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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

823-825

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Institutionalisierung und Profil der Religionspädagogik. Historisch-systematische Studien zu ihrer Genese als Wissenschaft.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. VII, 524 S. gr.8° = Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, 8. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-149173-3.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Religionspädagogik profiliert sich als wissenschaftliches Fach durch die Wechselwirkung unterschiedlicher Faktoren: Erwartungen von außen, Selbstverständnis und Selbstbezeichnung, Anerkennung in Kollegien, Einschätzung innerhalb der scientific community, Wissenschaftstheorien und nicht zuletzt ihren institutionellen Ort. Besonders der Bedeutung des letzteren wollen die in dem Band zusammengestellten Texte nachgehen. Das Buch enthält eine »Einleitung« (1–19) und eine »Bilanz« (467–496) des Herausgebers, dazwischen 17 Beiträge zu einzelnen Epochen und Orten, welche die Hypothesen belegen und illustrieren sollen, »dass die Verfassung und Aufgabenbestimmung der Institution den Reflexionshorizont, das Themenspektrum und die Arbeitsweise derer, die in ihrem Rahmen tätig sind, präjudiziert« und »dass Wissenschaftler ihren Ideen durch Institutionalisierung Geltung und dauerhaft-nachhaltige Wirkung zu verschaffen suchen – und umgekehrt einmal geschaffene Wissenschaftsinstitutionen Ideen und Konzepte stabilisieren« (1).
Nach der Einleitung zielt das Buch auf »die Aufklärung der Wechselwirkung zwischen institutioneller Verankerung und fachlichem Profil sowie den exemplarischen Nachweis »dass die Genese und Profilierung einer Wissenschaft als ›sozialer Prozess‹ zu verstehen ist – nicht etwa (allein) als Einzelleistung geis­tiger Heroen oder als rein rationale, zweckfreie Prüfung und Weiterentwicklung von Theoremen«. Für den »Wissenschaftscharakter der Religionspädagogik« gelten die gleichen »Qualitätsmerkmale« wie für andere Disziplinen: Niveau der Theoriebildung, »Methodenbewusstsein«, »Überprüfbarkeit« der Aussagen, »Streben nach Vorurteilsfreiheit und Konsistenz, Erklärungs- bzw. Interpretationspotential und Dynamik in der Generierung von Fragestellungen – sowie … Vorhandensein von Lehre und Forschung«. Zu diesen inneren Kriterien kommen äußere, darunter die Institutionalisierung und »die gleichberechtigte Repräsentanz in akademischen Gremien und Einrichtungen«. Merkmale einer »Institution« in dem Sinne, wie der Ausdruck in dem Buch verwendet wird, sind »Dauerhaftigkeit«, »Ordnung (in Form von Regelgefügen, Mitgliedschaften, Hierarchien oder Zielsetzungen)« und »Transpersonalität«. Die Übergänge zwischen Religionspädagogik als Reflexion von Praktikern auf ihr Tun und akademischer Disziplin sind fließend, reicht doch auch die Erstere in ihrem Niveau gelegentlich an die Letztere heran. Entsprechend wird Religionspädagogik auch außeruniversitär in Fortbildungseinrichtungen für Praktiker betrieben und schlägt sich in Verbandszeitschriften nieder.
Die 17 Beiträge des mittleren Teils sind nach Institutionen (außerhalb von Hochschulen – an Hochschulen und Universitäten) und nach Epochen (Kaiserreich und Weimarer Republik, Zeit nach 1945) geordnet. Den Anfang bilden Blicke auf die Anfänge, den Schluss auf die Medien. Aus Platzgründen sind nur kurze Bemerkungen zu einzelnen dieser 17 Beiträge möglich.
