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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

756-758

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Metzenthin, Christian

Titel/Untertitel:

Jesaja-Auslegung in Qumran.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2010. VIII, 383 S. gr.8° = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 98. Geb. EUR 56,00. ISBN 978-3-290-17545-0.

Rezensent:

Anja Klein

Die bei K. Schmid in Zürich angefertigte Dissertation von Christian Metzenthin widmet sich der »Jesaja-Auslegung in Qumran«. M. will »die in den Qumranschriften vorfindliche Auslegung des Jesajabuches untersuchen und diese in einen größeren historisch-hermeneutischen Kontext stellen« (5). Die engere Textbasis seiner Untersuchung bilden die Jesaja-Pescharim sowie die weiteren Qumrantexte, in denen sich Jesaja-Zitate finden. Zur Klärung der Vorgeschichte wird die Studie auf eine breitere Textbasis gestellt, die die innerbiblische Prophetenauslegung und die Prophetenrezeption in den in Qumran gefundenen Apokryphen und Pseud­epigraphen umfasst. Leitende Fragestellung für diesen Textbereich ist, inwiefern die Schriftauslegung in Qumran Anhaltspunkte im Alten Testament selbst hat bzw. inwieweit sie durch diejenige in zwischentestamentlichen Schriften beeinflusst ist. Die Arbeit greift damit ein entscheidendes Desiderat der gegenwärtigen alt­-tes­tamentlichen Forschung auf, indem sie die nun vollständig edierten Qumrantexte auswertet und die Jesaja-Auslegung in Qumran als Ausschnitt der Auslegungsgeschichte zwischen Altem und Neuem Testament versteht.
Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte. In der Einleitung (1–14) steckt M. Fragestellung und Untersuchungsgegenstand ab. Der eigentlichen Analyse der Jesaja-Auslegung in Qumran schickt er im zweiten Teil eine ausführliche Darstellung der Grundlagen voraus (15–111), die neben Begriffsklärungen und Einleitungsfragen auch die Untersuchung der Schriftauslegung in den apokryphen und deuterokanonischen Schriften umfasst. Formal übernimmt M. die literaturwissenschaftliche Kategorisierung von Zitat, Verweis und Anspielung, um eine sichere Ausgangsbasis für die Beschreibung des Befunds zu haben. Leitend für die hermeneutische Untersuchung ist das Verständnis des Habakuk-Peschers 1QpHab, in dem die Worte des Propheten Habakuk als Prophetie für die Gegenwart gedeutet werden. Die Überprüfung der These, »dass ein gewisser Zusammenhang mit der innerbib­lischen Prophetenauslegung sowie der Prophetenrezeption in den apokryphen und deuterokanonischen Schriften besteht« (31), bereitet M. durch Beispiele aus dem Jesajabuch, der als exemplarisch eingeordneten Schriftauslegung von Dan 9 und Untersuchungen der Prophetenrezeption in Apokryphen und Pseudepigraphen vor.
Die eigentlichen Untersuchungen zur Jesaja-Auslegung in Qumran bilden den Hauptteil der Arbeit (113–342). Am Anfang steht die Analyse der Jesaja-Auslegung in den Regel-Texten CD, 1QS und 1QM (114–194). Hier fallen zwei methodische Entscheidungen: M. konzentriert sich formal auf die Zitate aus dem Jesajabuch und er weitet die Untersuchung auf Schriftzitate aller biblischen Bücher in diesen Qumrantexten aus, um eine breitere Basis zu haben. In Bezug auf die Handschriftengruppe der Jesaja-Pescharim 3QpJes; 4QpJesa–e (195–266) stellt er zunächst fest, dass sich die These eines zusammenhängenden Werkes weder verifizieren noch falsifizieren lässt, so dass eine einheitliche Beurteilung nur aufgrund gemeinsamer Themenfelder vorgenommen werden könne. Als die mehreren Pescharim gemeinsamen Themen bestimmt er »die Ab­grenzung gegenüber anderen mit dem Anspruch, allein das wahre Israel … zu sein, sowie das Einhalten der Tora bzw. ihr ›Verwerfen‹ durch die anderen jüdischen Gruppierungen« (263). M. sieht damit für die Jesaja-Pescharim insgesamt eine theologische Nähe zu der bei Tritojesaja zu findenden Traditionsströmung, »welche das Heil nur für die Frommen, für die Frevler jedoch Gericht erwartet« (265). Die