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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

883-885

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Arzt-Grabner, Peter, u. Christina M. Kreinecker[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Light from the East. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament. Akten des internationalen Symposions vom 3.–4. Dezember 2009 am Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte der Universität Salzburg.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2010. 237 S. m. Abb. gr.8° = Philippika, 39. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-447-06291-6.

Rezensent:

Jens Herzer

Im Rahmen des Salzburger Projektes der »Papyrologischen Kommentare zum Neuen Testament« erfährt seit einigen Jahren ein Bereich in der neutestamentlichen Forschung stärkere Beachtung, für den Adolf Deißmann bereits vor über 100 Jahren entscheidende Impulse gegeben hat. Die Interpretation des Neuen Testaments im Licht der zahlreichen erhaltenen Papyrusdokumente war seitdem jedoch aus verschiedenen Gründen wieder in den Hintergrund des Interesses getreten. Das Salzburger Projekt unter der Leitung von Peter Arzt-Grabner knüpft ausdrücklich an Deißmanns Forschung an und versteht sich dabei nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den klassischen Kommentierungen (7), eine Ergänzung, die ebenso notwendig wie vielversprechend ist, da sie an vielen Stellen zu einem besseren Verständnis der Texte und ihrer Sprache beitragen kann. Die Perspektive der Alltagssprache erschließt eine Verstehensdimension, die bei der Heranziehung literarischer Texte oft zu kurz oder gar nicht in den Blick kommt. Der vorliegende Band, dessen Titel als bewusste Anspielung an Adolf Deißmanns 1908 erstmals erschienenes Werk »Licht vom Osten« (engl.: Light from the Ancient East, 1910) gewählt wurde, versammelt die Beiträge eines Symposiums, das anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Kommentarprojektes veranstaltet wurde.
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Im ersten Beitrag erörtert Peter Arzt-Grabner unter dem Titel »Papyrologie und Neutestamentliche Wissenschaft: Einige Beispiele aus neueren Papyruseditionen« (11–26) anhand signifikanter Beispiele neu edierter Texte die methodischen Fragen, die der Vergleich etwa der Paulusbriefe mit dokumentarischen Briefen aufwirft, nicht zuletzt im Blick auf die Möglichkeiten der Klas­sifikation von Brieftypen oder -gattungen bzw. der Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Korrespondenz.
Nach einer ebenfalls sorgfältigen methodischen Einführung beleuchten Adriana Destro und Mauro Pesce in ihrem Beitrag »The Colour of the Words: The Domestic Slavery in John – From ›Social Death‹ to Freedom, in the Household« (27–46) das Motivfeld Sklaverei/Freiheit/Freundschaft im Johannesevangelium und dessen besonderen Bezug auf das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund der Haushaltsökonomie, wie er in den Papyri zum Ausdruck kommt.
Unter dem Titel »Pastoralism, Papyri and the Parable of the Shepherd« (47–69) untersucht John S. Kloppenborg verschiedene Mo­delle von »pastoralism in Mediterranean antiquity« (53) unter einer kulturgeschichtlich-ethnographischen Perspektive und stellt den Ertrag für das Verständnis der Hirtenparabel in Q 15,4–7 heraus.
Joachim Hengstl geht in seinem Beitrag »Zum Erfahrungsprofil des Apostels Paulus aus rechtshistorischer Sicht« (71–89) der Frage nach, inwiefern die durch die berufliche Erfahrung als Handwerker bedingte Vertrautheit des Apostels mit rechtlichen Gepflogenheiten, speziell im Blick auf das Verhältnis von Lehrmeister und Lehrling, sein Persönlichkeitsprofil und seine Sprache prägte. Im Vergleich mit antiken Lehrlingsverträgen wird dies vor allem am Beispiel des Philemonbriefes aufgezeigt, in welchem Paulus »eine Fülle von Begriffen (benützt), welche sich gerade in Lehrlingsverträgen der griechischen Papyri Ägyptens und … in Verträgen über Weberlehre finden« (77). Paulus lasse damit erkennen, »dass er in dem Sklaven sein Geisteskind, mithin den von ihm Belehrten und folglich seinen Lehrling sieht« (78).
