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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

911-913

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Heitz-Muller, Anne-Marie

Titel/Untertitel:

Femmes et Réformation à Strasbourg (1521–1549).

Verlag:

Paris: Presses Universitaires de France 2009. IV, 275 S. gr.8° = Études d’histoire et de philosophie religieuses, 84. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-2-13-057780-5.

Rezensent:

Malte van Spankeren

Anne-Marie Heitz-Mullers detailreiche Studie über das Alltagsleben der Straßburger Frauen in der ersten Hälfte des 16. Jh.s zeigt exemplarisch die Bedingungen weiblichen Lebens und Arbeitens während der Reformationszeit. Dafür werden in zwei Hauptteilen u. a. die Mädchenerziehung, die Rolle der Frau im wirtschaftlichen und sozialen Leben, das Familienleben im Allgemeinen und das Verständnis der Ehe im Besonderen untersucht.
Im ersten Hauptteil (17–96) werden zunächst wichtige Entwick­lungen im Straßburger Erziehungswesen nachgezeichnet. Im Kapitel L’éducation (17–50) analysiert die Vfn., wie die pädagogisch versierten Straßburger Reformatoren (insbesondere Martin Bucer) die bislang unzureichende Mädchenerziehung verbesserten. Seit 1524 ersuchten sie in Petitionen den Straßburger Magistrat um eine Neuorganisation des Erziehungswesens. In der Folge wurden spezielle Mädchenschulen neu organisiert und diese regelmäßig visitiert. Auch wenn die Vfn. glaubt, die Straßburger Reformatoren »ne jouèrent donc pas un r oˆ le direct dans le développement des écoles de filles à Strasbourg« (42), verweist sie andererseits doch auf ihr frühes und entschiedenes Eintreten für eine verbesserte Mädchenbildung. Bezüglich ihres tatsächlichen Einflusses hätte man sich als Leser deshalb hier mehr sachdienliche Informationen ge­wünscht. Über die Bildungschancen der Straßburger Mädchen kommt die Vfn. zu der abschließenden Einschätzung: »Comparées aux filles d’autres villes allemandes de cette époque, les jeunes Strasbourgeoises pouvaient s’estimer particulièrement bien pourvues en matière d’éducation.« (49)
Im zweiten Kapitel, Le travail (51–96), stellt die Vfn. verschiedene Arbeitsbereiche von Straßburger Frauen vor. Straßburg profitierte für seinen nationalen und internationalen Handel von einer effizienten innerstädtischen Arbeitsorganisation. Diese wurde im Wesentlichen von den verschiedenen Korporationen getragen, zu deren Mitgliedern viele Witwen zählten. Diese »jouèrent un roˆ le économique important« (54) in den Bereichen des Handels, der Schneiderei und des Webens. Ermöglicht wurde dies von einer für die Straßburger Korporationen spezifischen Aufgeschlossenheit gegenüber weiblicher Geschäftstätigkeit (67, Anm. 3). Die Hauptaufgaben der Frauen waren der Verkauf, die Buchführung sowie die Delegierung und Bezahlung der Tagelöhner; außerdem vertraten sie ihre Ehemänner bei deren Abwesenheit. Ferner werden die Arbeitsbedingungen der weiblichen Tagelöhnerinnen und die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten der Dienstbotinnen, die sich in Straßburg während der Reformationszeit zunehmend verbesserten, geschildert. Abschließend stellt die Vfn. die verschiedenen Arbeitsbereiche im Straßburger Gesundheitswesen, in dem die weiblichen Arbeitskräfte insbesondere als Pflegerinnen und Heb­ammen arbeiteten, vor, und gibt am Beispiel des Handbuchs Der Schwangern Frauwen und hebamen Rosengarten von Eucharius Rösslin dem Älteren einen Einblick in die zeitgenössische Theorie und Praxis der Hebammentätigkeit (90–95).
Der zweite Hauptteil (97–247) wird mit dem ausführlichsten Kapitel des Buches, Le mariage (99–179), eröffnet. Hier zeigt die Vfn., wie sich durch eine von den Straßburger Reformatoren und ihren Ehefrauen popularisierte neue Sichtweise auf die Ehe und die jeweilige Rolle des Ehepartners das Verständnis der Ehe in Straßburg während der Reformationszeit wandelte. Anders als die von Augustin geprägte und im Mittelalter populäre Auffassung vom dreifachen Zweck der Ehe als Fortpflanzungsmöglichkeit, als ge­genseitiger Beistand und zur Sublimierung der Lüste, legten die Straßburger Reformatoren, allen voran Bucer, den entscheidenden Akzent auf die eheliche Gemeinschaft, die ihnen als »le meilleur moyen de vivre conformément à la volonté divine« (109) galt. Wie die Vfn. analysiert, avancierte für Bucer die Ehe, die er in seiner Schrift Von der Ehe und Ehescheidung ausführlich verhandelte, zu einer »clé pour une vie chrétienne« (109).
