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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

753-755

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Glenny, Edward W.

Titel/Untertitel:

Finding Meaning in the Text. Translation Technique and Theology in the Septuagint of Amos.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2009. XV, 306 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 126. Lw. EUR 110,00. ISBN 978-90-04-17638-6.

Rezensent:

Aaron Schart

Das Buch von Edward W. Glenny ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation am Department für Classical and Near Eastern Studies der Universität in Minneapolis (adviser: Philip H. Sellew). Es umfasst neun Kapitel: Nach einer Einleitung (1–28) stehen die Kapitel 2–4 unter der Überschrift »Translation Technique«, wobei sich Kapitel 2 mit der Frage »Literal or Free Translation?« (31–69), Kapitel 3 mit der Übersetzung »of difficult and unknown words« (71–108) und Kapitel 4 mit »visually ambiguous phenomena« (109–146) befassen. Die Kapitel 5–8 stehen unter der Überschrift »Theology«, wobei Kapitel 5 »Anti-Syrian and anti-Samaritan Bias« (149–184), Kapitel 6 »God in LXX-Amos« (185–199), Kapitel 7 »Gentiles, Eschatology, and Messianism« (201–240) und Kapitel 8 »The Translator« (241–265) behandeln. Ein Summary (267–273), das Literaturverzeichnis und drei Indizes schließen das Buch ab.
G. geht stillschweigend von der Voraussetzung aus, dass die Textedition von Ziegler den ursprünglichen Text der Amos-Septuaginta darstellt. Auf dieser Grundlage legt er dar, dass die Vorlage des Übersetzers durchgehend mit dem MT identisch war. In den wenigen Fällen, wo das nicht wahrscheinlich ist, habe er nicht frei übersetzt, sondern eine andere hebräische Vorlage gehabt, wie ein Vergleich mit den Textfunden aus der judäischen Wüste zeigt (10–14).
Der Übersetzungsstil des LXX-Übersetzers ist sehr wörtlich (Kapitel 2). Das gilt für die Wortfolge, die, soweit es die griechische Sprache zulässt, immer der hebräischen folgt (44–46), das gilt aber auch für die quantitative Repräsentation, insofern jedes semantische Element der Vorlage im Griechischen wiedergegeben wird (47–57). An dieser Stelle hätte G. noch eine höhere quantitative Übereinstimmung konstatieren können, wenn er auch die Möglichkeit zugestanden hätte, dass der MT gegenüber der Vorlage der LXX noch einige Zusätze erfahren hat, was in der Kommentarliteratur zum hebräischen Amosbuch zumeist angenommen wird. Schließlich zeigt sich die Wörtlichkeit der Übersetzung auch darin, dass der Übersetzer in der Regel für die gleichen hebräischen Worte auch gleiche griechische Worte verwendet (»stereotyping«). Wo von der Regel abgewichen wird, liegen oft Buchstabenverwechslungen, fehlerhafte morphologische Analysen oder gelegentlich auch in­haltliche Miss- oder Neuverständnisse vor.
Worte, die der Übersetzer nicht deuten konnte (Kapitel 3), werden nur in absoluten Ausnahmefällen transkribiert (so das Wort noqedim in Am 1,1, 73), sonst versucht er, aus dem Kontext heraus den Sinn seiner Vorlage abzuleiten, wobei er auch den hebräischen Parallelismus ausnutzt. In Am 4,2 (103–105, vgl. 120–121) lässt sich studieren, wie Schreibfehler in der hebräischen Vorlage, seltene, dem Übersetzer unbekannte Worte oder singuläre Nebenbedeutungen bekannter Worte, Assoziationen zu ähnlichen prophetischen Texten und das Vorverständnis des Übersetzers zusammenwirken, um einer Passage einen komplett neuen Sinn zuzuschreiben. Einige Differenzen zwischen LXX und MT sind durch visuelle Verwechslungen zu erklären (Kapitel 4). Es ist offensichtlich, dass der Übersetzer für viele Passagen keine verlässliche Vokalisierungstradition zur Verfügung hatte und in schwierigen Fällen selbst deuten musste.
