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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

819-820

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Jones, Steven P., and Eric C. Sheffield[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Role of Religion in 21st-Century Public Schools.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Ox­ford: Lang 2009. VII, 227 S. m. Abb. 8° = Counterpoints, 374. Kart. EUR 22,60. ISBN 978-1-4331-0764-1.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Wer als europäischer Leser diesen Band liest, wird angesichts des Titels eher enttäuscht sein. Erwartungen etwa im Blick auf Fragen des Religionsunterrichts an der staatlichen Schule oder der Bedeutung des Islam sowie anderer nichtchristlicher Religionen und der weltanschaulichen Pluralität stehen nicht im Zentrum des Bandes. Mit der Ausnahme eines als Ausblick angelegten Kapitels am Ende des Buches, in dem ein Blick nach Dänemark und die multikulturellen und multireligiösen Verhältnisse dort gewagt wird, geht es allein um die bekannten amerikanischen Konflikte im Verhältnis zwischen öffentlichem, hier also staatlichem Bildungswesen und (christlicher) Religion. Interessant ist daran freilich, dass diese Konflikte auch in der Gegenwart mit großer Schärfe weitergehen und die für die USA bezeichnende, verfassungsmäßig – je nach Einschätzung – garantierte und erzwungene radikale Trennung von öffentlicher Bildung und Religion jedenfalls keineswegs zu dauerhaft friedlichen Verhältnissen geführt hat.
Der Band ist aus der im Jahr 2007 an der Missouri State University durchgeführten »third annual Critical Questions in Education conference« hervorgegangen (von den 65 Vorträgen wurden elf ausgewählt). Die 13 Autorinnen und Autoren sind in verschiedenen Wissenschaftsbereichen sowie gesellschaftlichen Vereinigungen tätig (Erziehungswissenschaft, Religionswissenschaft, Rechtswissenschaft u. a.; Society for the Advancement of Christian Education u. a.). International am bekanntesten ist wohl die in Stanford lehrende Erziehungswissenschaftlerin Nel Noddings, die nach dem Einleitungsbeitrag des Erstherausgebers den Sammelband mit Thesen »Understanding Unbelief as Part of Religious Education« eröffnet – einer Auffassung, der zufolge Bildung beides, »belief« und »unbelief«, gleichermaßen einschließen muss und nicht Partei ergreifen darf (26). Großen Umfang nehmen Beiträge zu Rechtsfragen und besonders, wie es der juristischen Diskussion in den USA entspricht, zur (verfassungs-)gerichtlichen Rechtsauslegung ein (anders als in Deutschland auch bezogen auf den tertiären Bildungssektor), etwa von dem in Emory/Atlanta lehrenden T. Jeremy Gunn. Wie u. a. der für den Alliance Defense Fund tätige Jordan Lorence deutlich macht, lässt auch das amerikanische Recht beträchtlichen Spielraum im Namen einer auch in der Öffentlichkeit auszuübenden Religionsfreiheit, was erklärt, warum selbst im Blick auf das öffentliche Bildungswesen immer wieder die entsprechenden Grenzen allererst ausgelotet werden müssen (was freilich den prinzipiell ausgeschlossenen konfessionellen Religionsunterricht nicht tangiert). Weitere Beiträge behandeln neben eher bildungsphilosophischen Fragen (zum Verhältnis zwischen Religion und staatsbürgerlicher Erziehung: Craig S. Engelhardt; zu Typen der Rationalität: Andrew N. McKnight) auf unterrichtspraktische Fragen und Erfahrungen, etwa zum Umgang mit dem nach wie vor nicht nur in den USA heißen Thema »Schöpfung/Intelligent Design und Evolutionstheorie« (Steve Broidy) oder mit religiös gehaltvoller Literatur im muttersprachlichen Unterricht (Ryan Kennedy).
Besonderer Wert kommt den beiden Beiträgen zum Schulgebet zu (Susan E. Waters; Craig A. Smith), nicht zuletzt weil sie auch detailliert auf wenig bekannte historische Hintergründe eingehen. Erst so wird deutlich, dass der Streit um das Schulgebet, der schließlich zu dessen Abschaffung führte, keineswegs als Auseinandersetzung mit dem Agnostizimus begann, sondern als Streit zwischen Protestanten und den katholischen Immigranten im 19. Jh. 1844 kam es vor allem in Philadelphia zu gewalttätigen Auseinandersetzungen über diese Frage, so dass letztlich erst die Stationierung einer schwerbewaffneten Einheit der Armee für den Einzug wenn schon nicht friedlicher, so doch zumindest ruhiger Verhältnisse sorgen konnte (113).
Insgesamt handelt es sich um einen interessanten Band, der trotz seiner Begrenzung auf die Vereinigten Staaten doch eine Reihe grundsätzlicher Fragen informativ erörtert. Damit unterstreicht er die Bedeutung der weltweit unerledigten Fragen im Verhältnis zwischen Religion und Bildung im Horizont moderner Demokratien, die auf der Trennung zwischen Staat und Kirche bzw. Religion beruhen. Trotz aller regionalen Bezüge auf so nur in den USA zu findende Verhältnisse wird erkennbar, dass die Grundprobleme durchaus international vergleichbar sind. Und mehr noch wird sichtbar, dass es keinen Königsweg zur Beantwortung solcher Fragen gibt, den man beispielsweise – wie mitunter be­hauptet wird – in Deutschland mit einer konsequenteren Trennung von Staat und Kirche doch endlich einschlagen möge. Das Thema Religion und Bildung bleibt offenbar auch im 21. Jh. virulent.