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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

893-895

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Majoros-Danowski, Johannes

Titel/Untertitel:

Elija im Markusevangelium. Ein Buch im Kontext des Judentums.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 284 S. m. Abb. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 180. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-020438-6.

Rezensent:

Markus Öhler

Die Arbeit, eine Dissertation bei Klaus Wengst an der Ruhr-Universität Bochum, will ein »Baustein« sein, »der einer Neubesinnung der christlichen Theologie und der Kirchen in ihrem Verhältnis zum Judentum dient« (9). Diesem Interesse entsprechend datiert Johannes Majoros-Danowski das Markusevangelium in die Zeit zwischen 59 und 61 (30) und verortet es in der Batanäa oder im nördlichen Galiläa (203). Der Evangelist »als schriftgelehrter Jude (und Jesusanhänger)« (36) erweist sich in der Rekonstruktion von M.-D. als gewiefter Kenner biblischer und jüdischer Tradition (auch dort, wo er sie nicht rezipiert), als verschlüsselnder Kommentator historisch-politischer Ereignisse, als Konstrukteur von Texten, die reich an versteckten Anspielungen sind. Nach der Lektüre dieses Buches stellt sich die Frage, ob die exegetische Forschung tatsächlich so lange dermaßen blind gewesen sein kann, dies alles nicht erkannt zu haben.
Der Aufbau führt zu Beginn ins Programm ein: M.-D. erörtert seine näheren Bestimmungen zum geschichtlichen Hintergrund des MkEv, zu den verschiedenen Bibelformen, die der Evangelist je nach Interesse rezipiert, und das Evangelienbuch selbst, das von M.-D. ausschließlich unter synchronen Gesichtspunkten gelesen wird. Diesem Schema »Geschichte/Bibel/Buch« entsprechend werden alle Stellen behandelt, an denen M.-D. Anspielungen auf Elija erkennt, wobei die Behandlung von Mk 1,1–15 besonders ausführlich ausfällt (51–142, dazu auch noch 143–163).
Der Großteil dieser ersten langen Untersuchung widmet sich der Interpretation des Mal/Jes-Zitates am Anfang des Evangeliums. Unter den historischen Elementen wird zuvor der Taufort diskutiert, die Bedeutung Jerusalems im MkEv, Wüstenpropheten, die Kritik an Herrschaftsansprüchen, das Verhältnis von Stadt und Land. All dies setzt M.-D. mit Traditionen über Elija in Zusammenhang, wobei man sich bereits hier fragt, ob es überhaupt etwas gibt, das nicht mit Elija zusammenhängt. Die Einordnung in die Bibel widmet sich allen möglichen Bezügen, die sich aus dem Zitat aus Jes 40,3 und Mal 3,23 ergeben können. M.-D. geht grundsätzlich davon aus, dass der geschulte Schriftausleger Markus und dessen ebenso versierte Leser und Leserinnen die verschiedenen Verknüpfungen innerhalb des Jesaja- bzw. Maleachibuches und weiterer Schriften (in der Version von MT, LXX und Targum) sowie die zahlreichen jüdischen Traditionen kannten, bzw. dass diese Texte dokumentieren, was alles im Judentum an Elijarezeption möglich war. Dabei fehlt nur leider jede Differenzierung zwischen den Zeiten und Orten, den Trägergruppen, sprachlichen Umständen und unterschiedlichen Textformen (trotz der Einschränkung zum Targum S. 37). Was deutlich wird, ist aber immerhin, dass M.-D. eine breite und detaillierte Kenntnis der unterschiedlichsten Elijatraditionen hat, wie aus zahlreichen Exkursen deutlich wird. Hier liegt eine Stärke dieses Buches.
