Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2011

Spalte:

923-924

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Pugh, Jeffrey C.

Titel/Untertitel:

Religionless Christianity. Dietrich Bonhoeffer in Troubled Times. With a foreword by M. E. Marty.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2009. XVII, 171 S. gr.8°. Kart. £ 17,99. ISBN 978-0-567-03259-1.

Rezensent:

Stefan Heuser

In den anglo-amerikanischen Diskursen über die politischen und ökonomischen Krisenerfahrungen seit dem 11. September 2001 nehmen Theologen immer wieder auf Bonhoeffer Bezug. Jeffrey Pughs Buch »Religionless Christianity. Dietrich Bonhoeffer in Troubled Times« fügt sich in diesen seit Jahren ungebrochenen Trend. P., Professor für Religious Studies an der Elon-Universität in North Carolina, nennt als Motiv für seinen Rückgriff auf Bonhoeffer, dass dieser ihm dabei helfe, propagandistische Wirklichkeitskonstruktionen aus Politik und Ökonomie zu entlarven (13 f.). Dabei geht P. davon aus, dass heute noch dieselben »Mächte« wie zur Zeit Bonhoeffers am Werk sind (11). Diese Mächte seien heute auf dem Gipfel ihres Einflusses und manifestierten sich als Ideologien, als Krieg gegen den Terror, als Umweltzerstörung, Konsum, Folter und Unmoral. P. zufolge leben wir in einer Welt, »that seeks to create all in its image, to eradicate all difference, all resistance, that stands as the apex of the ›world come of age‹.« (67)
Bezugspunkt seiner Kritik ist stets die ganze, von Politik und Ökonomie seiner Ansicht nach fundamental korrumpierte »Welt«, auf die »das Christentum« eine religionslose Antwort finden müsse. Auf der Suche nach dieser Antwort nimmt P. Bonhoeffer für eine weitgehend analysefreie Fundamentalkritik an unseren »troubled times« in Anspruch. So wird Bonhoeffer bei P. zum Kronzeugen dafür, dass die westliche Rede von »Freiheit« und »Demokratie« bloß Rhetorik sei, »to mask a broader and more banal force – economic consumerism« (16 f.). An anderer Stelle beansprucht P. Bonhoeffers Kritik am Heilsindividualismus für eine Pauschalkritik am normativen Individualismus (79). Selbst bei den Befürwortern der Folter in seinem Land meint P. eine »preoccupation with the individual at the expense of the larger community« erkennen zu können, die auch »discomforting to Bonhoeffer« (79) gewesen sei. Solche schwer nachvollziehbaren Behauptungen und Bezüge zu Bonhoeffer gibt es in P.s Buch zuhauf. An die Stelle von Analysen gesellschaftlicher Phänomene setzt P. den Verdacht auf im Hintergrund wirkende »Mächte«. Zugleich kommt es bei ihm trotz offenkundiger Kenntnis der »Dietrich Bonhoeffer Works« zu keiner echten Auseinandersetzung mit Bonhoeffer. Im Kapitel »Only the suffering God can help« (96 ff.) bietet P. zwar eine originelle Rekonstruktion von Bonhoeffers Kreuzestheologie, geht aber nicht näher auf die christologischen und ekklesiologischen Spannungen in Bonhoeffers Schriften ein. Das Buch schließt mit der Vision eines religionslosen Christentums (140 ff.). P. stellt sich darunter eine globale, von Arkandisziplin geformte Gemeinschaft vor, deren Mitglieder frei von weltlichen Ordnungen und Mächten sind und als eine Art freischwebende Weltchristenbürger Gottes versöhnende Gegenwart in einer Wirklichkeit verkörpern, die in die eigene Selbstzerstörung verliebt ist (161 f.).
In den USA ist P.s Buch auf reges Interesse gestoßen. Sein von selektiver und instrumentalisierender Bonhoefferlektüre befeuerter Abgesang auf die politischen und ökonomischen Institutionen einer »mündig gewordenen Welt« scheint dort einen Nerv zu treffen. P. schreibt über sich: »I exist within the current, but quickly fading, empire of America (there will be others after us) and as far as I can tell there is little to no Christian witness that could indicate we are prepared to enter into the absence of God that Bonhoeffer experienced later in his life.« (129) Wenn sich dies mit der Selbstbeschreibung anderer akademischer Theologen im us-amerikanischen Kontext deckt, ist P.s Buch als Zeitzeugnis interessant. Wer aber einen Beitrag zur Bonhoeffer-Forschung oder fundierte Analysen gegenwärtiger gesellschaftlicher Pathologien sucht, wird bei P. nicht fündig.