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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

906-908

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Horn, Cornelia B., and Robert R. Phenix [Eds.]

Titel/Untertitel:

Children in Late Ancient Christianity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XXVI, 497 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum. Studies and Texts in Antiquity and Christianity, 58. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-150235-4.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Seit einem guten Jahrzehnt ist in den Geisteswissenschaften ein verstärktes Interesse am Thema »Kind« festzustellen, das sich auch in der Theologie und ihren verschiedenen Fächern in einer Fülle gewichtiger Publikationen niedergeschlagen hat. In diesen Rahmen gehört auch der vorliegende neutestamentlich-patristische Sammelband, der zugleich jüdische und pagane Quellen und die apokryphe Literatur mit berücksichtigt.
Angeregt wurde der Band durch Gespräche im Zusammenhang des Jahrestreffens der nordamerikanischen SBL 2007 in San Diego. Die Herausgeberin Cornelia B. Horn ist als Professorin für griechische und orientalische Patristik an der Saint Louis University tätig; von ihr liegt eine Fülle von Publikationen zur spätantiken Chris­tenheit vor. Robert R. Phenix ist durch seine Arbeit am Orientalischen Seminar der Universität Tübingen als Kenner orientalischer christlicher Quellen ausgewiesen (Rhetoric and Interpretation in Fifth Century Syriac Literature, STAC 50, Tübingen 2008).
Entstanden ist eine Kollektion von 14 Aufsätzen. Wünschenswert und mit leichter Hand herzustellen gewesen wäre eine Liste mit Kurzinformationen über die akademischen Biographien der Beiträger, gerade angesichts der Tatsache, dass diese meist zur etwas jüngeren und (noch) weniger arrivierten Forschergeneration zählen; so muss man sich die Informationen recht mühsam selbst zusammensuchen. Hilfreich sind indes die ausführlichen Indizes am Ende (469–497), die den Band in vier verschiedenen Rubriken (antike Quellen, moderne Autoren, ausgewählte Begriffe, ausgewählte Themen) erschließen helfen.
Drei der 14 Beiträge stammen aus der Feder der Mitherausgeberin. In anregenden Studien, die eine gute Vertrautheit mit einem großen Spektrum literarischer Quellen beweisen, analysiert Cornelia B. Horn das Bild von Kindern in den Briefen der kappadokischen Theologen Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea (103–141), untersucht das Phänomen von Krankheit und Heilung von Kindern im Spiegel von apokryphen Akten, Evangelien und verwandter Literatur (171–197) und behandelt unter dem Obertitel »Raising Martyrs and Ascetics« Rollenmodelle, die für die Erziehung von Kindern in der frühen Christenheit offenbar typisch waren.
Die ersten beiden Aufsätze der Sammlung beschäftigen sich mit den Kindheitsgeschichten Jesu im Kindheitsevangelium des Thomas. Reidar Aasgaard (1–27) interpretiert den Text präzise von der kulturellen und gesellschaftlichen Positionierung von Kindern in der Spätantike her. Hieran anschließend zeigt Tony Burke (29–43), von den Analysen seiner 2001 in Toronto abgeschlossenen Dissertation (demnächst in CChr.SA: Evangelium Thomae de infantia Salvatoris Graece) ausgehend, wie das Jesusbild in den Kindheitsgeschichten im Vergleich mit zeitgenössischen Vorstellungen über Kinder eine teilweise Rehabilitierung erfahren oder zumindest besser verstanden werden kann.
