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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

879-881

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Shectman, Sarah, u. Joel S. Baden [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

The Strata of the Priestly Writings. Contemporary Debate and Future Directions.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2009. XIV, 215 S. gr.8° = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 95. Geb. EUR 42,00. ISBN 978-3-290-17536-8.

Rezensent:

Thomas Pola

Die Beiträge dieses Sammelbandes gehen auf ein Symposion im Juli 2007 zurück, das von Baruch Schwartz und Saul Olyan in Wien in Verbindung mit der »European Association of Biblical Studies« veranstaltet wurde. Die Beiträge nordamerikanischer, israelischer und europäischer Spezialisten spiegeln insofern den Stand der Forschung an der Priesterschrift (P) im Pentateuch, da sich die beteiligten Autoren weitgehend mit den Problemen befassen, die sich aus dem Vergleich des Heiligkeitsgesetzes (H; Lev 17–26) mit dem übrigen P-Material ergeben. Der Hintergrund dafür ist die von Israel Knohl monographisch veröffentlichte These (englisch 11995; 22007) einer produktiven »Holiness School« (HS) aus der hiskianischen Zeit, die die bereits seit der salomonischen Ära entstandene »Priestly Torah« (PT) durch Einfügung H-ähnlicher Stücke bearbeitet haben und vor allem bestimmte vor-P-Materialien in den nun fast abgeschlossenen Pentateuch eingefügt haben soll.
Knohls These brachte Bewegung in die Forschung: Die innerpriesterliche Unterscheidung betrifft nun nicht mehr die erzählenden/gesetzlichen Materialien, auch nicht einfach Pg und Ps, auch ist die Annahme einer einzigen, den Pentateuch »global« durchziehenden priesterschriftlichen Quelle oder Schicht nicht mehr haltbar (so bereits Holzinger). Vielmehr ist eine größere Differenzierung erforderlich, es muss auch zwischen dem Zeitpunkt der Verschriftung einerseits und dem überlieferungsgeschichtlichen Alter andererseits unterschieden werden, so dass aus der Datierung des Schrift gewordenen Textes nicht einfach auf das Alter der jeweilig dahinterstehenden Institution geschlossen werden darf. Dieser geforderten Differenzierung kommt der zu besprechende Sammelband entgegen, indem er das Verhältnis von H (und H-ähnlichen Abschnitten) zu P thematisiert. Während nun die Vertreter der europäischen Forschung, besonders E. Otto, in diesem Band dazu neigen, H und verwandte Texte gegenüber P für redaktionell (und damit P für theologisch primär) zu halten, befürworten die israelischen und nordamerikanischen Autoren eher die theologisch stärkere Gewichtung des »holiness material« gegen­-über der älteren »Priestly Torah«: Die spätere, schließlich den ganzen Pentateuch prägende Sicht der »HS« fordert ihrer Meinung nach mehr Verbindlichkeit als P.
B. J. Schwartz, »Introduction: The Strata of the Priestly Writings and the Revised Relative Dating of P and H« (1–12), führt in den Stand der Diskussion ein und skizziert die Beiträge des Bandes.
Joel S. Baden (»Identifying the Original Stratum of P: Theoretical and Practical Considerations«; 13–29) hält wie in seiner Dissertation (J, E, and the Redaction of the Pentateuch: FAT 68, Tübingen 2007) an der neueren Urkundentheorie fest. Ex 12, ein Beispiel für präsinaitische Ritualgesetzgebung, weist einen sich auf die erste Passanacht in Ägypten beziehenden historisierenden Grundtext auf (P), der mit V.14–20 um eine »paränetische« Ordnung erweitert worden ist, die auf die praktische Ritualisierung des Passafestes im Lande zielt (H bzw. HS).
Für Erhard Blum (»Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings«; 31–44) stammt P literarisch aus der persischen Zeit (überlieferungsgeschichtlich vielfach älter) und setzt auch in Lev 17,1–9 die Kultzentralisation voraus. Bestimmte, durch Knohl H (HS) zugewiesene Abschnitte (wie Gen 17, Ex 6,2–9 und 29,45 f.) sind in Pg (PT) unentbehrlich. Die Verfeinerung der Kriterien für eine Zuweisung von priesterlichen Abschnitten zu H (HS) bei Knohl und Milgrom führt in deren Auslegungspraxis allerdings vielfach zu einem Zirkel (34–38). Dass sich Merkmale von Lev 17–26 auch außerhalb von H finden, sollte nicht zu diachronen Folgerungen verleiten, zumal sich die HS zugeschriebenen Abschnitte außerhalb von H als Bestandteil von PT aufgefasst haben dürften. P endet zwar in Dtn 34* (und damit hat P einen Pentateuch in nuce geschaffen), aber weder die Auffassung von P als einer Quelle noch die einer Bearbeitungsschicht können die in P insgesamt vorliegenden Probleme lösen.
Simeon Chavel (»Numbers 15,32–36 – A Microcosm of the Living Priesthood and Its Literary Production«; 45–55) nennt Num 15,32–36 (P) und Lev 24,10 ff. »oracular novellae« (47). Die P-Geschichtsdarstellung resultiert aus dem »oracular law« (52). Num 15,32–36 wurde aber nicht herausgebildet, um Bestandteil der laufenden P-Darstellung zu werden.
