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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

751-753

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Verheyden, Joseph, Zamfir, Korinna, and Tobias Nicklas[Eds.]

Titel/Untertitel:

Prophets and Prophecy in Jewish and Early Christian Literature.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. VIII, 348 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 286. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-150338-2.

Rezensent:

Anna Maria Schwemer

Der Sammelband geht auf eine internationale Tagung im Oktober 2006 zurück, veranstaltet vom »Centre for Biblical Studies of the Babes¸-Bolyai University Cluj«. Das Ziel der Konferenz war es nicht, das gesamte Feld biblischer Prophetie zu untersuchen, sondern verschiedene Aspekte in den Blick zu nehmen und den Spuren von Kontinuität und Diskontinuität zwischen alttestamentlicher und frühchristlicher Prophetie nachzugehen.
Walter Dietrich, »Samuel – ein Prophet?« (1–18), unterscheidet »zwischen … fiktiven und historisch plausiblen Angaben« (8) in den Samuelgeschichten und kommt zu dem Ergebnis, dass man Samuel den »Prophetenmantel … erst später umgehängt« hat; der historische Samuel war am ehesten »Richter« und »Königsmacher« (11). Er schließt mit einem Abschnitt zur modernen Rezeption der Samuelgestalt (12–17).
Johannes Klein, »Samuel, Gad und Natan. Ein Vergleich« (19–29), stellt die unterschiedliche Charakterisierung der drei Propheten in ihrem Verhältnis zu den jeweiligen Königen und deren Vergehen dar.
Brian Doyle, »The Prophet Isaiah and His Relational Metaphors« (31–40), behandelt die poetische Metapher »Weinberg« anhand der beiden berühmten »Weinberglieder« Jes 5,1–7 und 27,2–6 und zeigt, dass in Jes 27,2–6 der Autor die Metapher »Weinberg« kombiniert mit anderen Topoi wie Bäumen, Wurzeln, Früchten etc., um YHWHs Beziehung zu seinem Volk auszudrücken. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Umkehrung von Gottes Zorn in einen Schalom-Zustand beschrieben wird als »a sort of ménage à trois between God, the land (vine, trees, fertility) and the people (YHWH’s wife)«. Auf Mk 12,1–12 geht er nicht ein.
Rieuwerd Buitenwerf, »The Identity of the Prophetess Sibyl in Sibylline Oracles III« (41–55), untersucht den Schluss des Buches (Sib 3,809–829). Die Sibylle präsentiert sich als Tochter Noahs, die in der Urzeit nach der babylonischen Sprachverwirrung mit den griechischsprachigen Völkern auswandert, sich in Erythrai angesiedelt, längst vor Homer in Hexametern gedichtet, die Weltgeschichte vorhergesagt und den einzigen Gott der Juden weltweit proklamiert hat. Auf diese Weise verwandelte der Autor die griechisch-heidnische Prophetin in die Sprecherin des einzigen Gottes, deren universale Botschaft die einzigartige Rolle des jüdischen Volkes verkündete. Entstanden sei 3. Sib in Kleinasien, wo der Autor die Sibylle lokalisiere, und nicht in Ägypten, wie man zumeist annimmt. Das wird aber kaum überzeugend begründet.
In seinem grundlegenden Überblick über »Stages of Early Christian Prophetism« (57–75) schlägt Ulrich Luz den Bogen von den Anfängen – mit der Pfingstrede des Petrus, dem Problem, inwieweit die synoptische Jesustradition auf wanderradikale Propheten zurückgeht, den Aufgaben der Propheten in den paulinischen Ge­meinden und in der Johannesapokalypse »to exhort and to comfort« (67) – über eine zweite Phase, in der die »Crisis of Early Christian Prophecy« sichtbar wird in den Auseinandersetzungen um Pseudopropheten, zu einer dritten, in der schließlich im 2. Jh. »prophecy gets marginal«.
Tobias Nicklas, »Paulus – der Apostel als Prophet« (77–104), be­schreibt gut, wie Paulus nicht nur seine Berufung und seine Sendung zu den Völkern analog zu der Jesajas und Jeremias versteht und seine Leiden als Apostel mit dem der Propheten verbindet, sondern auch seine Argumentation »immer wieder Topoi [enthält], die … bei den wichtigen Propheten Israels begegnen« (103), und wie das paulinische Verständnis des Apostolats abhängig ist vom Vorbild der Sendung der Propheten.