Günther Schwab untersucht »Eine echtheitskritische Frage zum Stil und Inhalt von 1Thess 1,5–8« (91–113). Ein Vergleich dieses Textes mit 1Kor 1,4–9 führt aufgrund sprachlich-stilistischer Abweichungen zu der Vermutung, das Proömium des 1Kor könnte von einem Redaktor verfasst worden sein (100). Ein weiterer Vergleich mit Lk 1,1–4 stellt eine Affinität zur lukanischen Sprache fest und führt zu der in Frageform gekleideten These, dass »Lukas oder ein Lukaner der Autor von 1Thess 1,5–8 gewesen« sei (110). Ohne dass dem Profil des Bandes entsprechend Papyrusdokumente eine Rolle spielen, wirft Schwab mit seiner Argumentation die grundsätzliche Frage auf, wie sich die Autorschaft eines neutestamentlichen Briefes oder Briefteiles zuverlässig begründen ließe. Für deren Beantwortung Kriterien zu finden, dürfte jedoch schwierig sein, da die Entstehungsprozesse der paulinischen Autographen nicht mehr nachvollziehbar sind.
»Secunda urbis praecipua et patriarchalis basilica: Paulusverehrung im stetigen Schatten?« (115–126) lautet der Titel einer kurzen, instruktiven und mit Bildmaterial ergänzten Skizze von Ruth E. Kritzer, in welcher sie die komplexe Überlieferung der Verehrung der Reliquien von Petrus und Paulus in der Basilika St. Paul vor den Mauern bzw. in Rom insgesamt nachzeichnet und dabei zeigen kann, dass die Verehrung des Paulus nur scheinbar im Schatten des Petrus steht.
In seinem Beitrag »The Lexical Constancy and Changes in Heb. 7:1–3 Compared to Gen. 14:17–20« (127–138) analysiert Christian-Jürgen Gruber zunächst den Sprachgebrauch von Gen 14,17–20 (LXX) im Licht dokumentarischer Papyri und Ostraka und kann unter dieser Voraussetzung die Abweichungen des Hebr-Textes von seiner Vorlage, insbesondere die Substitution von ἀναστρέ­φειν (Gen 14,17) durch ὑποστρέφειν in Hebr 7,1, mit einer Veränderung der Lexik der römischen Zeit gegenüber der ptolemäischen erklären. Wenn der Auctor ad Hebraios ὑποστρέφειν statt ἀναστρέφειν verwendet, dann sei damit keine inhaltliche Veränderung intendiert oder eine andere Vorlage indiziert, sondern lediglich dessen ursprüngliche Bedeutung »zurückkehren« unter der Bedingung einer lexikalisch veränderten Se­mantik wiedergegeben.
Um die Septuaginta geht es auch in der Studie von Franz Winter, »Die dokumentarischen Papyri Ägyptens und die LXX: Einige Beobachtungen zum Text von 2Kön« (139–152). Winter stellt die Be­deutung der Papyri für das Verständnis der Sprachgestalt der Septuaginta heraus und kann beispielhaft zeigen, dass oft als Semitismen beurteilte Sprachformen durchaus auch der alltagssprachlichen Koine entsprechen.
Giovanni Battista Bazzana entwickelt in seiner Studie »BASILEIA – The Q Concept of Kingship in Light of the Documentary Papyri« (153–168) anhand von Beispielen aus den dokumentarischen Papyri die These, dass die Basileia-Vorstellung in Q in zwei redaktionellen Strängen (genannt A und B, entsprechend Q 1 und Q 2) entfaltet werde, die er mit den Begriffen »Kingship« (Kö­-nigsherrschaft in einem eher sozialgeschichtlich-politischen Sinn, A/Q 1) bzw. »Kingdom« (Königreich in einem eher räumlichen Sinn, B/Q 2) differenziert.
In ihrem Beitrag »How Power and Province Communicate: Some Remarks on the Language of the (Non-)Conversation between Pilate and Jesus« (169–185) interpretiert Christina M. Kreinecker – ausgehend von Beobachtungen zum Verhältnis der »language of the powerless« zur »language of the powerful« – die biblische Konversation zwischen Pilatus und Jesus vor dem Hintergrund zweisprachiger Anhörungsprotokolle. Sie veranschaulicht damit das bei den Synoptikern in den Vordergrund tretende Motiv des Schweigens Jesu als Merkmal einer Prozesssituation, in der einem rhetorisch geschulten Pilatus ein – so wird es von Kreinecker vorausgesetzt (176 f.) – im Griechischen ungeübter Jesus gegenüberstehe, der dem Prozessgeschehen möglicherweise nicht vollumfänglich folgen könne und auch auf diese Weise der Willkür ausgeliefert sei. Damit werde das Bild eines souverän und absichtsvoll schweigenden Jesus relativiert.
David G. Martinez beschließt den Band mit einer Untersuchung von »Epiphany Themes in Christian Liturgies on Papyrus« (187–217), worin er – mit Bildmaterial – christlich-liturgische Papyri vorstellt, die die Epiphaniefeier frühchristlicher Gemeinden am 6. Januar beschreiben und deren komplexe Entwicklung erkennen lassen.
Mit den durchweg interessanten und lesenswerten Beiträgen dieses Bandes sind nicht nur Einzelthemen biblischer und frühchristlicher Traditionen vor dem Hintergrund der dokumentarischen Papyri anschaulich dargestellt und interpretiert. Sie verdeutlichen darüber hinaus erneut in grundsätzlicher Weise den Beitrag, den die Papyrologie im Rahmen interdisziplinärer Forschung zum Verstehen des Neuen Testaments und seines Umfeldes leisten kann. Erschlossen wird der Band durch Stellen-, Sach- und Autorenre­gister.