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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

759-762

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Volgger, David

Titel/Untertitel:

Und dann wirst du gewiss sterben. Zu den Todesbildern im Pentateuch.

Verlag:

St. Ottilien: EOS-Verlag 2010. XI, 387 S. 8° = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 92. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-8306-7448-1.

Rezensent:

Dominikus Kraschl

Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann bezeichnet den Tod und das Nachdenken über den Tod als ein kulturschaffendes Prinzip ersten Ranges. Dies gelte jedoch nicht für alle Kulturen gleichermaßen: »Der Tod bildet Mitte und Sinnzentrum der ägyptischen Kultur … ganz im Gegensatz etwa zu Israel, dessen Religion mit dem Tod nichts anfangen kann und ihr Sinnzentrum vielmehr in der Geschichte, der Geschichte des Volkes wie der Lebensgeschichte des einzelnen hat« (1). Assmanns Thesen geben Anlass zur Frage, wie Israel den Tod und das, was mit ihm zu tun hat, im Rahmen seines eigenen Kultursystems reflektiert hat.
Die Studie widmet sich dieser Thematik im Hinblick auf das vielleicht wichtigste Kulturprodukt Israels: den Pentateuch. David Volgger hebt zunächst hervor, dass Israel im Unterschied zu anderen orientalischen Kulturen keinen mythologischen Bezugsrahmen für die Reflexion von Sterben und Tod kennt. Der Tod ist für Israel zuallererst Abbruch und Vernichtung (2). Das schließe jedoch nicht aus, dass Sterben und Tod ein zentrales Thema der mosa­-ischen Schriften sind. Das Erkenntnisinteresse V.s ist in erster Linie ein bibeltheologisches. Seine Textanalysen folgen dem Erzählzusammenhang bzw. der Gesamtkomposition des Pentateuchs. His­torisch-kritische Fragestellungen treten demgegenüber in den Hintergrund. Dabei arbeitet V. mit der hermeneutischen Voraussetzung, »dass der Pentateuch eine ganz bestimmte Reflexion über den Tod und das Leben danach bietet« (3). Er verfolgt ein doppeltes Erkenntnisinteresse: Zum einen beabsichtigt er, »ausgehend von konkreten Todesereignissen und Todesandrohungen, die Todesbilder im Pentateuch zu eruieren und in ihrem inneren Zusammenhang zu bedenken« (3 f.). Zum anderen möchte er herausarbeiten, was diese Deutungsmuster menschlicher Endlichkeit für die Erkenntnis von Tora besagen. Denn: Die fünf Bücher Moses wollen in erster Linie Tora oder Weisung für Israel sein, indem sie reflektieren, warum man sich als Israelit so verhält und nicht anders (4 bzw. 340). Im Folgenden skizziere ich einige markante Thesen und Ergebnisse der Untersuchung. Dabei soll V. wiederholt selbst zu Wort kommen.
Die Erzählung von Adam und Eva (Kapitel 2) macht deutlich, dass das Wissen um die eigene Sterblichkeit – als Folge der Übertretung des göttlichen Gebots durch den Genuss der verbotenen Furcht – der Erkenntnis von Tora keinen Abbruch tut. Auch jenseits von Eden vermag der Mensch Yhwhs Weisungen zu erkennen. Allerdings führt der unumkehrbare Weg aus dem Garten Eden, einem utopischen Ort, der nur in der Tora des Moses existiert, in eine Zukunft geminderten Lebens, die mit dem sicheren Tod endet. Es handelt sich um eine Wanderung im Schatten des Todes. Dieses beunruhigende Bild des Todes hat seinen Ort letztlich in der Lebenswelt der Leser.
Die Erzählung von Kain und Abel (Kapitel 3) thematisiert die Ermordung eines Menschen. Sie erläutert, dass sowohl Geburt und Alter als auch ökonomischer und sozialer Hintergrund, ebenso wie emotionaler Stress oder depressive Verstimmungen keine entscheidende Rolle für die Erkenntnis der Tora Yhwhs spielen. Auch noch als Mörder wird Kain die Fähigkeit zur Tora-Erkenntnis zugemutet. Dass Kain daraufhin sein Ackerland für immer verlassen muss, ohne jemals ein neues für seinen Lebensunterhalt zu finden, lässt sich als ein Bild der Lebensminderung und damit der Todesverfallenheit deuten.
Die Fluterzählung (Kapitel 4) macht im Bild der Vernichtung allen Lebens deutlich, dass sich die göttliche Tora dem Menschen erst dann umfassend erschließt, »wenn er die Erkenntnis, dass Elohim alles, also auch den Menschen gut erschaffen hat, in einem zweiten Schritt mit der Erkenntnis verknüpft, dass Yhwh den Menschen, der Böses plant und ausführt, auch vernichtet« (343, vgl. 51). Das Wissen um diese zweifache Auswirkung der göttlichen Schöpfungskraft, von Schöpfung und Anti-Schöpfung, gehört zur vollen Tora-Erkenntnis.