W. Simon beschäftigt sich mit den Anfängen der katholischen Katechetik ab 1599 und zeichnet ihren Weg an einzelnen Hochschulen bis zu den Anfängen ihrer Institutionalisierung im zweiten Drittel des 18. Jh.s und mit einem Ausblick auf die spätere Zeit nach. »Institutionelle Kontexte und wissenschaftliche Profile« protestantischer Katechetik »im langen 19. Jahrhundert« thematisiert J. Wischmeyer. Detailreich schildert er ihre »Institutionalisierungsformen im universitären Lehrbetrieb«, den Einfluss positionell-theologischer Konflikte auf ihr Selbstverständnis und ihre »Infragestellung und Marginalisierung durch Neuansätze«, die unter »Religionspädagogik« firmieren. Vereinigungen von Praktikern können einesteils durchaus ein Problembewusstsein entwickeln, das zur Klärung des fachlichen Selbstverständnisses beiträgt ( A. Edelbrock), andernteils kann dieses Problem auch gegenüber Fragen wie der Unterrichtsmethodik zurücktreten (U. Hemel). H. Simojoki schildert die Bestrebungen der preußischen Kirche in der Weimarer Zeit, mit Hilfe eines religionspädagogischen Instituts die Universitätspädagogik wissenschaftspolitisch und konzeptionell zu beeinflussen und kulturprägend zu wirken. J. Leimgruber, M. Rothgangel, Ch. Grethlein und N. Mette geben einen Überblick über die Fachgeschichte an den Universitäten München, Göttingen und Münster. Besonders in dem letzteren Beitrag wird deutlich, wie die Organisationsstruktur der Fakultät sich auf die Art auswirkte, wie die Vertreter des Faches dieses betrieben. »Institutionalisierung und Profil von Katechetik im Spiegel von Lexika« stellt Bernd Schröder dar. Er untersucht allgemein-theologische, pädagogische und disziplinspezifische Nachschlagewerke. Für »Katechetik« und »Religionspädagogik« finden sich darin höchst unterschiedliche terminologische Präferenzen und Verhältnis­bestimmungen: Unterordnung, Gleichordnung, Bezug auf unterschiedliche Lernorte und Epochen, Anbindung an die Theologie oder die Pädagogik etc. Pädagogische Nachschlagewerke sind bis weit ins 20. Jh. »in aller Regel einer christlichen Konfession verpflichtet«, ab etwa 1970 wird dagegen »in erziehungswissenschaftlichen Lexika« auf Religionspädagogisches immer spärlicher Bezug genommen.
Disziplinspezifische Lexika gibt es in geringer Zahl erst seit 1961. Tendenziell ergibt sich zur Frage der Institutionalisierung etwa folgendes Bild: Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. erscheint Katechetik als praktisch-theologische bzw. pastoraltheologische Disziplin. Seit etwa 1900 tritt immer mehr die Bezeichnung ›Religionspädagogik‹ hervor. Mit der Letzteren sieht Schröder ein erweitertes Gegenstandsfeld, einen stärkeren Bezug auf außertheologische Disziplinen und ein größeres Innovationspotential verbunden. In seiner »Bilanz« verweist Schröder auf die »dreifache Wurzel der ›Re­-ligionspädagogik‹ als Wissenschaft«. Die erste Wurzel ist die Prak­-tische Theologie bzw. die Pastoraltheologie. An deren »Verwissenschaftlichung« ab dem ausgehenden 18. Jh. hatte auch die in ihrem Rahmen betriebene Katechetik teil. »Eine zweite Wurzel stellt die Ausbildung von Volksschullehrern und -lehrerinnen im Rahmen allgemein-pädagogischer Institutionen dar«, die ab 1919 zunehmend akademisiert wurde. »Als eine dritte Wurzel ist die Praxisreflexion von Religionslehrenden anzusprechen.« Die Bevorzugung der Be­zeichnung ›Religionspädagogik‹ anstatt ›Katechetik‹ markiert einen »Paradigmenwechsel«: »vorrangige Bezugnahme auf außertheologische Referenzwissenschaften«, »Bevorzugung methodischer und didaktischer vor (systematisch-)theologischer Reflexion«, »Hochschätzung von Amt und Persönlichkeit des Religionslehrers«, »Orientierung am Ziel der religiös-sittlichen Persönlichkeit«, »Krisendiagnose angestammter Lernorte«. Der wissenschaftliche Status der Religionspädagogik innerhalb der Theologie und folglich ihr Platz an theologischen Fakultäten war lange strittig. Ihrem eigenen Programm nach strebt sie eher »nach Assoziation mit der Er­ziehungswissenschaft«. Ob man durch dieses Streben an Wissenschaftlichkeit dazugewinnt, lässt sich mit Fug und Recht fragen. Auch die Katechetik in dem alten Sinne von Theorie der pädagogischen Weitervermittlung der Glaubensinhalte kann Psychologie, Soziologie, Allgemeine Pädagogik und andere Human- und Kulturwissenschaften als Hilfsdisziplinen im gleichen Maße heranziehen und sowohl die kinder- und jugendpsychologischen Voraus setzungen als auch den sozialkulturellen Rahmen berücksichtigen. Der Band macht deutlich, wie wenig die Konzeption und Stellung eines Faches im akademischen Kräftefeld von wissenschaftstheoretischen Überlegungen bestimmt sind und welch eine wichtige Rolle Prestige- und Expansionsbedürfnisse seiner Vertreter und der anderer Fächer spielen.