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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

763-764

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Guttenberger, Gudrun

Titel/Untertitel:

Passio Christiana. Die alltagsmartyrologische Position des Ersten Petrusbriefes.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2010. 104 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, 223. Kart. EUR 22,80. ISBN 978-3-460-03234-7.

Rezensent:

Bernhard Mutschler

Gudrun Guttenberger, Professorin für Biblische Theologie und Religionspädagogik an der Fachhochschule in Hannover, be­stimmt zunächst die Disposition des 1. Petrusbriefes als drei von Prä- und Postskript umschlossene Hauptteile (1,3–2,10; 2,11–4,10; 4,12–5,11) und seine Gattung als Brief, der »als eigenständiger Text und nicht als Teil einer Textgruppe zu lesen« sei (15) und »in der Sache« der Trostliteratur (vgl. 5,12a) angehöre: »Der Brief zielt also intentional auf die Erklärung und daraus folgende Annahme von Leidenssituationen hin« (16).
Das Leiden der Adressaten resultiere aus Diskriminierungen, die diese aufgrund ihrer separaten Stellung zu erdulden hatten, weder der griechisch-römischen Mehrheitsgesellschaft noch dem Judentum zugehörig. Abgelehnt wird, dass im Brief ein Martyrium erwartet werde (gegen A. Reichert 1989) oder politisch und sozial begründete Diskriminierung vorliege (gegen P. Elliott 1981). Der Trost erfolge durch den Zuspruch einer bestimmten Identitätskonstruktion im ersten Hauptteil des Briefes (27–33), nämlich Zeugung und Geburt durch Gott einerseits (1Petr 1,3.23–25, individuell) und Heiligkeit andererseits (2,4–10, kollektiv), sowie durch Paränesen im zweiten und dritten Hauptteil des Briefes (34–52). Durch ein »wohlgefälliges Leben« (1Petr 2,12), dargestellt am Verhältnis zum Staat (1Petr 2,13–16) sowie an demjenigen christlicher Ehefrauen zu ihren Ehemännern (3,1–6), sollten die Christen deeskalierend ad extra auftreten und die feindselig eingestellte Mehrheitsgesellschaft insofern beschwichtigen. Gelänge dies nicht wie im Fall von unberechen­baren Sklavenherren, dann bliebe nur die Möglichkeit der Annah-me eines unverdienten, unausweichlichen Leidens in den Spuren Chris­ti als Gnade (2,18–25). Für den Verfasser stelle diese Möglichkeit den »Normalfall christlichen Lebens« dar (50–52; 50).
Während die Identitätskonstruktion im Rahmen der Stigmatisierungstheorie des amerikanischen Soziologen Erving Goffman (1922–1982; Stigma 1963 [dt. 1970]) als In-group-Orientierung zu beschreiben sei – das stigmatisierende Christsein wird zum Konstitutivum der Gruppe –, entsprächen die beschwichtigenden Empfehlungen und Anweisungen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft einer Out-group-Ausrichtung. G. bezeichnet dies als dritten Weg »im Umgang mit stigmatisierenden Vorgängen« (59 f.). Mit seiner eschatologischen »Hoffnung auf den Erwerb einer unverletzlichen und integren Identität« führe der fiktive Briefautor möglicherweise über ein bloßes »management of spoiled identity« – so der englische Untertitel von Goffmans Buch – hinaus (62).
Im abschließenden Teil werden Einleitungsfragen und die als fingiert angenommene Kommunikationssituation des Briefes erläutert, »jedoch notwendigerweise hypothetisch« (90). Der Brief sei zwischen 70 und dem (um 110–130 datierten) Polykarpbrief geschrieben (68), näherhin »um die Jahrhundertwende« (92). Seine Verfasserangabe sei eine »unzutreffende aber legitime Zuschreibung« (83). Sowohl der fingierte Abfassungsort »Babylon« (1Petr 5,13) als auch das fingierte Zielgebiet (1,1; S. 76: der Verfasser war über die politischen Verhältnisse zum Teil »im Irrtum«), das »an den für Rom gefährlichsten Gegner der Zeit: an die Parther« erinnere, dienten »der Formulierung von Kritik« (92). Die ausdrück­lichen Loyalitätsbekundungen würden dagegen »die ablehnende, politisch brisante Seite« der Position des 1Petr in einer für Außenstehende verborgenen Weise schützend kaschieren (ibid.). Das Konzept von Anpassung, Konfliktvermeidung und Bereitschaft zum unausweichlichen und alltäglichen Leiden wird zusammenfassend als »passio christiana« bezeichnet (93).
Offen bleibt, wo, von wem und an wen der Brief näherhin ge­schrieben worden sein könnte. In jedem Fall liegt eine spannende (und allzu raffinierte?) Hypothese vor, die sich im Rahmen der verfügbaren historischen Daten bewegt. Dass dabei der »Hypothezitätsgrad hoch ist«, notiert G. auch selbst (91). Literaturverzeichnis und Autorenregister runden den lesenswerten Band ab (94–104).