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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

801-803

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Augustin, George [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Gottesfrage heute.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2009. 217 S. 8° = Theologie im Dialog, 1. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-451-30302-9.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Der Aufsatzband enthält acht Aufsätze von katholischen Theologen zur Gottesfrage in der Gegenwart. Diese Texte waren ur­sprünglich die Beiträge zu einem Symposium, das im April 2008 anlässlich des 75. Geburtstages von Walter Kasper vom Kardinal Walter Kasper Institut Vallendar veranstaltet wurde. Dem Anlass entsprechend wird in den meisten Beiträgen Bezug genommen auf die Publikationen Kaspers zur Gottesfrage, insbesondere auf sein Hauptwerk »Der Gott Jesu Christi«.
Den Auftakt des Aufsatzbandes bildet ein Beitrag von Walter Kardinal Kasper zum Thema »Es ist Zeit, von Gott zu reden«. Darin ruft Kasper die Theologie auf, sich inmitten des gegenwärtigen »Megatrend[s] Religion« (18) der Gottesfrage als ihrer ureigensten Sache zuzuwenden, wobei Jesus Christus als der Auslegungsschlüssel der Wirklichkeit, als das concretum universale zu be­trachten sei. Dies mündet in eine Trinitätslehre, die nach Kaspers Beobachtung »nach einer Zeit einer Art von Dornröschenschlaf … heute wieder neu aktuell geworden« (27) sei.
Deutlich dialogischer als Walter Kardinal Kasper verfährt sein Nachfolger im Amt des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Koch. Seine nachdenklichen Reflexionen zum Thema »Die Gottesfrage in Gesellschaft und Kirche« nehmen auch Texte aus der Feder evangelischer Theologen wahr. Dies lässt für die ökumenische Arbeit des Vatikans hoffen. Koch diskutiert diverse Aspekte, die für die Thematisierung der Gottesfrage in den heutigen Gesellschaften Europas und in der Kirche der Gegenwart von Bedeutung sind. So stellt Koch im Blick auf die heutigen europäischen Gesellschaften seine Sicht auf die Pluralität der Öffentlichkeit, die Säkularisierung und Privatisierung des Gottesglaubens oder die Dominanz des Relativismus dar. Im Blick auf die Kirche hebt Koch den »Primat der Gottesfrage in der Kirche« (48) hervor, beklagt jedoch auch zugleich die Gotteskrise in der heutigen Kirche. Dagegen macht Koch, Wolfhart Pannenberg rezipierend, einen Gottesbegriff stark, der Gott als den Gott der Geschichte begreift und insofern zugleich als Wahrheit der Geschichte versteht, die in Jesus Christus erschienen ist. Von diesem Gottesbegriff aus präsentiert Koch dann weitere Überlegungen zum christlichen Gottesglauben im interreligiösen Dialog, in dem es den trinitarischen Gottesgedanken zu bewahren gilt, weil er zum innersten Selbstverständnis des christlichen Glaubens gehört.
Gerhard Ludwig Müllers Beitrag trägt die Überschrift »Der vergessene Gott! Gotteserfahrungen in unserer Zeit?« Zum einen sieht Müller geistesgeschichtlich und durch Beispiele aus der Gegenwart belegt die Gottvergessenheit mit einer Vergottung des Menschen einhergehen. Zum anderen geht er der Frage nach, wie Menschen heute Gott erfahren können. Von Dietrich Bonhoeffer und Emmanuel Lévinas ausgehend reflektiert Müller dabei vor allem Einsichten aus seiner pastoralen Arbeit als Bischof.
Karl Kardinal Lehmann widmet sich in seinem Beitrag »Gott – das bleibende Geheimnis« der Diskussion des Geheimnisbegriffs in der katholischen Theologie allgemein und in der Theologie des 20. Jh.s im Besonderen, wobei er eigens den Beitrag Walter Kaspers zu dieser Diskussion würdigt.
Markus Striet behandelt das Verhältnis von »Gottesglaube und Gotteszweifel«. In einem strengen Gedankengang legt er den Sinn und die Implikationen der Einsicht dar, die Walter Kasper in seiner Untersuchung der Spätphilosophie Schellings (»Das Absolute in der Geschichte«) gewonnen hatte, dass Gott vollkommen frei zu denken sei. Striet setzt ein mit einer positiven Würdigung des Nominalismus, der die Freiheit Gottes konsequent bedenkt und zugleich »ein Denken des Individuellen etabliert, das das Einzelne in seiner Würde freisetzt« (96). Der »Glaube an den wahrhaft freien Gott« hänge jedoch, so Striet, »am Freiheitsbewußtsein des Menschen«. »Je mehr Bewusstsein von der Freiheit des Menschen, von seinem ursprünglich-ureigenen und zur freien Selbstbestimmung aufgerufenen Selbst vorhanden ist, desto entschiedener ist der Mensch bereit, den freien Gott als den letzten Horizont seines Verstehens der Welt zu begreifen« (99). Von solcher Einsicht geleitet kann Striet nicht nur zu einer demütigen Haltung gegenüber all jenen Zeitgenossen finden, die einen Glauben an Gott nicht teilen (können), sondern auch zu einer starken Betonung der Kontingenz im Begreifen Gottes und seiner Offenbarung gelangen, dem dann ein ebenso kontingentes Erleben göttlicher Gnade und ein Kierkegaardsches Verständnis des Glaubens entspricht.
Thomas Söding behandelt das Thema »›Einer ist Gott‹ (Röm 3,30)– Der paulinische Monotheismus, Israel und die Kirche«. Sein Anliegen ist es, anhand der Auslegung zentraler Texte des Römerbriefs die lutherisch-katholische Verständigung über die Rechtfertigungslehre mit einer Erneuerung des Verhältnisses zum Judentum zu verknüpfen, mit einer Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage zu verbinden und für die Communio-Soteriologie und Communio-Ekklesiologie zu öffnen. Söding zeigt, dass eine so verstandene paulinische Rechtfertigungslehre einen Monotheismus des Glaubens voraussetzt, der trinitarisch konkretisiert ist, auch wenn Paulus eine entsprechende dogmatische Begriffsbildung noch nicht kennt.
Der längste Beitrag in dem Sammelband stammt von George Augustin zum Thema »Der Gottesgedanke und das trinitarische Gottesverständnis«. Angesichts des heutigen Religionspluralismus unternimmt Augustin die Aufgabe, den christlichen Gottesgedanken und seinen Wahrheitsanspruch zu entfalten sowie das daraus resultierende christliche Selbstverständnis und die universale Sendung des Christentums zu explizieren. Augustin stellt sich dieser Aufgabe in einer positiven und produktiven Rezeption der Wissenschaftstheorie und Fundamentaltheologie Wolfhart Pannenbergs, über die er einen höchst kundigen Überblick präsentiert. Im Ergebnis zeigt er, dass das trinitarische Bekenntnis der Christen konkreter Monotheismus und – mit Walter Kasper formuliert – die christliche Antwort auf die Heilsfrage der Welt ist.
Den Abschluss bildet ein Beitrag von Hubert Lenz zum Thema »Gotteserfahrung ermöglichen – Zentrale Aufgabe heutiger Er­wachsenenkatechese«. Dieser Beitrag versteht sich selbst als »eine Art Werkstattbericht« (194) über Erfahrungen, die an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar mit dem Pastoralkonzept »Wege erwachsenen Glaubens« gemacht wurden.
Intellektuell interessierten Lesern können die Beiträge von Striet, Söding, Augustin und Koch zur Lektüre empfohlen werden.