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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

816-817

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stuflesser, Martin, u. Stephan Winter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Ahme nach, was du vollziehst …«. Positionsbestimmungen zum Verhältnis von Liturgie und Ethik.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2009. XII, 303 S. 8° = Studien zur Pastoralliturgie, 22. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-7917-2184-2.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Durch das viel zitierte Votum des Prosper von Aquitanien, dass die Lehre der Kirche durch die Praxis ihres Gebetes bestimmt werde (»ut legem credendi lex statuat supplicandi«), ist der Zusammenhang »lex orandi – lex credendi« dogmatisch und liturgiewissenschaftlich seit den liturgischen Bewegungen des 19. und 20. Jh.s immer wieder im Blick gewesen. Darüber hinaus sind aber nicht nur in der Befreiungstheologie, sondern auch in der Ethik in den letzten Jahrzehnten die Zusammenhänge mit der »lex agendi« deutlich geworden (und explizit zu »Lex orandi – lex credendi – lex agendi« äußerte sich dann erstmals Teresa Berger 1985). Für den protestantischen Leser ist dabei die Einschätzung bemerkenswert, eigentlich sei die Verbindung zwischen Liturgie und Ethik verdächtig, etwas typisch Protestantisches zu sein (4, M. Stuflesser; 56, Th. Schärtl). Doch in seinem einleitenden Beitrag expliziert Stuflesser (Würzburg): In der Eucharistie werde ein Gesellschaftsmodell gefeiert »which is very different from the society we experience day by day« (15). Denn 1. lehrt die Liturgie ein sakramentales Weltverständnis, so dass wir 2. in ihr alle gleich, aber nicht dasselbe sind; Liturgie ist 3. ein Gegenentwurf zu allen Formen von gesellschaftlichem Individualismus, indem sie 4. das Führen anderer als Dienen ermöglicht (16). Und Thomas Schärtl (Washington) fügt hinzu: »Although liturgy is not an ethical discourse, primarily, it presents the vision of an eschatological utopia that challenges ethics.« (64 f.) Aus der Liturgie bezieht die Ethik die Kraft zur Vision und Anti­-zipation, zu narrativer Inkarnation und performativer Expression (66).
Der vorliegende Band enthält die Beiträge eines Internationalen Symposiums zum Thema »Liturgie und Ethik«, das 2007 in Boston stattfand; gut die Hälfte der Beiträge des Bandes sind darum in englischer Sprache abgedruckt (Martin Stuflesser, James F. Keenan, Ryan Nicholas Danker, Thomas Schärtl, Lawrence R. Manfredi, Nicholas Austin, Lucas Chan, Jaime Vidaurrázaga, Lisa Sowle Cahill, Robert J. Daly). Diese Beiträge fragen eher von der Liturgie her auf ethische Denkmodelle hin und spiegeln dabei besonders auch die starke Bezugnahme auf tugendethische Argumentationsmuster in der angelsächsischen Ethikdiskussion.
Das primäre Interesse der Beiträge im ersten Teil ist damit eher die Ethik, während hier die Liturgie als Untersuchungsgegenstand dient. Ein wichtiger Gesprächspartner dieser Beiträge ist der methodistische Theologe Stanley Hauerwas in Durham (30 f., J. F. Keenan; 38 ff., R. N. Danker; 124 ff., J. Vidaurrázaga). Indem weiterhin die Gnade als Lebensform und die Denkweisen von Thomas von Aquin herangezogen und miteinander in Gespräch gebracht werden, ergeben sich Brücken zwischen Moraltheologie (Ethik) und anderen theologischen Disziplinen (86, N. Austin). Dieser Gedanke hat etwas schlechthin Überzeugendes, denn in der Tat ist das Ästhetische und Ethische über die Kategorie der »Lebensform« besser miteinander zu vermitteln, als das bei deontologischen Denkmustern der Fall ist, die liturgisch besonders leicht in die Irre führen können. Der ethische Fokus ermöglicht außerdem neue historische Wahrnehmungen, was man etwa an dem Beitrag von R. J. Daly (151–167) über die ethischen Implikationen der Opferterminologie in den Eucharistiegebeten sehen kann. Hier ist besonders auf den sehr hilfreichen statistischen Überblick zu 18 Eucharistiegebeten (160 f.) sowie auf das aus Röm 12,1 entwickelte Eucharistiegebet zum Thema »Opfer« von Daly selbst zu verweisen (165–167). Dieses Gebet kann man auch aus evangelischer Perspektive nur als äußerst bemerkenswert und gelungen bezeichnen.
Angefügt sind fünf Beiträge in deutscher Sprache, die eher ma­teriale liturgiewissenschaftliche Fragen und deren ethische Implikationen behandeln (Stephan Winter zur Mystagogie und liturgischen Bildung, Klemens Richter zum Verhältnis von Liturgie und Diakonie, Winfried Haunerland zu einer eucharistischen Lebensform und Stefan Ernst sowie Martin Stuflesser zur Krankensalbung). Hier besteht das primäre Interesse an der Liturgie, während die ethische Reflexion die Konsequenzen bestimmter Feierformen bedenkt.
Durch die (implizite) Gliederung des Bandes in zwei große Teile erschließt sich der Zusammenhang von lex orandi und lex agendi in verschiedener Weise: Zum einen hat die Liturgiewissenschaft auf das Verhalten, das Ethos der Menschen vor, während und nach der Feier zu achten. Anderenfalls drohte der Gottesdienst als Narkotikum missbraucht zu werden. Zum anderen ist bereits das Ethos des Feierns eine ethische Realität, an der das Zustandekommen von Habitus und Normativität beobachtet werden kann. Kurz: In dem Band, an dem (ausschließlich katholische) Moraltheologen und Liturgiker beteiligt waren, lässt sich eine liturgisch inspirierte Ethik und eine ethisch aufmerksame Liturgik studieren: »Gottesdienste zielen nicht auf die Diskussion gesellschaftlich drängender Fragen. Aber auch wenn die Liturgie in diesem Sinne zweckfrei ist, ist sie nicht zwecklos.« (225, Klemens Richter) Das wird man auch von dem vorliegenden Band sagen können. Er erfüllt einen guten Zweck, indem er den doppelten Dialog zwischen zwei Sprachräumen und zwei theologischen Disziplinen dokumentiert.