Die folgenden, bisweilen etwas lose zusammenhängenden Aufsätze widmen sich auf teils sehr unterschiedlicher Quellenbasis zahlreichen verschiedenen Facetten des Gesamtthemas »Kind in der christlichen Spätantike«. Inta Ivanovska (45–73) untersucht vergleichend Aussagen zur Kindertaufe bei Cyprian und bei Augustin. Carole Monica C. Burnett (75–101) geht in den Texten der griechischen und lateinischen Kirchenväter Spuren nach, die Rückschlüsse auf Formen und Entwicklung von Mutter-Kind-Beziehungen in der Antike ermöglichen. Der nicht zuletzt medizinhistorisch interessante Aufsatz von Susan R. Holman (143–170) kondensiert aus medizinischen Traktaten der Antike wichtige Erkenntnisse zur Frage der Behandlung erkrankter Kinder durch Ärzte und Heiler heraus. Nicole Kelleys Beitrag (199–255) untersucht das Phänomen von körperlicher Deformation und Behinderung von Kindern vor dem Hintergrund seiner theologischen Deutung in den Kategorien von Sünde, Natur oder auch Schicksal bzw. Fügung. John W. Martens geht in seinem Aufsatz (227–254) der strikten Polemik gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern in der frühen christlichen Literatur nach; entstanden ist eine Wortuntersuchung zum Gebrauch des Verbes »paidophthoreo« und des Substantivs »paidophthoros« mit Blick auf benachbarte Begriffe, wobei einschlägiges Material von 1Kor 6 bis hin zu Texten des Johannes Chrysostomus Berücksichtigung findet. Der Beitrag von Ville Vuolanto (255–291) behandelt in höchst anregender Weise die innerfamiliären Konfliktlinien, die sich zwischen Kindern und Eltern bei der Entscheidung zu einem asketischen Leben ergeben konnten. Carrie Schroeders Artikel »Children and Egyptian Monasticism« (317–338) untersucht die Spuren von Nachrichten über Kinder in den Apo­-phthegmata Patrum und in Mönchsviten und zeigt, dass die allmähliche Integration von Kindern in die ägyptischen monastischen Verbände sich bis ins 6. und 7. Jh. hinein hinzog. Der Aufsatz von Chrysi Kotsifou (339–373) erweitert das ohnehin breite Spektrum behandelter literarischer Quellen um die Analyse von Papyri unter der Fragestellung nach der Stellung von Waisenkindern in der spätantiken Christenheit. Robert R. Phenix’ Beitrag über den Anteil sozialwissenschaftlicher Forschung an wissenschaftlichen Untersuchungen zum Phänomen »Kindheit« im vormodernen Äthiopien (375–405), der sich an andere Studien desselben Verfassers an­schließt, bietet eine sorgfältige Methodendiskussion anhand eines auch in der Orientwissenschaft weniger stark beachteten regionalen Beispiels.
Trotz des inhaltlich recht breiten Spektrums der Studien lassen sich sachliche Schwerpunkte ausmachen, z. B. in den Themenbereichen »Kinder und Krankheit« oder »Kinder und Monastizis­mus/Asketizismus«. Das bei Sammelbänden mitunter auftretende Problem mangelhafter Kohärenz zwischen den einzelnen Beiträgen wird dadurch partiell entschärft.
Die »Introduction« der Herausgeber (XIII–XXVI) wäre noch besser geworden, wenn sie sich an einer knappen, konzentrierten Ertragssicherung für den Gesamtband versucht hätte. Hilfreich ist jedoch der Ausblick auf zukünftige, weitergehende Forschungen zum Thema (XXV f.), in denen der in vorliegendem Band eingeschlagene traditionelle Weg der historisch-kritischen Textanalyse verbreitert werden soll, indem z. B. durch gezielte Anwendung eines sozialanthropologischen Methodenspektrums Kriterien für einen breiten wissenschaftlichen Zugang zur sozialen und kulturellen Anthropologie von Kindern in Antike und Spätantike zu gewinnen wären. Auf derlei Forschungen darf man bereits freudig gespannt sein, wie umgekehrt angesichts der Qualität des hier vorliegenden Bandes festzustehen scheint, dass ebendiese zukünftigen Forschungen von der Sammlung »Children in Late Ancient Christianity« angeregt werden und von ihr profitieren dürften.