Der Ort des Todes und der Bestattung Saras und Abrahams (Kapitel 6) fällt mit dem Zielort ihrer Wanderung, dem gelobten Land, zusammen. In diesem Zusammenhang taucht erstmals das schwer zu deutende Todesbild auf, wonach ein verstorbener Israelit »zu seinen `ammim versammelt wird«. V. entwickelt einen bemerkenswerten Interpretationsversuch dieses dunklen Todesbildes, das im Erzählverlauf des Pentateuchs mehrmals wiederkehrt. Er schlägt vor, unter `ammim »eine neue Bürgerschaft zu verstehen, die sich von der hetitischen Bürgerschaft in Kirjat-Arba unterscheidet und ihren Anfang im Land Kanaan nahm, als Abraham für seine verstorbene Frau Sara einen Grabbesitz auf dem Feld des Hetiters Efron von den Notablen der Stadt erwarb. Zur dieser neuen Bürgerschaft zählten nur Menschen wie Abraham [und Isaak usw.], die auf das Wort Yhwhs hörten und auf seinen Wegen bis zum Ende wandelten. Da sich diese neue Bürgerschaft erst nach dem Tod, aber vor der Grablegung ihrer Mitglieder definitiv konstituiert, kann sie weder durch den Tod noch durch den spezifischen Bestattungsort ihrer Mitglieder eingeschränkt werden« (82). »Sie kommt aber auch nicht ohne Verbindung zum ›Leben‹ auf dieser Erde aus, zumal dies der Ort des Gehorsams gegenüber Yhwh ist. Für die Tora-Erkenntnis bedeutet dies folgendes: Zum einen wird der Tod die Tora-Erkenntis der neuen Bürgerschaft nicht beschränken, auch wenn jedes einzelne Mitglied im Tod an die Grenze seiner individuellen Tora-Erkenntnis gelangt. Zum anderen wird die Grabstätte Abrahams und Saras die Tora-Erkenntnis nicht auf einen ganz be­stimmten Ort einengen, auch wenn die neue Bürgerschaft nicht ohne Ortsbezug (›gelobtes Land‹) auskommen kann.« (342 f., vgl. 82)
Anhand der Josefsgeschichte (Kapitel 7) thematisiert V. das Verhältnis von Tora-Erkenntnis zu ägyptischer Weisheit. Obwohl Letztere für das Überleben der Familie Jakobs eine überlebenswichtige Rolle spielte (und somit jedenfalls nicht im Gegensatz zur Tora-Erkenntnis steht), wollte Jakob keinesfalls im Land Goschen begraben werden, sondern er verpflichtete seine Söhne, seinen Leichnam von Ägypten fortzuschaffen und in der Höhle von Machpela beizusetzen. Die Erzählstruktur zeigt damit – so V. –, »dass die Erkenntnis von Tora, auch wenn sie in der ›Grammatik‹ oder ›Kulturgestalt‹ einer anderen Weisheit zu Wort kommen kann, … dass sie aber einen anderen Ursprung und ein anderes Ziel hat. … Die Tora-Erkenntnis mag zuweilen ›ohne Ort‹, d. h. utopisch erscheinen, sie enthält aber in sich eine ganz bestimmte ›Topographie‹, die vorgibt, wohin es gehen soll – d. h. so zu handeln und nicht anders.« (128)
Auch der Auszug Israels aus Ägypten (Kapitel 8) war nicht nur »ein Aufbruch in ein neues Leben, dem gelobten Land entgegen« – wie man bei oberflächlicher Toralektüre meinen könnte –, »sondern auch ein Weg in die Vernichtung und den Tod« (345). Nach Auffassung V.s leitet die Tora nicht so sehr zum »intellektuellen Kampf gegen den Lebensrhythmus anderer Kulturen und Völker« an als vielmehr dazu, den eigenen (und fremden) Tod im Horizont der Weisung Yhwhs zu reflektieren. Am Beispiel der Schlachtung der Pessachlämmer, der Auslösung der Erstgeburt und der Be­schneidung wird verdeutlicht, dass die Reflexion über den Tod »eine einzigartige Ausprägung im israelitischen Lebensrhythmus« gewann (152 f.).
Bei der Offenbarung Yhwhs am Berg Sinai (Kapitel 9) spielen Tod und Vernichtung u. a. deshalb eine Rolle, weil der Bundesschluss im Zeichen des Todes ratifiziert wurde: Mose musste das Bundesvolk nach der Verlesung der Bundesurkunde mit dem Blut junger Opfertiere besprengen. Das Blut des Bundes zeigt den Tod der Opfertiere an. Demgegenüber verweist der schriftlich fixierte Text der Bundesurkunde, der unabhängig von Mose und seinen Begleitern immer wieder vorgelesen und gehört werden konnte, auf den Tod seines »Autors«, d. h. auf Mose. Vernichtung und Tod gehören – so V. – unabdingbar zur Reflexion der Sinai-Offenbarung (167).