Die Auslegung von Mk 1,2 f. ergibt schließlich den überraschenden Schluss, dass Markus mit dem Zitat und der Fortführung nichts anderes habe sagen wollen, als dass Johannes und Jesus als Elija verstanden werden sollen, die den Lesern und Leserinnen des Evangeliums (oder auch Gott) den Weg bereiten sollen (122 f.). M.-D. versucht, dieser völlig unlogischen Deutung mit einem (un­differenziert angewandten) kulturanthropologischen Argument beizukommen, indem er das markinische Verständnis von Johannes bzw. Jesus als Elija als Beziehungs- bzw. Sendungsaus­-sage verstehen will (was sie freilich nicht ist).
Im Folgenden, so M.-D., schrieb Markus eine Reihe von »biographisch-typologischen Haggadot« (vgl. 158–160), in denen entweder Johannes (so nur noch in Mk 1,6, nicht aber in 6,17–29) oder – und vor allem – Jesus als Elija dargestellt bzw. über Letzteren in komplizierten Neuschreibungen von Elijageschichten erzählt wird (Mk 1,12–14.16–20; 6,14–16; 8,27–30; 7,24–30; 9,2–13; 10,35–45; 14,32–41; 15,33–39). Insgesamt habe nach der Rekonstruktion M.-D.s Markus vor allem Jesus typologisch als Elija dargestellt: »Vom ersten Auftreten bis zum Lebensende speist sich die Gestaltung der Biografie Jesu aus der Elijas« (243), wobei vor allem die Bezüge auf den leidenden und gewaltlosen Elija, nicht etwa den wundertätigen, im Vordergrund gestanden hätten.
In der Tat ist kaum zu bestreiten, dass gewisse Bezüge in einigen Texten durchaus vorhanden sind, nur werden sie von M.-D. in einer Art und Weise gesucht und betont, die nicht mehr nachvollziehbar ist. So kann man durchaus die Versuchungsgeschichte als Aufnahme von 1Kön 19,1–8 verstehen, aber zusätzlich neben den Motiven »Wüste«, »40 Tage« und »Dienst der Engel« auch noch die Wörtchen »kam« und »nach« als wörtliche Wiederaufnahme zu verstehen, geht dann doch zu weit (155). An anderer Stelle wird etwa die Bitte der Zebedaiden um einen Platz zur Rechten und Linken Jesu in der Gottesherrschaft (Mk 10,37) als Gegenstück zur Bitte des Elischa um einen doppelten Anteil am Geist Elijas (2Kön 2,9) verstanden (226). Ein letztes Beispiel (238 f.): Die Kreuzigungsszene wird von M.-D. als Aufnahme der Entrückungsgeschichte Elijas interpretiert: Dem Feuerwagen Elijas entspräche die Finsternis zur Todesstunde. Der Schrei Elischas (sic!) und der Jesu seien gleichermaßen motiviert durch das Verlassenwerden (von Elija bzw. Gott), der entzweigerissene Vorhang im Tempel nehme 2Kön 2,12 auf, wo Elischa seine Kleider zerreißt. Der Kommandant der Kreuzigung wird als Aufnahme der Prophetensöhne interpretiert (2Kön 2,15) und hätte kein Bekenntnis, sondern eine Verhöhnung gesprochen: Er spricht ja nur »mit dem unbestimmten Artikel [sic!] von ›einem‹ Gottessohn« (239).
Das lässt sich vielleicht alles machen, wenn man beständig u. a. mit »Anzitierung«, Stichwortverknüpfungen, gegenseitiger Auslegung von Texten und »Amalgamisierung« von Schriftzitaten rechnet (vgl. 242), nur kontrollieren lässt sich das nicht mehr. Entsprechend vermisst man eine Diskussion über das zugrunde liegende hermeneutische Modell, etwa zu der für die Arbeit so entscheidenden Intertextualität.
So bleibt man – auch hinsichtlich der historischen Einordnung – erstaunt zurück: Entweder das Markusevangelium ist bisher völlig falsch verstanden worden und es eröffnet sich mit diesem Buch erstmals der richtige Blick – oder aber M.-D. ist unter dem lauteren Motiv, der Verankerung der Jesusbewegung im Judentum Rechnung zu tragen, einer unkontrollierten Überinterpretation erlegen, was ich freilich für wahrscheinlicher halte.