Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

739-741

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brink, Laurie, and Deborah Green [Eds.]

Titel/Untertitel:

Commemorating the Dead. Texts and Artifacts in Context. Studies of Roman, Jewish, and Christian Burials. With an Introduction by R. Saller.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. XIV, 386 S. m. zahlr. Abb. gr.8°. Geb. EUR 104,95. ISBN 978-3-11-020054-6.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Dass, wo vorhanden, Texte und materielle Kultur als gleichwertige Partner bei der Rekonstruktion vergangener Gesellschaften in ein methodisch kontrolliertes Gespräch gebracht werden müssen, ist in der biblischen Exegese mittlerweile zu Recht fast schon zum Allgemeingut geworden. Die Konsequenzen eines solchen Zugangs sind aber nicht zu unterschätzen. Während in früheren Perioden der Forschungsgeschichte oft theologische (Selbst-)Aussagen als Referenzrahmen dessen angeführt worden sind, was frühes Chris­tentum ausmacht, und daher eher dessen »Eigenständigkeit« und grundsätzliches »Anderssein« im Vergleich zur »Umwelt« betont wurde, stellen neuere integrative Ansätze Praktiken und die damit verbundenen materiellen Kontexte in den Mittelpunkt und gehen methodisch von der grundsätzlichen Zugehörigkeit des frühen Christentums zur antiken Religionsgeschichte aus. Diesem m. E. auch sachlich gebotenen Ansatz folgt das vorliegende, aus der Zusammenarbeit zweier Textwissenschaftlerinnen mit archäologischer Felderfahrung erwachsene Buch, dessen Beiträge im Zuge des interdisziplinären »The Greatful Dead«-Projektes der Divinity School der Universität Chicago entstanden sind.
Gegenstand der Untersuchungen sind römerzeitliche Bestattungen – ein Thema, das sich in letzter Zeit bereits großer akademischer Aufmerksamkeit erfreut hatte – und die daraus rekonstruierbaren, sich entwickelnden religiösen Identitäten von Heiden, Juden und frühen Christen während der römischen Kaiserzeit. Sind Veränderungen von Bestattungspraktiken nur Reflex sich wandelnder »Moden«? Wurden jüdische und heidnische Kunstelemente nur zu christlichen »umgetauft«? Was steckt hinter diesen Prozessen? Treu dem zu Beginn des Buches angeführten program­matischen Zitat von Robert M. Grant: »The early history of Christianity is Roman history« (VII), werden sinnvolle Vergleiche zwischen paganer, jüdischer und frühchristlicher Totenpflege so erst möglich und fruchtbar und es entsteht ein Bild des frühen Christentums, das sowohl die Eigenständigkeiten als auch die Zugehö­rigkeit zur breiteren kulturellen Matrix im Hinblick auf »social networks, family life, and, perhaps, religious sensibilities« ernst nimmt (VIII).
Die »Introduction« von Richard Saller (1–7) unterstreicht die Fruchtbarkeit des im Buch verfolgten integrativen Ansatzes und umreißt den methodischen (»avoid naive inferences« und »the importance of context«, 5), typologischen (unterschiedliche Grab- und Bestattungsformen) und chronologischen Rahmen (von der mittleren Republik bis zur Spätantike) der folgenden Sachbeiträge.
Der erste Hauptteil »Archaeology and Artifacts« vereinigt drei Beiträge. Amy K. Hirschfeld, »An Overview of the Intellectual History of Catacomb Archaeology« (11–38), untersucht die intellektuellen Beschränkungen und Herausforderungen einer bisher überwiegend textbasierten und kontroverstheologisch motivierten Erforschung christlicher und, davon oft genug abhängig gemachter, jüdischer Katakomben. Andrew Wallace-Hadrill, »Housing the Dead. The Tomb as House in Roman Italy« (39–77), widmet sich der typologischen und ideologischen Analogie zwischen Haus als Wohnung der Lebenden und Grab als Wohnung der Toten im Sinne zweier »worlds intersect«: »In providing a home in which the dead are reassembled with the family of the living, the tomb also invites the world beyond«. Das Grab ermöglicht einen »constant dialogue« zwischen interner, auf die Familie bezogener und externer, auf die »Welt da draußen« gerichteter Funktion (77). Susan T. Stevens, »Commemorating the Dead in the Communal Cemeteries of Carthage« (79–103), schließlich präsentiert die stark von römischen und einheimisch-afrikanischen Traditionen beeinflussten Friedhöfe von Karthago und lenkt den Blick dadurch über die oft für die Diskussion so bestimmenden Verhältnisse in Rom hinaus.