Der Beitrag von William K. Gilders ist überschrieben mit »Sacrifice before Sinai and the Priestly Narratives« (57–72): Der Umgang mit den präsinaitischen Ritualen und Opfern in der Genesis und in Ex 12 lässt zweierlei erkennen: P war ursprünglich eine selbstständige Quellenschrift, die von den Vor-P-Materialien von Gen 2 bis Ex 18 unabhängig war, und: Der Tetrateuch kann mit seinen präsinaitischen Ritualen und Opfern nicht durch H bearbeitet worden sein, da Lev 17,1 ff. gegen die aus der Sicht der josianischen Kultzentralisation verbotenen Opfer polemisiere.
S. Tamar Kamionkowski betrachtet »Leviticus 24,10–23 in Light of H’s Concept of Holiness« (73–86): P, D und H weisen eine unterschiedliche Namens­theo­logie auf. Für P ist der Kult der Zugang zum Heiligen. Im Deuteronomismus gilt Gott als völlig transzendent, was namenstheologisch die Zentralisationsformel ausdrücken soll. Für das priesterlich geprägte H dagegen ist Jahwe nicht nur im Kult durch seine Herrlichkeit (kbwd) gegenwärtig, sondern für das Volk ist das nomen sacrum der Zugang zur Heiligkeit des transzendent vorgestellten Gottes.
Für Christophe Nihan (»The Priestly Covenant, Its Reinterpretations, and the Composition of ›P‹«; 87–134) gibt es drei bundestheologische Konzeptionen, nämlich 1. in der Quellenschrift P (frühpersisch) gegenüber dem Deuteronomismus (D) als »ewiger Bund« unter Betonung der Kontinuität der Generationen (Gen 17), 2. in H als Vermittlung zwischen P und D, in Verbindung mit der Ankündigung des »Neuen Exodus« (Lev 26 und dann in Ex 31,12–17), und 3. in einer »Priestly Composition« im Numeribuch, die den Bund in Übertragung vorexilisch-königlicher Elemente »theokratisch« auf die Aaroniden als Dynastie bezieht und diesen Bund zugleich als Erfüllung des Noah- und Abrahamsbundes auffasst (Num 25; V. 6–15 setzen die Esra-Reform voraus; davon abhängig Ex 40,15; Num 18,19). Den drei literargeschichtlichen »Wachstumsringen« von P ist also je eine Bundeskonzeption eigen.
Das Thema von Eckart Otto ist »The Holiness Code in Diachrony and Synchrony in the Legal Hermeneutics of the Pentateuch« (135–156): P (theologisch antipersisch ausgerichtet) und das deuteronomistische Material bis Jos 24 wurden in der Nehemia-Zeit trotz ihrer theologischen Unterschiede zu einem Hexateuch vereint, der dann aber nur ein halbes Jahrhundert später unter Esra (um 400 v. Chr.) durch eine produktive nachexilische Redaktion zu einem bis Dtn 34 reichenden Pentateuch verkürzt worden ist (135–137), die in großem Stil Heiligkeitsaspekte und spätes Gesetzesmaterial einbrachte (vgl. R. Achenbach). Der Schwerpunkt lag nun nicht mehr auf einer Theologie der Landgabe und -nahme, sondern auf der bleibenden Bedeutung der Kultoffenbarung der Sinaiperikope. Daher ist die redaktionelle Größe H, welche P, das Dtn und das Bundesbuch voraussetzt, in die Sinaiperikope eingearbeitet worden, deren Schlüsseltext Ex 19,3b–9 ist.
Für Thomas Römer (»The Exodus Narrative According to the Priestly Document«; 157–174), der das ursprüngliche Ende von Pg in Lev 9 oder 16 annimmt, besitzt die in der Diasporasituation der persischen Zeit beheimatete Pg-Darstellung des Exodus eine Schlüsselfunktion in Bezug auf Schöpfung, Erzväter und Kult. Auf den frühpersischen Hintergrund weisen Ägypten als Schauplatz der Namensoffenbarung in Ex 6,2–9 und der offenbarungsgeschichtlich gestufte Gebrauch der Gottesbezeichnungen und des -namens in Gen 1–Ex 6,9* (vgl. 6,2 f.), so dass P (gegen frühpersische Ansprüche) einen inklusiven Monotheismus für die Menschheit lehrt (162 f.). Darüber hinaus hat erst P g literargeschichtlich eine Verbindung von Väter- und Volksgeschichte geknüpft. Die Vätergeschichte ist in Pg aber wegen des Abrahambundes mehr als nur ein Prolog zur Exodusgeschichte. Bei der Plagengeschichte hat P eine Vorlage aus der ägyptischen Diaspora übernommen. Theologisch bestimmend ist für Pg ein spezifischer Monotheismus in Auseinandersetzung mit den in der Ökumene propagierten religiösen Ansprüchen der frühen Achämeniden und der Ägypter.
Sarah Shectman beschäftigt sich mit »Women in the Priestly Narrative« (175–186) und Jeffrey Stackert mit »The Holiness Legislation and Its Pentateuchal Sources: Revision, Supplementation, and Replacement« (187–204): H versteht sich trotz Bearbeitungsspuren in P als Neuentwurf (unter Aufnahme von Materialien des Bundesbuches und von D), nicht als Bearbeitung oder Kompilation und will letztlich D ersetzen (194). Allerdings wurde diese priesterliche Stimme in der Endgestalt des Pentateuchs quantitativ dermaßen überlagert und damit fast zum Verstummen gebracht, dass H für die abschließende(n) Pentateuchredaktion(en) nicht infrage kommt.
Der Band wird mit einem nützlichen Stellenregister beschlossen. – Die Autoren tragen jeweilig beachtenswerte und anregende Erkenntnisfortschritte vor, die aber auf den individuellen Prämissen zum Verhältnis von H zu P beruhen. Warum bei denjenigen, die eine Priorität bestimmter Ezechielmaterialien vor P befürworten, die Arbeit der Ezechiel-Schule argumentativ kaum mehr einbezogen wird, bleibt offen. Auch sollte bei der Differenzierung der nachexilischen Strata von P und H das Haggai-Sacharja-Korpus stärker beachtet werden.