Verfasser verstünden sich als den toratreuen Rest und sähen ihren Weg in der Prophetie Jesajas vorgezeichnet, die sie für ihre Zeit und Lebenswirklichkeit aktualisierten. Die dritte Gruppe der untersuchten Texte bilden die thematischen Pescharim 4Q174 + 4Q177, 1QMelch (267–323), die allerdings nur vereinzelt Jesaja-Zitate aufweisen. So entscheidet M. auch hier, Aussagen über die Auslegungstechnik und Hermeneutik der Werke nur aufgrund der weiteren Basis sämtlicher Schriftzitate treffen zu können. In beiden Fällen sieht er sowohl in der Auslegungstechnik als auch in der eschatologischen Interpretation der Schriftworte, die auf die eigene Gruppierung bezogen werden, eine große Nähe zu den fortlaufenden Jesaja-Pescharim. Am Ende des Hauptteils steht schließlich ein Abschnitt zu »Pescher-Exegese und Traumdeutung« (325–342), in der M. ausgehend von den Analogien zwischen Pescher-Exegese und divinatorischen Methoden die weitgehend anerkannte These bestätigt, dass die in den Pescharim verwendete Deutungsmethode der Pescher-Exegese aus der Divination stammt und über die Traumdeutungskunst der hellenistischen Umwelt vermittelt worden sei.
Die Schlussfolgerungen des vierten Abschnitts (343–357) bestätigen die im Grundlagenteil im Vorgriff formulierte These, dass Schriftauslegung in Qumran und die Jesaja-Auslegung im Besonderen »in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zur innerbiblischen Schriftauslegung sowie zu Prophetenrezeption und Prophetenbild in den Apokryphen und Pseudepigraphen steht« (345). Als Spezifikum der qumranischen Schriftauslegung beschreibt M. die Anwendung der Pescher-Exegese aus der hellenistischen Traumdeutungspraxis, die aber zur Deutung prophetischer Worte be­nutzt werde. In hermeneutischer Perspektive formuliere sich in der Prophetenauslegung in Qumran ein prophetischer Anspruch, mit dem die Offenbarungen auf die konkreten Ereignisse der Welt- und Gemeindegeschichte gedeutet würden. Während sich diese Schlussfolgerungen im Rahmen bisheriger Forschungsergebnisse bewegen, liegt der besondere Ertrag der Arbeit in den Thesen zur Jesaja-Auslegung.
Hier gelingt M. der Nachweis, dass das Jesajabuch der Qumran-Gemeinde in besonderer Weise dazu diente, »die Übereinstimmung der eigenen Überzeugungen und Lebensform mit der Schrift auszuweisen« (355). Eine auffallende Nähe beobachtet er zur Prophetie des Tritojesajabuches, in dessen Heilsbeschränkung auf die Frommen das Selbstverständnis der Qumrangruppierung als der einzig wahren Frommen Israels »ihren sachlichen Vorläufer« (356) hat. Allerdings werde diese Überzeugung nicht durch die Auslegung von Texten des dritten Teils des Jesajabuches gewonnen, sondern durch die Auslegung von zentralen Texten aus dem übrigen Buch, die »in die gleiche Richtung wie bei TtJes interpretiert werden« (356).
An dieser Stelle wäre nach Einschätzung der Rezensentin eine stärkere literarhistorische Auswertung des Befundes wünschenswert gewesen. Gerade im Blick auf das eingangs formulierte Ziel, die Jesaja-Auslegung in Qumran als Ausschnitt der Auslegungsgeschichte zu verstehen, legt sich doch die Überlegung nahe, dass die sachliche Nähe zu Tritojesaja bzw. verwandten Texten als Bevorzugung der späten literarischen Schichten des Buches zu interpretieren ist. Damit sei im Hinblick auf die Gesamtanlage der Arbeit auch die Anfrage erlaubt, ob die Thesen nicht an Profil gewonnen hätten, wenn statt der thematischen Ausweitung auf Schriftzitate anderer Bücher eine stärkere Konzentration auf die Jesaja-Auslegung er­folgt wäre. Hier wäre an eine ausführlichere Einbeziehung der Literarhistorie des biblischen Buches sowie seiner Textüberlieferung in Qumran zu denken. Dessen ungeachtet leistet die Arbeit mit der sorgfältigen Aufarbeitung des Untersuchungsmaterials und der kenntnisreichen Einordnung der Jesaja-Auslegung in den Kontext des Frühjudentums einen wertvollen Beitrag zur alttestamentlichen Auswertung der Qumrantexte. Ihr sei eine gründliche Be­achtung in der Forschungsdiskussion gewünscht.