Hans Klein, »Auf dem Grund der Apostel und Propheten. Bemerkungen zu Eph 2,20« (105–116), fragt danach, was »Apostel und Propheten« speziell im deuteropaulinischen Eph bedeuten und wie diese auch mit »ihrem Glauben und … Lebenswandel« die »Richtschnur« für »die wachsende Kirche« bilden (106.115. 116).
Paul Foster, »Prophets and Prophetism in Matthew« (117–138), unterstreicht, dass Mt an den Propheten liegt, weil ihre Botschaft Jesus als den verheißenen Messias Israels erweist und die Kirche selbst in ihrer angefochtenen Situation in der Nachfolge der Propheten steht.
Korinna Zamfir, »Jeremian Motifs in the Synoptics’ Understanding of Je­sus« (139–176), stellt heraus: Jeremia und Jesus sprechen gegen Jerusalem und den Tempel, Jesus drückt seine Kritik sogar mit einer prophetischen Zeichenhandlung aus. Beide kündigen die Zerstörung an und beklagen diese, aber erst auf redaktioneller Ebene wird die Tempelreinigung Jesu zur Vorhersage der Zerstörung. Jeremia und Jesus erleiden beide das Geschick der Verwerfung we­gen ihrer Kritik am religiösen »establishment«; das zeigt sie u. a. mit einem Vergleich zwischen der Tempelrede Jeremias und Mt 23,34.37–38 sowie Lk 13, 34–35.
Joseph Verheyden, »Calling Jesus a Prophet, as Seen by Luke« (177–210), kommt zu dem Ergebnis, dass für Lk Jesus nur von denen, die ihn nicht verstehen, Prophet genannt wird. Prophet ist keine hinreichende Kategorie für »the Lord and Christ, even … the Son of God« (204).
Urban C. von Wahlde, »The Role of the Prophetic Spirit in John: A Struggle for Balance« (211–242), zeichnet in sein Vier-Schichten-Modell des Joh die Entwicklung des johanneischen Verständnisses des Geistes ein. Erst in der 4. und letzten Fassung seien die Parakletpassagen in das Evangelium eingefügt worden (216), aber schon der Autor der 3. Edition habe die Funktion des Geistes mit der Jesu so eng verbunden, dass W. auch hier von »the function of the Paraclete« spricht (237).
Sorin Martian, »Prophétisme et symbolisme dans l’Apocalypse« (243–251): Der Verfasser versteht sich als Prophet und nimmt mit Symbolsprache, Bildern und Visionen die alttestamentlichen Traditionen auf, um die Hoffnung auf den Auferstandenen auszudrücken und seinen Lesern die Bedeutung der alten Prophetie für die »circonstances historiques du Ier siècle chrétien« zu erklären.
Beate Kowalski, »Prophetie und die Offenbarung des Johannes?« (253–293), bietet einen »Forschungsüberblick« (254–272), einen formgeschichtlich ausgerichteten Abschnitt über die prophetischen Traditionen (272–278) und untersucht Offb 22,6–21 »als Testfall« (279–292) mit dem Ergebnis, dass es eine prophetische Schrift ist. Sie fordert am Ende formalistisch, man müsse »sich neu der Gattungsfrage stellen und die künstliche Grenze zwischen Prophetie und Apokalyptik neu bedenken« (293).
Clayton N. Jefford, »Prophecy and Prophetism in the Apostolic Fathers« (295–316), beschließt den Band mit einem Blick auf Didache, Ignatius von Antiochien und den Hirten des Hermas.
Insgesamt bestätigt sich, was die Herausgeber im Vorwort betonen: Hier werden nicht alle Aspekte, die für das Thema wichtig sind, behandelt, aber der Band zeigt zugleich, dass es sich lohnt weiterzuarbeiten.
Die frühen Christen waren – wie nicht wenige ihrer jüdischen Zeitgenossen – überzeugt, in der Endzeit zu leben, in der die prophetischen Verheißungen sich erfüllen. Deshalb ist es bedauerlich, dass es keinen Beitrag zu Qumran gibt und das Alte Testament und das frühe Judentum mit seiner eschatologisch-messianischen Erwartung zu kurz kommen. Die »Klagen, dass es keine Propheten mehr gebe« (100, Anm. 86), beschäftigten Juden und Christen nicht im 1. Jh. n. Chr., im Gegenteil. – Leider sind die Register nicht so umfangreich, wie man es von dieser Reihe gewohnt ist.