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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

177 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Synek, Eva Maria

Titel/Untertitel:

Heilige Frauen der frühen Christenzeit. Zu den Frauenbildern in hagiographischen Texten des christlichen Ostens.

Verlag:

239 S. 8o = Das östliche Christentum. NF 43. Kart. DM 52,­ ISBN 3-7613-0178-2.

Rezensent:

Gerlinde Strohmaier-Wiederanders

Diese 1990 an der Katholischen Fakultät in Wien angenommene Dissertation begründet ihre Konzentration auf hagiographische Texte mit dem Hinweis auf Fairy von Lilienfeld, die beklagt hatte, daß diese Quellengattung in der konventionellen Kirchengeschichtsschreibung zu wenig beachtet wird. Das ist richtig und bezieht sich auf katholische wie protestantische Kirchengeschichtsschreibung gleichermaßen. Und es ist offensichtlich, daß das konventionelle, einseitig verengte Wissenschaftsideal, das letztlich immer noch auf im 18. Jahrhundert entwickelte Kriterien zurückgeht, ein auch verengtes Geschichtsbild entwirft. Es ist das Verdienst der feministischen Theologie, mit differenzierten Untersuchungsmethoden hagiographische Texte für die Kirchengeschichtsforschung fruchtbar zu machen. Die Kunstgeschichte und die Profangeschichte sind ebenfalls auf diesem Wege weiter als die allgemeine ­ vor allem protestantische ­ Kirchengeschichte. Diese einleitenden Sätze sollen den Wert der hier zu besprechenden Arbeit über den Rahmen der feministischen Theologie hinaus deutlich machen. Denn die Untersuchung von Synek zeigt, daß der aktive Anteil von Frauen in der Alten Kirche größer war, als weithin bekannt ist und durch die Art der gängigen Benutzung unterschätzt wurde.

S. geht nun so vor, daß sie ­ wie sie S. 16 erläutert ­ die hagiographischen Texte "zu einigen ausgewählten Frauen der frühen Christenheit analysiert" und aus der Rezeptionsgeschichte die vielfältigen Formen weiblicher Glaubensaktivitäten erschließt. Dieses Verfahren bewährt sich. Die erste der ausgewählten Heiligen ist Maria Magdalena, die schon öfter Gegenstand von Untersuchungen war, weil sie relativ häufig in den Evangelien erwähnt wird. Ziemlich gesichert erscheint, daß sie neben der Tatsache, Zeugin der Auferstehung zu sein, auch das Apostolat ausgeübt hat. Eine spätere Redaktion hat um der symbolischen Zwölfzahl willen und sicher, um das anstößige weibliche Apostalat aus dem Zentrum der Überlieferung zu nehmen, die Bedeutung Maria Magdalenas in der vor- und nachösterlichen Gemeinde zurückdrängt. Aber geblieben ist in der Überlieferung ­ wohl weil zu gewichtig ­, daß ausschließlich Frauen bei Jesu Tode zugegen waren und daß sie erste Zeuginnen der Auferstehung wurden. Wieso dies auch noch in der theologischen Forschung des 20. Jh.s bisher nie bedacht wurde, mit Ausnahme der Frauenforschung, bleibt eine noch zu beantwortende Frage.

Offenbar hat Maria Magdalena in der nachösterlichen Gemeinde als geistliche Autorität eine erhebliche Rolle gespielt, aber als gnadenbegabte Person, nicht als in die hierarchische Struktur eingegangene Amtsinhaberin. Es scheint in dem Zusammenhang noch einmal notwendig, die apokryphe Literatur in ihrem Verhältnis zum neutestamentlichen Kanon als Kirchengeschichtsquelle ernster zu nehmen. Interessant wird auch die Auswertung der Schriften des Johannes von Beirut (45-46), weil dieser Autor im 5. Jh. Maria Magdalena fast als Bischöfin erscheinen läßt, ein Hinweis, wie verschieden Theologen der Alten Kirche sich der Frage eines weiblichen Apostolats stellten. Die einen (z. B. Gregor von Nyssa) suchen dies zu rechtfertigen mit der These von der felix culpa des weiblichen Geschlechts beim Sündenfall, mit der besonderen Liebe Jesu zu Jüngerinnen, aber auch mit besonderen Tugenden von Frauen wie Treue und Geduld (Leontios von Konstantinopel). Das zeigt bereits an, daß das Rollenverständnis für heilige Frauen in der hagiographischen Tradition sehr vielfältig war und damit auch vielfältige Möglichkeiten und ­ mehr als allgemein bekannt ­ vielfältige Wirkungen vorhanden waren. D. h. gerade die Hagiographie weist auf eine facettenreiche Frömmigkeit, auf unterschiedliche Gemeindestrukturen und kirchliche Gestaltungen in der Geschichte hin.

