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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

910-911

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Camerarius, Joachim

Titel/Untertitel:

Das Leben Philipp Melanchthons. Übers. v. V. Werner. M. e. Einführung u. Anmerkungen versehen v. H. Scheible.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. 303 S. m. Abb. gr.8° = Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 12. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02787-3.

Rezensent:

A. B.

Der reformatorisch gesinnte Altphilologe und Humanist Joachim Camerarius (1500–1574) war der vertrauteste unter den Freunden Philipp Melanchthons. An dessen Sterbelager versicherten sich die beiden im April 1560 noch einmal ihrer mittlerweile 40 Jahre währenden engen Verbundenheit. Nach dem Tod Melanchthons hielt Camerarius an dieser Treue unbeirrt fest und veröffentlichte nicht allein die an ihn gerichteten Briefe (1569), sondern auch die erste, 1566 publizierte Lebensbeschreibung des praeceptor Germaniae: »De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte«. Sie hat bis ins 19. Jh. etliche Nachdrucke erfahren und das Bild des Reformators auf Jahrhunderte hinaus nachhaltig geprägt.
C. verfasste, auch unter den Maßstäben seiner Zeit, keine wissenschaftliche Biographie. Ihm lag vielmehr daran, den Verdächtigungen und Vereinnahmungen, denen er Melanchthon ausgesetzt sah, mit einer durch persönliches Erleben verifizierten Verteidigungsschrift entgegenzutreten. Seine Darstellung folgt im We­sentlichen einer chronologischen Ordnung, wird aber immer wieder durch Abschweifungen und Einschübe allgemeiner Art unterbrochen. Während die pessimistische Tonlage, die dabei zumeist dominiert, vornehmlich als ein unmittelbarer Reflex der Gemütslage des greisen Biographen erscheint, bleiben dessen zahlreiche Erlebnisberichte, die auf ein breites reformationsgeschichtliches Personal ausgreifen, von unersetztem historiographischen Wert. Neben dem unmittelbaren Zugang, den Melanchthons Briefe und Schriften gestatten, stellt diese vom Geist einer unbedingten Freundschaft durchtränkte Biographie eine durch Augenzeugenschaft beglaubigte frühe Deutung des Reformators bereit.
Die 1777 von Georg Theodor Strobel besorgte Ausgabe suchte die Rezeption dadurch zu erleichtern, dass sie in den fortlaufenden Text gliedernde Kapitelüberschriften einfügte. Diese Orientierungshilfe übernahm der hier anzuzeigende Band, mit dem erstmals, angesichts anhaltend schwindender Latinität, eine deutsche Übersetzung jener Biographie vorgelegt wird. Die Übertragung erweist sich durchweg als trefflich. Zusätzliche Erleichterung findet der Leser in einem knapp kommentierten Personenregister, erst recht aber in den von Heinz Scheible kundig besorgten, ebenso bündigen wie präzisen Anmerkungen, die ihn einmal mehr als den Nestor der modernen Melanchthonforschung ausweisen.