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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

826-828

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt, u. Helmut Jan Sobeczko [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgie in kulturellen Kontexten. Messbuchreform als Thema der Liturgiewissenschaft. Liturgia w kontekstach kulturowych. Re­forma mszalu jako temat w nauce o liturgii. Aus der wiss. Zu­sammenarbeit der AG katholischer Liturgiewissenschaftler­in­nen und -wissenschaftler e. V. (AKL) und des Inst. für Liturgie, Musik und Sakrale Kunst der Theolog. Fakultät der Universität Oppeln.

Verlag:

Opole: Wydzial Teologiczny Uniwersytetu Opolskiego; Trier: Deutsches Liturgisches Institut 2010. 199 S. gr.8° = Colloquia Theologica, 11. Kart. EUR 14,80. ISBN 978-83-61756-33-0.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Dieses Buch dokumentiert die Hauptvorträge einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgiewissenschaftler (AKL) und des Instituts für Liturgie, Musik und sakrale Kunst der Theologischen Fakultät der Universität Oppeln, die 2008 stattgefunden hat. Es sollte die Messbuchreform in europäischen Ortskirchen des 20. Jh.s untersucht werden, so dass verschiedene kulturelle Kontexte mit im Blick waren.
Dass diese Untersuchung aus verschiedenen Perspektiven ge­schah, zeigt B. Kranemann in seinem einleitenden Referat: In Deutschland wächst mittlerweile die dritte Generation von Liturgiewissenschaftlern heran, die das Zweite Vatikanische Konzil nicht mehr selbst erlebt haben. Das führt auch zu neuen Fragen und neuen Einsichten für die Liturgiewissenschaft. Der einzige polnische Beitrag stammt von Mitherausgeber H. J. Sobeczko, der für die polnische Rezeption des Messbuchs herausstellt, dass zu den Zeiten des Kommunismus ganz andere Fragen als eine Messbuchreform die Kirche beschäftigt haben. Auch machte eine tief verwurzelte Volksfrömmigkeit die Umsetzung der Reform teilweise schwierig. Überraschend kommt als Nächster der evangelische Kirchenhistoriker M. Wallraff zu Wort, der die Motive der Liturgischen Bewegung kritisch unter die Lupe nimmt und zeigt, dass Fehleinschätzungen antiker liturgischer Texte, insbesondere die Annahme, dass damit wirkliche alte Quellen zum Maßstab der Reform würden, heute gar nicht mehr haltbar sind. Das ist eine einschneidende Kritik, der sich auch die Verteidiger des Reformprozesses stellen müssten, weil damit erneut die Frage nach der Norm von Reformen aufgeworfen wird. Es folgt ein Beitrag von E. Salmann zur Eucharistie in der Perspektive postmoderner Anthropologie, der als Thesenskizze firmiert. Der Text überschreitet ganz im Sinne der Postmoderne die Grenzen der Wissenschaftlichkeit und geht ins Poetische und Lyrische über, zeichnet sich durch Wortcluster und unübersichtliche Vielfalt aus. Die Frage, wie solche Gedanken die ortskirchliche Reformen beschreiben oder erforschen (sollen oder können?), wird wohl unbeantwortet bleiben müssen. Anschließend beschreiben drei Liturgiewissenschaftler ( K. Richter, J. Bärsch und St. Wahle), die je eine Generation vertreten, wie sie das jetzige Messbuch ihren Studenten nahebringen. Er­staunlicherweise wählen alle drei dieselbe Methodik der historischen Zugangsweise. Andere Möglichkeiten, wie z. B. eine auch ökumenisch komparative Herangehensweise, gar eine interreligiöse oder auch eine aus semiotischer oder kommunikationstheoretischer, gar aus performativer Sicht, werden nicht benannt. Umso interessanter ist der Beitrag vom französischen Liturgiewissenschaftler P. Prétot, der 2008 zunächst in französischer Sprache publiziert wurde und in diesem Band in einer etwas holprigen Übersetzung geboten wird. Prétot formuliert Aufgabe, Ziel und Verantwortung der Liturgiewissenschaft zu Beginn des 3. Jt. unter dem Leitgedanken des Liturgieverstehens. Er wirft wirklich grundlegende Fragen auf, wie z. B. die Frage nach der zunehmenden Differenz zwischen Kult und Kultur, wobei der Kult die zeitgenössische Kultur immer mehr ablehnt – wo doch das Konzil die Inkulturation gefordert hatte. Er stellt auch das gängige Verständnis von lex orandi und lex credendi in Frage, insbesondere auf dem Hintergrund der neuen Einflussnahmen des Vatikans auf die Konzilsinterpretation. Prétot fordert nicht nur eine heute angemessene Mystagogie ein, sondern auch ein Denken in heutigen komplexen Situationen. W. Haunerland gibt einen Überblick über die Mess­buchreform in Deutschland bis zur Gegenwart. Bedacht wird auch die Reform der Reform durch Papst Benedikt XVI., der die tridentinische Messe wieder zugelassen hat. Es folgt ein zweiter evangelischer Beitrag, der allerdings weder im Vorwort erwähnt wurde noch aus dem Titel des Buches plausibel hervorgeht, vom Liturgiewissenschaftler K.-H. Bieritz, der anmahnt, dass der Text als solcher trotz aller Performancefreudigkeit seine eigene Würde auch in der Liturgie behalten muss, wenn das Glaubensgedächtnis inszeniert wird. Er setzt sich kritisch mit den neueren evangelischen Reformbemühungen auseinander, die kaum, dass das Evangelische Gottesdienstbuch erschienen ist, neue Akzente setzen wollen dergestalt, dass die eigenen Traditionen vergessen werden. Zum Ab­schluss des Bandes kommt Th. Sternberg zu Wort, der ein Unbehagen an den Reformbemühungen des Konzils in Worte fasst, sich aber gegen die Kritik von Mosebach wendet. Gleichwohl macht er deutlich, dass das Heilige, Transzendente, das Sakrale mit der Reform als Erlebnis verloren gegangen ist. Viele Messfeiern wirken banal.
Wie kann man Liturgie in kulturellen Kontexten beschreiben, gar verstehen, und diese mit der Messbuchreform als Thema der Liturgiewissenschaft verknüpfen? In diesem Band scheint es nicht ganz gelungen zu sein, denn so gut wie alle Aspekte werden als innerkirchliche, auch innerliturgiewissenschaftliche Probleme be­schrieben, selbst wenn sie aufgrund des sich wandelnden kulturellen Kontextes zu beschreiben und zu verstehen wären. Der kulturelle Kontext als solcher wird nicht eigens thematisiert. Stattdessen hat man den Eindruck, dass die neuen Papstinitiativen, die den katholischen Liturgiewissenschaftlern allerlei Schmerzen zufügen, den neuen kulturellen Kontext bilden, an dem sie sich abarbeiten.