Besonders aufschlußreich ist dafür die Person der heiligen Nino. Sie ist "eine der wenigen großen Frauengestalten der frühen Christenheit, die selbst in manchen der traditionellen kirchengeschichtlichen Handbüchern gewürdigt wird" (80), so beginnt S. das 2. Kapitel. Die Georgier führen auf Ninos missionarische Aktivität ihre Bekehrung zurück. Das Herausfordernde an der Person der Heiligen ist nicht nur, daß sie eine Frau war, sondern dazu noch eine Gefangene, eine Sklavin. S. zeigt auf, wie Synaxare und andere hagiographische Literatur dieser Tatsache versuchen, Rechnung zu tragen, indem sie das Anstößige herunterspielen. Wieder geht es auch um das neutestamentliche Lehrverbot für Frauen (87), das man mehr und mehr als eine Reaktion auf eine wohl recht verbreitete Praxis ansehen sollte. Nino gilt auf jeden Fall in Georgien als gottgesandte Apostolin. Auch die Armenier führen die Ursprünge ihrer Kirche auf eine Frau zurück, die heilige Märtyrerin Hripsime. Bei ihr gehen aber Christus-Bekenntnis, Martyrium und Bewahrung der Jungfräulichkeit zusammen. Insofern entspricht sie stärker dem allgemeinen Bild einer weiblichen Heiligen. Der Kampf um die Bewahrung der Virginität steht in hagiographischer Tradition besonders gern im Zentrum, beschreibt aber keineswegs einen alleingängigen Lebensweg.

Ein besonders aufschlußreiches Beispiel dafür ist die heilige Olympias. Sie entstammt der Oberschicht Konstantinopels, war zwar verheiratet, entschloß sich aber nach dem frühen Tode ihres Mannes zu dauernder Witwenschaft, widmete sich karitativen Aufgaben und einer von ihr gegründeten Klostergemeinschaft. Olympias nahm das Amt einer Diakonin wahr und hatte gleichzeitig Kontakt mit einer ganzen Reihe von Bischöfen, denen sie eine geistliche Autorität war. Besonders treu stand sie zu Johannes Chrysostomos und wurde deshalb in die Intrigen gegen ihn einbezogen. Sie starb in der Verbannung, in die sie wegen ihrer kompromißlosen kritischen Haltung gegenüber kirchlichen und politischen Mißständen geschickt worden war. D. h. mit Olympias ist eine Frau in den Heiligenkalender aufgenommen worden, die über die ­ vergleichsweise passive ­ Treue zum Bekenntnis hinausging und sich aktiv an der Kirchenpolitik in Konstantinopel beteiligt hat. Aus ihrer Vita ist aber zusätzlich noch klar, daß sie darin kein Einzelfall war.

Diese und andere Beobachtungen faßt das Schlußkapitel zusammen und wertet noch einmal die hagiographischen Quellen systematisch aus. Daß die aktive Rolle der Frau in der Alten Kirche wie im gesamten Verlauf der Kirchengeschichte in Ost wie West nicht nur eine vielgestaltige, sondern auch eine sehr spannungsreiche war, ist im Grunde keine Überraschung. Die Spannung freilich liegt schon im Neuen Testament, etwa zwischen 1Kor 7 oder Röm 12 und 1Tm 2 (219). Das wiederum schafft die unterschiedliche Bewertung und auch Manipulation der Heiligenviten in den verschiedenen Zeitabschnitten.

Zum Schluß nur ein Hinweis auf ein kleines Manko in dem sonst sehr lesenswerten Buch: Die Übersetzung fremdsprachlicher Zitate wird uneinheitlich gehandhabt. Sinnvoller wäre wohl, daß alles übersetzt wird, da man nicht bei allen Lesern ­ und es ist ja wohl nicht nur an Theologen gedacht? ­ genügend Kenntnisse des Griechischen oder gar Italienischen voraussetzen kann.

Als interessante und die Kirchengeschichtsschreibung in verschiedener Weise bereichernde Arbeit kann dieses Buch empfohlen werden.