freiheit den ihr gemäßen Horizont, auf den hin sie sich ausstrecken und einschränken kann. Weil dieser Horizont von uns aber nicht gegenständlich anstrebbar ist, können wir ihn gemäß dem Vf. nur in der Begegnung mit dem Nächsten mitbejahen. Und so lautet der Schluß des Buches: "Nur in der Nächstenliebe ist Gottesliebe möglich, und in dieser Einsicht besteht das Glück des Menschen und die einzige volle Verwirklichung seiner Freiheit" (341). Kritisch bleibt anzumerken, daß an dieser Stelle das Problem der Christologie (Vermittlung von Gottes- und Nächstenliebe/"Gegenständlichkeit" Gottes [K. Barth]) und das Gebet als "geschöpflicher Grundakt" (F. Ulrich) zumindest als Grenzperspektiven hätten erwähnt werden müssen.