Als die Israeliten Mose für tot hielten (Kapitel 10), weil er nicht mehr vom Sinai herunterkam, und sie deshalb ihr Vertrauen in ein Stierbild setzten, sah Yhwh darin »das Ende aller göttliche Nähe in Israel und trug Mose auf, das gesamte Volk zu vernichten« (178). Mose gelang es jedoch, die angekündigte Vernichtung in ein »Bild des ›verzögerten‹ Todes umzuwandeln, wodurch dem störrischen Volk jenseits der Todesstrafe ein Weg in die Zukunft eröffnet wurde« (178 bzw. 346). Die zwei Tafeln, die im neu errichteten Begegnungszelt aufbewahrt wurden, erinnerten an den tödlichen Vorfall um das goldene Kalb. Man könnte auch sagen: Die kultische Offenbarung Yhwhs vermittelte sich von nun an nur mehr im Zeichen des von Yhwh über Israel verhängten Todesurteils (Kapitel 11). Der israelitische Opferkult am Zeltheiligtum und die Reflexion von rein und unrein und ihre Verknüpfung mit dem Thema Tod und Vernichtung werden in Kapitel 12 und 13 abgehandelt.
Beim Einzug ins gelobte Land (Kapitel 14) sollten die Israeliten »die Kanaaniter vertreiben oder ausrotten, denn Yhwh, der eigentliche Besitzer des gelobten Landes, wollte mit den Israeliten einen neuen, authentischen Kult- und Verehrungsraum in Kanaan schaffen. Die Auslöschung bzw. Vernichtung der ursprünglichen Bevölkerung wurde dadurch zu einem Teil der geschichtlichen Erinnerung Israels.« Außerdem »konnten die Israeliten ihren Anspruch auf ein Stück gelobtes Land nur im Blick auf einen verstorbenen Vorfahren geltend machen. Lev 25 bestimmt in seiner Reflexion zum Jubeljahr, dass jedes Grundstück im gelobten Land einen Namen oder Rechtstitel besitzt, der letztlich bis in die Zeit der Landgabe durch Mose und Josua zurückreicht. Ein Israelit musste also seine verstorbenen Vorfahren, die mit dem betreffenden Grundstück in Verbindung standen, in Erinnerung rufen und sich dadurch in die Genealogie der ersten Besitzer des gelobten Landes eintragen.« (349)
Im Blick auf die Todesstrafe (Kapitel 15) ist von Interesse, dass die Rechtskorpora Ex–Dtn zwischen einer »Tötung von Menschenhand, die automatisch zur Trennung des Schuldigen von seinen Mitmenschen führt, und der Strafe Karet [unterscheiden], die den Tod des Schuldigen zusätzlich theologisch als Trennung von der … Volksgemeinschaft interpretiert. Die zu Karet verurteilten Israeliten können folglich auch nicht mehr Anknüpfungspunkt für die Erkenntnis von Tora sein. Ihre Genealogie geht ihn jedem Fall zu Ende, wobei die Verurteilten frühzeitig sterben müssen …« (350).
Die Untersuchung endet mit der Analyse der im Buch Deuteronomium überlieferten Reden des Moses (Kapitel 19). Er hält diese Reden allesamt an seinem Todestag – an der Schwelle zum gelobten Land vor dem versammelten Volk Israel, das seinerseits von der Todeserfahrung in der Wüste gezeichnet ist. Mose schärft Israel ein, dass es »im gelobten Land unter dem Segen und Fluch Yhwhs [steht]. Die Übertretung der göttlichen Vorschriften und Gesetze, die für das gelobte Land gelten, könnten sogar zur Vernichtung des Volkes oder zur Tötung einzelner Mitglieder führen.« (353) Denn: »Yhwh ist allein das Leben und als solcher tötet er und führt auch wieder zum Leben.« Keine Macht kommt gegen Yhwh an. Er ist »das einzige Lebewesen oder die einzige Entität in den Büchern des Moses, auf die kein Bild des Todes oder der Vernichtung angewandt wird« (354).
Die thematische Untersuchung liefert einen wertvollen Beitrag zur Pentateuchforschung. Die hermeneutische Vorentscheidung V.s, die fünf Bücher Moses einigermaßen unbefangen als theolo­gische Gesamtkomposition zu lesen, ist mutig, aber auch provo­zierend. Sie steht ein wenig quer zum Mainstream der historisch-kritisch ausgerichteten bibelwissenschaftlichen Forschung. Dessen ungeachtet ist festzuhalten: Die Untersuchung von V. weist überzeugend auf, dass der Tod, anders als Assmann vermutet, ein zentrales Movens der mosaischen Schriften darstellt. Die Eigenart von Israels Reflexion des Todes gewinnt ihre unverwechselbaren Konturen – so zeigt V. – im Zusammenhang der Erzählungen vom Ungehorsam gegenüber der Weisung Yhwhs, von dem Auszug aus Ägypten, dem Sinaibund, der Landverheißung bzw. -nahme, den mosaischen Kult- und Rechtsvorschriften und anderes mehr. Posi tiv hervorzuheben sind schließlich die klare und verständliche Sprache sowie die hilf­reichen Kapitelzusammenfassungen. Ein Autoren- und ein Stellenregister beschließen dieses ebenso lesenswerte wie leserfreundliche Buch.