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Ausgabe:

September/2011

Spalte:

873-875

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Berges, Ulrich

Titel/Untertitel:

Jesaja. Das Buch und der Prophet.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. 249 S. m. 23 Abb. 8° = Biblische Gestalten, 22. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-02752-1.

Rezensent:

Jan Kreuch

Ulrich Berges, ein ausgewiesener Kenner des Jesajabuches, legt in der Reihe »Biblische Gestalten«, die sich an einen weiteren Leserkreis richtet, eine kurzgefasste Darstellung des Propheten Jesaja und seines Buches vor, die im Wesentlichen in Kontinuität zu früheren Veröffentlichungen des Vf.s steht (vgl. u. a.: Das Buch Jesaja, HBS 16, 1998; Das Jesajabuch als literarische Kathedrale, in: BiKi 61, 2006, 190–197).
Methodisch nimmt der Vf. seinen Ausgang mit der neueren Prophetenforschung beim vorliegenden Buch. Der Schwerpunkt liegt dementsprechend auf der Beschreibung des Endtextes des Jes-Buches und seiner Genese, nicht auf der Rekonstruktion der ursprünglichen Worte des Propheten. Der Vf. vertritt dabei in Hinsicht auf die für jesajanisch gehaltenen Texte eine moderate Position und spricht dem Propheten einen durchaus umfänglichen Textbestand zu, der sowohl Unheils- als auch Heilsworte umfasst.
Im ersten Teil des Buches (11–49) stellt der Vf. die geschichtlichen Hintergründe und das literarische Wachstum des Jes-Buches dar. Wesentliche produktive Phasen der Buchgenese sind demnach das ausgehende 8. Jh. (der Prophet und seine Schülerkreise), das ausgehende 7. Jh. (Jerusalemer Tradenten), die exilisch-frühnachexilische Zeit (exilierte Tempelsänger = Deuterojesaja) und die nachexilische Zeit (schriftgelehrte Kreise in Jerusalem = Tritojesaja).
Während die historische Orientierung trotz ihrer Kürze sehr gelungen ist, fällt die Beschreibung des literarischen Wachstums des Jes-Buches mitunter sehr knapp aus. So merkt der Vf. z. B. zur Situation um 705 v. Chr. an, dass Jesaja eine antiägyptische Position vertreten habe, belegt dies aber nicht anhand konkreter Textstellen.
Der zweite Teil (50–158), der Hauptteil des Buches, bietet eine Synchronlesung des Jes-Buches, die durch hilfreiche Erläuterungen zu kompositorischen Strukturen des Buches sowie durch kurze Anmerkungen zur Diachronie und zeitlichen Verortung einzelner Texte erweitert ist. Der Vf. geht dabei von seiner bereits früher (vgl. 2006, 190–197) begründeten These aus, dass sich das Jes-Buch auf der Ebene des Endtextes als Zions-Drama in sieben Akten verstehen lässt, wobei mit »Akten« literarische Kompositionseinheiten gemeint sind: Kapitel 1–12: Zion und Jerusalem zwischen Gericht und Heil; Kapitel 13–27: Von Zions Feinden und Freunden und Jhwhs Königsherrschaft; Kapitel 28–35: Der göttliche König und die Zionsgemeinde; Kapitel 36–39: Die Bedrohung und Errettung Zions und Jerusalems; Kapitel 40–48: Jakob/Israel in Babel und seine Befreiung durch Kyrus; Kapitel 49–55: Die Restauration Zions und Jerusalems; Kapitel 56–66: Die Trennung der Gemeinde in Frevler und Fromme.
Dem Vf. gelingt es, bei der Beschreibung dieses Zions-Dramas aufzuzeigen, wie im Verlauf des Jes-Buches eine »Entwicklung Jerusalems vom Ort des Gerichts zum Ort des eschatologischen Heils für das Gottesvolk und die Völker« (52) ausgemacht werden kann, ohne dass sich alle Texte diesem Plot stringent einordnen ließen. (Diesen Anspruch erhebt der Vf. jedoch auch nicht.) Daher erscheint es unglücklich, wenn der Vf. in den Vorbemerkungen zur Synchronlesung schreibt: »Das Jesajabuch ist ein Zions-Drama […].« (51, kursiv vom Rezensenten) Denn diese Formulierung leistet dem Missverständnis Vorschub, es hätte eine (End-)Redaktion des Jes-Buches gegeben, die das vorliegende Material unter diesem Plot vereinheitlicht hätte. Das ist jedoch ausweislich früherer Äußerungen, nach denen sich eine Global-Struktur und eine buchübergreifende Endredaktion im Jes-Buch nicht ausmachen lassen, nicht die Ansicht des Vf.s (vgl. 1998, 36.48). An anderer Stelle drückt sich der Vf. eindeutiger aus, wenn er davon spricht, dass das Jes-Buch als Drama lesbar sei (so 2006, 190). Diese Formulierung bringt deutlicher zum Ausdruck, dass das Jes-Buch als Zions-Drama eine, aber nicht die einzig mögliche und alle Aspekte abdeckende Lesart ist.
Im dritten Teil (159–240) wendet sich der Vf. der Rezeption und Wirkungsgeschichte Jesajas und seines Buches zu: Altes Testament, Vitae Prophetarum, Josephus, Septuaginta, Qumran, Neues Testament, die rabbinische Tradition und die patristische Literatur sowie Bildende Kunst und Musik werden befragt. In zwangsläufig kurzen, aber materialreichen Abschnitten bietet der Vf. einen lohnenswerten Überblick über zentrale Motive der Rezeptionsgeschichte und belegt die überragende Bedeutung, die Jesaja innerhalb der Wirkungsgeschichte der alttestamentlichen Propheten zukommt.
Im Abschnitt zum Alten Testament widmet sich der Vf. allerdings lediglich dem Vorkommen der Person Jesaja in 2Kön, 2Chr und Sir. Eine Diskussion der Frage, inwiefern das Jes-Buch auch auf die übrigen Prophetenbücher gewirkt hat, unterbleibt leider.
Im Abschnitt zur Bildenden Kunst beschränkt sich der Vf. aufgrund der Fülle des Materials auf Darstellungen der Person Jesajas. Es gelingt ihm dabei, charakteristische Elemente der Rezeptionsgeschichte aufzuzeigen, die von 23 gut gewählten Abbildungen illustriert werden.
Das verständlich geschriebene Buch, das auch einem Leser ohne größere theologische Vorbildung zugänglich sein sollte, bietet eine gelungene Darstellung des Propheten Jesaja und seines Buches, die methodisch auf dem aktuellen Stand der Forschung ist, radikale Positionen vermeidet und eine Fülle weiterführender Beobachtungen enthält. Das Buch ist jedem zu empfehlen, der sich mit dem Propheten Jesaja intensiver auseinandersetzen möchte.