Obwohl der Übersetzer also, so gut er konnte, den Sinn seiner Vorlage wiedergeben wollte, flossen auch »theologische« Überzeugungen ein (Kapitel 5). G. beginnt mit der Herausarbeitung anti-syrischer Polemik. Schon dadurch dass das hebräische »Aram« nicht transkribiert, sondern durchgehend mit »syria« wiedergegeben wird, wird eine Aktualisierung der geographischen Lage geschaffen (152). Die Leserschaft kann die geopolitische Situation der eigenen Zeit, mit dem Gegensatz von Seleukiden und Ptolemäern, wiedererkennen. In eher vorsichtigem Anschluss an die Dissertation von Jennifer Mary Dines, »The Septuagint of Amos: A Study in Interpretation« (London 1991), hält es G. für möglich, dass sich an Stellen wie Am 1,3–5; 1,15; 3,12; 4,2; 6,1; 6,7; 8,14; 9,7 anti-seleukidische Polemik zeigt. In Am 7,9 wird das hebräische miqdaschim »Heiligtümer« mit dem griechischen teletai wiedergegeben, was im Griechischen die Initiationsriten in die Mysterien bezeichnet, woran sich ebenfalls zeigt, dass die amosische Kritik auf zeitgenössische heidnische Phänomene appliziert wird (182–183).
Bei der Übersetzung der Gott betreffenden Aussagen (Kapitel 6) fällt der Titel pantokrator auf, der das hebräische »Zebaot« übersetzt. G. schließt sich denen an, die darin eine Universalisierung der Gottesvorstellung erkennen: Der KYRIOS, womit der hebräische Gottesname wiedergegeben wird, sei der Schöpfer, der nicht nur für Israel, sondern gleichermaßen für die ganze Welt zuständig sei (188–189). Es gebe keine Vermeidung von anthropomorphen Aussagen, so bleibt der Übersetzer in Am 9,1 bei der theologisch problematischen Vorstellung, dass der Prophet Gott sieht. Auch anthropopathische Aussagen bleiben erhalten, so in Am 5,21 die Aussage, dass Gott riecht. In Am 4,4 tilgt die LXX aber jeden Anschein, dass Gott selbst zu illegitimen Handlungen aufrufen könnte.
G. sieht (Kapitel 7), wie andere vor ihm, in der LXX deutliche Anzeichen dafür, dass Zukunftsaussagen auf die Endzeit bezogen werden. Ein gutes Beispiel ist in Am 7,1 zu finden, wo die LXX einen Hinweis auf »Gog« sieht, vermutlich weil sie den hebräischen Text nicht richtig entziffert hat (202–207). Wo der hebräische Text eine Heuschreckenplage sieht, sieht die LXX den Einfall des eschatologischen Widersachers gegen Gottes Reich, der auch in Ez 38–39 und Num 24,7 LXX unter dem Namen Gog beschrieben ist (vgl. in der hebräischen Überlieferung die Kriegsrolle, 1QM 11,16). Andere Hinweise von Eschatologisierung könnten in Am 8,8.14; 9,9–10 enthalten sein. Die im Neuen Testament zitierte Passage Am 9,11–12 werde schon in der LXX auf die eschatologische Restitution Israels und seines königlichen Herrschers gedeutet, dessen Herrschaft sich auch über die Heiden erstrecke (217–228). Letzterer sei auch in Am 4,13 im Blick, wo die Septuaginta eine andere Worttrennung als im MT voraussetzt, und wird dort als »christos« tituliert.
G. kann (Kapitel 8) die übliche Lehrmeinung bestätigen, dass Amos vermutlich in Ägypten übersetzt wurde. Nachdenkenswert ist in diesem Zusammenhang die These, dass die Berufsbezeichnung in Am 7,14 LXX, nach der Amos ein Sykomorenritzer war, eine ägyptische Adaption einer ansonsten unverständlichen hebräischen Phrase darstellt (246, Anm. 29). Er habe kaum eine durchgehende theologische Position in seine Vorlage hineinlesen wollen, sondern habe an solchen Stellen, wo er die Vorlage aus verschiedenen Gründen nicht verstand, nach bestem Wissen und Gewissen einen ihm auf der Grundlage der geltenden Auslegungsmethoden vertretbar erscheinenden Sinn erarbeitet. Als Abfassungzeit spreche nichts gegen eine Ansetzung in die Mitte des 2. Jh.s. Es spreche vieles dafür, dass der Amosübersetzer auch das gesamte Dodekapropheton übersetzt habe.
G. hat auf der Basis einer breiten Wahrnehmung der bisherigen Forschung eine solide Studie der Amos-Septuaginta vorgelegt, die die berühmten Passagen, aber auch geringfügige und völlig un­scheinbare Abweichungen vom MT sorgfältig und ausgiebig analysiert, sie klassifiziert und dann behutsam Folgerungen zieht. Inhaltlich bestätigt G. weitestgehend die Mainstream-Meinungen. So gesehen kann das Buch als gut gelungene systematische Darstellung des erreichten Forschungsstandes dienen.