Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

820-822

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Uwe

Titel/Untertitel:

Vergegenwärtigung und Reflexion. Überlegungen zur Christologie und ihrer Didaktik.

Verlag:

Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2010. XII, 369 S. 8°. Geb. EUR 49,80. ISBN 978-3-86573-557-7.

Rezensent:

Christoph Gramzow

Der Glaube an Jesus Christus steht im Zentrum der christlichen Religion und entsprechend bildet die Auseinandersetzung mit der christologischen Thematik einen wesentlichen Schwerpunkt im Religionsunterricht. Vor diesem Hintergrund deckt Uwe Schäfer in seiner an der Philipps-Universität Marburg angenommenen Dissertationsschrift auf der Basis einer Analyse aktueller Religionsbücher eine Reihe von Motiven auf, in deren Fokus das Thema Jesus Christus unterrichtet wird (8 ff.). So zeige sich das Bemühen, durch die historische Einordnung und die damit verbundene Betonung der menschlichen Seite Jesu eine größere Nähe zu Jesus zu erzeugen. Auch diene eine bevorzugt ethische Sicht auf Jesus Christus der Sicherung seiner anhaltenden Bedeutung. Bisweilen werde ferner die Besonderheit Jesu in Gestalt des »fremden Jesus« ebenso unterstrichen wie eine »denkerische Erschließung« der Heilsbedeutung Christi stattfinde.
Dem Vf. dienen diese Befunde als Indikator für ein von ihm konstatiertes generelles Problem hinsichtlich des unterrichtlichen Umgangs mit dem Thema Jesus Christus. Dieses bestehe darin, dass im Falle der genannten Hauptmotive jeweils eine »vorliegende und feststehende Sache« zum Ausgangspunkt aller weiteren di­daktischen Überlegungen gemacht wird. Diese »Sache« werde dann im Zuge des Lehr- und Lernprozesses nur noch vom Sender zum Empfänger transportiert, was der christlichen Glaubensweise je­doch nicht gerecht werde (25 f.). Die spezifische Thematik – die Christologie –, die zudem in die »Ordnung des Religiösen«, nicht des Denkens (M. Henry) verweise, verbiete es jedoch, zwischen Sach- und Lerndimension zu trennen. Vielmehr unterliege beides einem Implikationsverhältnis. Für den Vf. macht sich die Frage der Sachangemessenheit vor allem daran fest, ob Jesus Christus als »entscheidender Hinwendungspunkt existentieller Zuversicht« verstanden und präsentiert wird (7 u. a.). Damit stellt der Vf. der verbreiteten historischen oder ethischen Orientierung das auf religiöser Erfahrung basierende Eindrucksbild eines präsentisch relevanten Jesus Christus gegenüber (46 f.). So müsse es dem christlichen Religionsunterricht darum gehen, den Lernenden zu zeigen, wo dem jüdisch-christlichen Gott begegnet werden kann. Eine solche Gottesbegegnung aber sei nach christlichem Verständnis ganz an die Vergegenwärtigung des Christusereignisses gebunden. Seine Grenzen erfahre ein solcher Ansatz in dem »Charakter der Fremdheit«, der dem Christusereignis innewohnt, ebenso wie in der Bindung eines solchen Vorgehens an die Darstellung im religiösen Vollzug (71). Folglich hält der Vf. die Inanspruchnahme kirchlich-religiöser Vollzüge des Christentums im Religionsunterricht aus religionstheoretischen, nicht aus didaktisch-methodischen Gründen für unverzichtbar.
Religionsdidaktisch führt eine solche Perspektive den Vf. u. a. zu folgenden Fragen: »Wie kann ein un-mögliches Ereignis religionsdidaktisch begriffen, inszeniert, erschlossen und reflektiert werden? … Welche Lerntheorie kommt für einen Umgang mit dem Fremden in Betracht?« (75)
Einer Beantwortung dieser Fragen nähert sich der Vf. in mehreren Schritten. Zunächst gelte es festzuhalten, dass das Christus­ereignis selbst weder eine menschliche Möglichkeit der Verfügung darstellt noch die Möglichkeit einer didaktischen Operationalisierung bietet. In seiner Vermittlung und Aneignung lasse sich das Christusereignis nicht festlegen, bleibe vielmehr kontingent. Zu­gänglich und für religiöse Lehr- und Lernmomente mitteilbar seien aber die Erfahrungen von Menschen, die sich auf das Chris­tusereignis beziehen und die auf die Möglichkeit einer solchen Christus-Erfahrung verweisen.