Für Straßburg kam der 1523 zwischen Katharina und Matthäus Zell geschlossenen Ehe besondere Bedeutung zu. Denn M. Zell begründete diesen Aufsehen erregenden Entschluss unter Berufung auf die ersten beiden Kapitel der Genesis und überwand in diesem Zusammenhang die Auffassung von der Unterwerfung der Frau in der Ehe zugunsten einer harmonischen Partnerschaft: »L’homme et la femme, appelés à devenir un seul être dans le mariage, formaient par leur union un être plein, entier et parfait« (117). Für Katharina Zell war der Bund fürs Leben eng mit der menschlichen Natur verknüpft, denn Gott habe die Ehe »allen menschen … ingepflantzt in der ersten Schöpfung« (111, Anm. 4). Anschließend zeichnet die Vfn. nach, wie die Straßburger Reformatoren unter Berufung auf Eph 5 die gegenseitigen Pflichten der Ehepartner definierten. Am Beispiel von Katharina und Matthäus Zell wird veranschaulicht, wie dieses Rollenverständnis konkret ausgestaltet wurde (126 f.).
Nachfolgend werden einige Straßburger Pfarrersfrauen näher vorgestellt, unter ihnen Margarete Drenss (Trenz), die 1524 Kaspar Hedio heiratete. Anhand ihrer Vermählung und der dadurch ausgelösten Debatte ist es möglich, einen instruktiven Einblick in die kontroversen zeitgenössischen Diskussionen über die Eheschließung eines Straßburger Pfarrers zu gewinnen. Denn der Bruder der Ehefrau, Augustin Drenss, forderte unter Berufung auf die Tradition vom Straßburger Magistrat, diese unbotmäßige Ehe zwischen einem Pfarrer und seiner Schwester zu lösen. Daraufhin schaltete sich die Mutter, Agnes Drenss, in diese Diskussion ein und verteidigte die Legitimität dieser Ehe kraft ihrer mütterlichen Autorität (»Dan die dochter mein und nit meins sons ist« [150, Anm. 5]). Anschaulich zeigt die Vfn., wie sich die Mutter in der Auseinandersetzung mit dem Sohn die Argumentationsstrategien der Reformatoren aneignet, um die Entscheidung ihrer Tochter zu rechtfertigen (hier 151). Gleichzeitig stand der Bruder stellvertretend für diejenigen Straßburger Bürger, welche die Eheschließungen ihrer Pfarrer rundweg ablehnten. Weitere zeitgenössische Kritiken an der Eheschließung von Straßburger Pfarrern werden im Anschluss wie­dergegeben, wobei die Kri tiker vor allem den Frauen einseitig die Schuld zu geben suchten. Eine gegen diese teils barschen Kritiken verfasste apologetische Schrift Katharina Zells, die 1524 publizierte Entschuldigung, wird von der Vfn. in der Folge einer detaillierten Analyse unterzogen. Zells Hauptargument für ihre Eheschließung ist der daraus resultierende, positive Einfluss auf einen wahrhaft christlichen Lebenswandel (175).
Aus dieser Neubewertung der Ehe resultierten auch Folgen für die eheliche Sexualität. Diese werden im abschließenden vierten Kapitel, Le corps des femmes et la maternité (181–240), näher be­leuchtet. Hier zeigt die Vfn., wie die Straßburger Reformatoren die eheliche Sexualität beurteilten: »Selon eux, la sexualité faisait partie intégrante du mariage et ne pouvait donc pas être considérée comme impure.« (197) Weil die eheliche Sexualität für sie nicht mehr primär der Fortpflanzung diente, sondern vielmehr der liebenden Verbindung der Partner entsprang, sprach Bucer auch unfruchtbaren Paaren eine positive Wertung ihrer Sexualität zu, worin die Vfn. »un point de vue radicalement neuf« (215) sieht.
In einer Schlussbetrachtung (241–247) wird die von der Reformation bewirkte Aufwertung des Ansehens verheirateter Frauen für Straßburg nachdrücklich betont: »La femme n’était plus alors simplement l’amante et la mère, mais aussi et surtout l’aide et la compagne de son époux« (244). Die daraus resultierenden Rückwirkungen auf das Frauenbild und das Eheverständnis hat die Vfn. für eine bestimmte Zeitspanne und für einen umgrenzten Raum facettenreich analysiert.