Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

790-791

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bennett, Maxwell, Dennett, Daniel, Hacker, Peter, u. John Searle

Titel/Untertitel:

Neurowissenschaft und Philosophie. Gehirn, Geist und Sprache. M. e. Einleitung u. e. Schlußbetrachtung v. D. Robinson. Aus d. Englischen v. J. Schulte.

Verlag:

Berlin: Suhrkamp 2010. 277 S. m. Abb. 8°. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-518-58542-9.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Der Band bietet die Einsicht in eine Diskussion zwischen dem Physiologen Maxwell Bennett und dem Philosophen Peter M. S. Hacker auf der einen, den Philosophen Daniel C. Dennett und John R. Searle auf der anderen Seite. Der zuerst in englischer Sprache unter dem Titel »Neuroscience and Philosophy. Brain, Mind, and Language« 2007 veröffentlichte Band geht zurück auf eine dreistündige Veranstaltung, die sich »durch ungewöhnlich lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern auszeichnete«, und bietet Auszüge aus älteren Arbeiten der Diskutanten, aus: »Philosophical Foundations of Neuroscience« (2003) von Bennett und Hacker und die Erwiderungen von Dennett und Searle unter den Titeln »Philosophie als naive Ethnologie« und »Packt das Bewusstsein wieder ins Gehirn« sowie eine abermalige Erwiderung von Bennett und Hacker auf ihre Kritiker unter dem Titel »Die begrifflichen Voraussetzungen der kognitiven Neurowissenschaft« und »Epilog« (beide 2007). Eine Einleitung sowie eine Schlussbetrachtung des Philosophen Daniel Robinson unter dem Titel »Nach wie vor auf der Suche. Wissenschaft und Philosophie auf dem Weg zur fürstlichen Vernunft« umrahmt die Diskussion, bei der es um nicht weniger geht als um die »Deutungsmacht in Bezug auf den menschlichen Geist«.
Robinson begnügt sich weitgehend mit der Dokumentation der Argumentation der Kontrahenten, ohne sich selbst innerhalb der Auseinandersetzung klar zu positionieren. In ihrer Kritik an den erfahrungswissenschaftlich orientierten Neurowissenschaftlern sind Bennett und Hacker älteren philosophischen Traditionen verpflichtet, vor allem dem sprachkritischen Ansatz von Ludwig Wittgenstein, hier und da mag auch ein kantscher Ansatz durchschimmern, so, wenn die Autoren betonen, begriffliche Fragen kämen vor allen Überlegungen, die Wahrheit und Falschheit betreffen, es gehe bei begrifflichen Fragen nicht um die Wahrheit oder Falschheit empirischer Aussagen, sondern um die Form der Darstellung. Bennett und Hacker werfen den empirischen Neurowissenschaftlern vor, alte Begriffsverwirrungen in diesem Bereich durch neue er­setzt zu haben, so würden dem Gehirn psychologische Eigenschaften zugeschrieben, es werde mit dem Geist gleichgesetzt, der Geist sei jedoch »weder eine vom Gehirn verschiedene noch eine mit dem Gehirn identische Substanz« (19). Wesentlich ist für die Autoren die Darstellung, dass der Mensch »nicht ein in den Schädel eingebettetes Gehirn« sei, sondern »eine psychosophische Einheit«, ein Lebewesen mit der Fähigkeit wahrzunehmen, zu empfinden und ab­sichtlich zu handeln, die Sprache zu gebrauchen, ausgestattet mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein (20). Die Autoren zeigen die Grenzen der Korrelation zwischen neuronalen Phänomenen und dem Besitz und der Ausübung psychischer Fähigkeiten auf, so dass es keinen Sinn habe, psychologische Attribute »irgendeiner kleineren Einheit zuzuschreiben als dem Lebewesen als Ganzem« (21). Dabei geben Bennett und Hacker ihre Bewunderung der Leistungen der Neurowissenschaft des 20. Jh.s als Motiv für die Veröffentlichung ihres Buches an und entfalten ihre einleitend dargestellte Position durch Bezugnahmen auf drei Kapitel ihres Buches »Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaft«.