Der zweite Hauptteil »Ritual and Religious Rites« wendet sich zwei für antike Begräbnisse allgemein bedeutsamen Praktiken zu: dem Mahl mit den Toten und dem Gebrauch von Duftstoffen im Umfeld des Grabes. Robin M. Jensen, »Dining with the Dead. From the Mensa to the Altar in Christian Late Antiquity« (107–143), kann zeigen, wie hartnäckig sich lang vertraute pagane Handlungen selbst gegen den Widerstand des Klerus in christlichen Gemeinden halten konnten (z. B. die »Wegzehrung« für den Toten, das viaticum). Ausgangspunkt der Studie von Deborah Green, »Sweet Spices in the Tomb. An Initial Study on the Use of Perfume in Jewish Burials« (145–173), ist die Tatsache, dass nahezu in allen jüdischen Gräbern Fragmente von Parfümbehältern vorkommen. Diese seien Zeugnis komplexer Handlungen, Duftstoffe waren an verschiedenen Stufen des Begräbnisrituals in Gebrauch und »at each stage are a symbol in some manner of the esteem felt for the dead by those who grieved for them« (173).
Der dritte Hauptteil »Patronal Relations and Changes in Burial Practices« fragt nach den Trägern von Bestattungen und ihren Ritualen. John Bodel, »From Columbaria to Catacombs. Collective Burial in Pagan and Christian Rome« (177–242), untersucht die sozialen Implikationen der wechselnden Bestattungsformen im kaiserzeitlichen Rom, das von Bevölkerungswachstum und Raumknappheit gekennzeichnet war. Die Rolle von collegia als Hilfestellung für Familien und Individuen und Träger zunächst der Nutzung von columbaria (»a closed, isolating system of commemorative expression«), dann der Katakomben (»an open, inclusive form suggesting commonality and community«) wie auch der Übergang von Kremation zu Inhumation während des späten 1. bis zum späten 2. Jh. n. Chr. (235) stecken den Rahmen dieses wichtigen Beitrags ab. Frühe Christen waren kaum die treibende Kraft oder gar »Erfinder« dieser Entwicklungen, griffen diese aber »during the century and a half after Constantine« konsequent auf, weil sie ihren eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen besonders gut entgegenkamen (ibid.). Carolyn Osiek, »Roman and Christian Burial Practices and the Patronage of Women« (243–270), sieht die prominente Rolle von Frauen im Kontext frühchristlicher Bestattungen als Zeugnis für das sehr weitgehende Fortdauern des »Greco-Roman system of patronage and benefaction« (270). Nur langsam, vor allem nach der konstantinischen Wende, gelang es kirchlichen Würdenträgern, diese Strukturen zu verdrängen: »the honor due to the patron goes to the bishop, and for all others, should be reserved for the life to come« (ibid.).
Der letzte, vierte Hauptteil »Envisioning Context and Meaning« bietet eine ikonographische und eine epigraphische Studie. David L. Balch, »From Endymion in Roman Domus to Jonah in Christian Catacombs: From Houses of the Living to Houses for the Dead. Iconography and Religion in Transition« (273–301), untersucht einen besonders aufschlussreichen Aspekt des Fortlebens antik-mythologischer Ikonographie in christlichem Gewand und demonstriert so die extreme Anpassungsfähigkeit und Flexibilität antiker Kunstelemente, während Margaret M. Mitchell, »Looking for Abercius. Reimagining Contexts of Interpretation of the ›Earliest Christian Inscription‹« (303–335), sich in einer detaillierten Studie der »frühesten christlichen Inschrift« (um 200) zuwendet. Mitchell weist darin zu Recht darauf hin, dass die Inschrift sich allzu forschen Definitionsversuchen entzieht, ob sie denn nun »christlich« oder »pagan« sei; gerade darin sei sie ein wichtiges Zeugnis ihrer Zeit. Zudem unterstreicht Mitchell ebenso zu Recht, dass die Exegese der Inschrift selbst nicht ausreicht, um das Aberkius-Monument zu verstehen, sondern allein die »verbal and visual exegesis of this remarkable talking artifact« (335).
Ein Abkürzungsverzeichnis, eine ausführliche Bibliographie und ein Register machen diesen höchst verdienstvollen Band zu einer inspirierenden Grundlage für weitere Forschungen zur antiken Bestattungskultur und zum Platz des frühen Christentums in seiner römischen Mitwelt.