Für den Religionsunterricht verbindet sich damit die Herausforderung, »günstige Lehrräume und Lernarrangements« bereitzustellen, so dass durch sie die besondere religiöse Darstellungsweise des Christusereignisses einschließlich der damit verbundenen Fremdheit ansichtig wird. Im Zuge eines »responsivlogischen Lernens« könne es endlich beim Lernenden selbst zu einem Umlernen innerhalb eines etablierten Erfahrungshorizontes kommen. Unter dem Anspruch des Fremden eröffnet sich dem Menschen ein neuer Verständnishorizont: »Responsivlogisches Lernen ist … als ein solches Ereignis zu begreifen, in welchem es zu einer Umstrukturierung des maßgebenden und etablierten Erfahrungshorizontes kommt bzw. kommen kann, ausgelöst durch eine aktuelle Wahrnehmung und Erfahrung.« (118) Im Unterschied zu sonst gängigen Lernformen steht ein responsivlogisches Lernen für eine auch Diskontinuität akzeptierende phänomenologische Sichtweise des Lernens. Ihm korrespondiere vor allem die »Performative Religionsdidaktik« mit ihrem Hauptanliegen, Religion als erkennbar gelebte Religion im Unterricht darzustellen und mitzuteilen (129). In diesem Sinne gehe es einer ›Christologie und ihrer Didaktik‹ um eine spielerisch-erprobende Ingebrauchnahme der christlich-religiösen Darstellungsformen. Dabei könne der Lernende eine neue und verändernde Sichtweise auf sein Leben wahrnehmen: »Unter der vermittlungslogischen Vorgabe, dass Gott sich in Jesus Christus zeigt ( etsi Deus daretur), können Lernende nunmehr kompetenzorientiert innerhalb des Probehandelns aufgefordert werden, eine selbst geschriebene Beerdigungsansprache vorzutragen, Se­genshandlungen an anderen Menschen vorzuführen, seelsorgerliche Gespräche zu formulieren und zur Aufführung zu bringen, Gestaltung ›heiliger Orte‹ (z. B. Altäre) vorzunehmen und anderes mehr.« (147)
Geleitet vom Anliegen einer religiösen Dimensionierung des Themas Jesus Christus – in Abgrenzung zu historischen, ethischen oder dogmatischen Erstarrungen – entwirft der Vf. abschließend Unterrichtsbausteine einer ›Christologie und ihrer Didaktik‹, die er selbst im Rahmen einer qualitativ-rekonstruktiven Untersuchung mit Jugendlichen einer zehnten Jahrgangsstufe überprüft. Die dokumentarische Interpretation des videographischen Materials fördert eine Reihe von Auswirkungen des Ansatzes der ›Christologie und ihrer Didaktik‹ auf Lerngegenstand und Lernkultur im Religionsunterricht zutage. So bewegen sich Lehr- und Lernpersonen überwiegend in einem offenen und wenig planbaren Lernvollzug, der sich durch ein intuitives, impulsives und teilnehmendes Verhalten der Lernenden auszeichnet. Eine aktive Bezugnahme auf Lerngegenstände und -themen wird gefördert und erleichtert es den Lernenden, an fremde Wissens- und Erfahrungskontexte an­zuknüpfen (220 f.).
Gemessen am Anspruch des Vf.s, eine religionsdidaktische (Neu-) Orientierung für den Unterrichtsgegenstand Christologie leisten zu wollen, sind der Arbeit einige wertvolle Impulse zu entnehmen. Zunächst verweist der Vf. auf tatsächlich oft anzutreffende Einseitigkeiten bei der unterrichtlichen Behandlung des Themas Jesus Christus. Vor allem in den unteren Jahrgangsstufen wird dies durch die vielfach primär »historisch« ausgerichteten Lehrpläne auch nahegelegt. Weiterhin fordert die Arbeit auf, im Kontext einer auch den Religionsunterricht zunehmend bestimmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralität über Bedeutung und Stellenwert des christlichen Bekenntnisses zur Offenbarung Gottes in Jesus Chris­tus nachzudenken und zu fragen, ob und wie dem im Unterricht Rechnung getragen werden kann. Schließlich bietet der vorgeschlagene Ansatz einer »Verschränkung von religiösem Vollzug und theologischer Reflexion« einschließlich der entfalteten Unterrichtsideen einen unterrichtlichen Zugang, der die in den didaktischen Bereich hineinreichende Eigenwilligkeit des christlichen Glaubens ernst nimmt, sich dabei aber konsequent an dessen Möglichkeiten für das Leben des »Aneignungssubjekts« ausrichtet. Wünschenswert gewesen wäre noch eine kritische Auseinandersetzung des Vf.s mit der Frage, inwiefern sich der Ansatz einer »Christologie und ihrer Didaktik« tatsächlich für den öffentlichen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland eignet. Aus religionssoziologischer Sicht, aber auch mit Blick auf die Haltung nicht weniger Religionslehrerinnen und -lehrer scheinen hier Zweifel angebracht.
Letztendlich wird vom Leser erwartet, dass er sich auf einen anspruchsvollen, bisweilen etwas abgehobenen Sprachduktus einlässt, der wohl nicht immer notwendig gewesen wäre. Dank einer klaren Gliederung und Gedankenführung ist dem Fortgang des Werkes dennoch gut zu folgen.