Sie werfen ihren Gegnern eine »degenerierte Form des Cartesianismus« vor und wiederholen ihre Grundthesen mehrfach, die immer wieder auf die Feststellung hinauslaufen, dass das Gehirn weder sehend noch blind sei. Das Gehirn komme als Träger psychologischer Prädikate nicht in Betracht, die sich nur von ganzen Lebewesen aussagen ließen. Der Mensch denke, nicht das Gehirn. Die Neurowissenschaftler begingen, wenn sie von Bestandteilen eines Lebewesens aussagten, was nur von einem ganzen Lebewesen sagbar sei, einen mereologischen Fehlschluss. Durch Auseinandersetzung mit verschiedenen Einwänden wird dieser kritische Ansatz vertieft und durch die Analyse des Naturwissenschaftlers Bennett in einem weiteren Kapitel ergänzt, in dem er darauf hinweist, dass wir erst am Anfang zum Verständnis der Vielfalt synaptischer Beziehungen zwischen Neuronen stünden. Der naturwissenschaftliche, mit Zeichnungen ausgestattete Teil mahnt die Neurowissenschaftler zu mehr Bescheidenheit. Daniel Dennett identifiziert in seiner Erwiderung den Bennettschen Ansatz als von Wittgenstein herkommend und recht alt und versucht, Bennett und Hacker mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen, indem er nach der Gemeinschaft fragt, für die deren Sprachregeln gelten, ihre Argumentation als naiv brandmarkt und als philosophische Anmaßung bezeichnet. Es sei ein »empirisches Faktum«, dass Teile unseres Gehirns an Prozessen beteiligt seien, die »Mutmaßungen, Entscheidungen, Überzeugungen, voreiligen Schlußfolgerungen usw. frappierend ähnlich sind« (124).
Insgesamt fällt die Kritik im Rahmen des üblicherweise eher sachlichen wissenschaftlichen Diskurses zum Teil recht polemisch aus. Auch John Searle kommt zu einer recht kritischen Würdigung von Bennett und Hacker, nachdem er die Richtigkeit einzelner Aussagen der beiden Autoren gewürdigt hat. Dabei macht schon der Titel seines Aufsatzes »Packt das Bewusstsein wieder ins Gehirn« das Ziel seiner Ausführungen deutlich. An Beispielen wie etwa dem Phänomen des Schmerzes versucht er zu zeigen, wie das Gehirn die inneren Empfindungen verursacht. Er versucht auch, den mereologischen Fehlschluss als Argument zu widerlegen, um auf das Ergebnis zu kommen, das Gehirn erzeuge z. B. einen phänomenologisch realen Körperraum und einen Schmerz in diesem Körperraum, was sich auch an sog. Phantomschmerzen demonstrieren lasse. Philosophische Überlegungen, die nur dem ganzen Menschen psychische Eigenschaften zuschreiben, nicht aber dem Ge­hirn, sind nach Searle interessant, aber für die Neurobiologen vernachlässigenswert, für ihre Anliegen sei das Gehirn als »kausaler Mechanismus und anatomischer Ort ausreichend« (171). Im Ge­gensatz zu Hacker sehe er sich auch nicht dazu in der Lage, »eine wirklich trennscharfe, genaue Unterscheidung zwischen empi­-rischen und begrifflichen Fragen zu treffen« (174).
In ihrer erneuten Replik auf ihre Kritiker versuchen Bennett und Hacker, nochmals die philosophische Stringenz ihrer Argumentation zu zeigen. Weitgehend stellt dieser Teil ein Beharren auf bisher Dargelegtem dar, mit nuancierter Gedankenführung, belegt unter anderem durch Rückgriff auf Aristoteles, der betont habe, nicht die Seele könne z. B. Mitleid haben, sondern nur der Mensch mittels der Seele. Im Epilog erläutert Bennett noch einmal die Möglichkeiten und Grenzen, aber auch die seiner Auffassung nach verfehlte Hybris der Neurowissenschaft, einiges davon ist wieder mit Zeichnungen illustriert. Die Schlussbetrachtung Robinsons reflektiert nochmals das Für und Wider der verschiedenen Positionen, ohne sich jedoch für die Präferenz einer der Auffassungen zu entscheiden.
Der Band ermöglicht in kompakter Form eine Teilhabe an einem wichtigen Diskurs moderner Philosophie, einer Auseinandersetzung um zentrale Begriffe wie Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Geist, Denken zwischen Naturwissenschaft und Philosophie.