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Ausgabe:

Juli/August/2011

Spalte:

723-738

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Manuel Vogel

Titel/Untertitel:

Theologien des Kreuzes*

Der Plural im Titel kann als Problemanzeige gelesen werden, denn man kann ja fragen, ob über das zentrale Symbol des Christentums nicht Einigkeit bestehen sollte, ob hier nicht eine Eindeutigkeit zu erzielen sein sollte, die eine klare und einfache Antwort auf die Frage ermöglicht, wofür dieses Symbol eigentlich und ursprünglich steht. Oder sollte, die notorische Mehrdeutigkeit von Symbolen eingerechnet, nicht wenigstens ein Rahmen bestimmbar sein, in welchem sich christliche Deutungen des Kreuzessymbols tatsächlich bewegen, zumal diese sich ja immer zum Faktum und zur Art des Todes Jesu von Nazareth irgendwie verhalten und schon von daher über einen kleinsten gemeinsamen Nenner verfügen müss­ten? Zumal in Zeiten, da um das Kreuz in den Kontexten von Religion und Kultur, von Staat und Kirche, von positiver und negativer Religionsfreiheit, aber auch von Christentum und Islam 1 gestritten wird, wären solche Klarstellungen anzustreben. Zu erreichen sind sie freilich, wenn überhaupt, nur auf dem Umweg einer historischen Bestandsaufnahme.

Bereits der Blick in die Antike lehrt nämlich, wie widersprüchlich christliche Deutungen des Kreuzes von Anbeginn an waren. Mit dem Kreuz konnte Herrschaft ebenso gut kritisiert wie legitimiert werden – je nachdem, ob es den Erlöser als Opfer eines Justizmordes oder aber den Pantokrator auf dem Weg zu seiner himmlischen Machtstellung zeigte. Das Kreuz konnte die Einheit und Stabilität des geschaffenen Kosmos symbolisieren oder aber sie gnos­tisch bestreiten und die Horizontale und Vertikale des Kreuzes als Trennungslinien zwischen Geist und Materie, zwischen pneumatischen und sarkischen Menschen auffassen. Deutungen des Kreuzes reichen vom Insistieren auf einem konflikthaften Nichtverstehen bei Paulus und Johannes zu den typologischen Plausibilisierungsbemühungen patristischer Kreuzesapologetik, die das Kreuz in einen eingängigen biblisch-heilsökonomischen Rahmen stellt.

Schon im Neuen Testament, der Urkunde des Anfangs, an der christliche Theologie bis heute Maß nimmt, bietet sich kein einheitliches Bild.2 Die Evangelien schildern drastisch das entwürdigende Schauspiel der Hinrichtung am Kreuz, tragen aber auch ho­heitliche Züge in das Bild des Gekreuzigten ein, etwa wenn Jesus seinen Peinigern, schon am Kreuz hängend, vergibt (Lk 23,34), oder wenn er gar seinen Verzicht auf die Intervention von Engeln er­klärt, die er sehr wohl hätte in Anspruch nehmen können (Mt 26,53). Schon im Neuen Testament ist das Kreuz einerseits das Ende einer Abwärtsbewegung in die Niedrigkeit und andererseits der Beginn einer Aufwärtsbewegung zu himmlischer Hoheit. Beides lässt sich unschwer dialektisch zueinander in Beziehung setzen, doch empfiehlt es sich, hier zunächst so genau wie möglich zu unterschei den. Dies gilt zumal für Paulus, der als Erster eine christliche Theo­logie des Kreuzes formuliert hat.

1. Paulus


Anzusetzen ist, so der Konsens, im ersten Kapitel des 1. Korintherbriefes. Paulus holt in diesem Kapitel weit aus, spricht von »der Welt«, »den Menschen«, »allem Fleisch«, von »den Juden« und »den Griechen«, was in der Summe wiederum die ganze Menschheit meint. Aber worum geht es konkret, welche Situation hat Paulus vor Augen, wofür und wogegen argumentiert er und was soll bei all dem das Kreuz? Auf Präskript und Proömium folgt in 1,10 sogleich die dringende Ermahnung, es in der Gemeinde nicht zu »Spaltungen« kommen zu lassen, σχίσματα, sagt Paulus, was man auch mit »Risse« wiedergeben könnte, Risse im Mauerwerk eines Gebäudes oder aber, treffender, in der Haut eines lebendigen Organismus. Es wäre ein eigenes Thema, zu zeigen, dass Paulus sich die Gemeinde tatsächlich wie einen Organismus vorgestellt hat, der innerlich erkranken, aber auch durch äußere Einwirkungen geschädigt werden kann. Wird die Haut dieses Organismus rissig, besteht eine erhöhte Gefahr schädlicher Einwirkungen von außen. 3 Deshalb sind σχίσματα zu vermeiden. In Korinth wurden σχίσματα durch Gruppenbildungen um einzelne Schulhäupter hervorgerufen, die miteinander um Lehrautorität konkurrierten und diejenigen als ihre Schüler um sich scharten, die sie getauft hatten. Wir stoßen hier auf einen frühchristlichen Zusammenhang von Taufvollmacht und Lehrerrolle. Wenn Paulus in 1,15–17 betont, er selbst habe in Korinth nur vereinzelt Neubekehrte getauft und überhaupt sei das Taufen gar nicht seine Aufgabe, will er, der in Korinth wider Willen selbst als Schulhaupt gehandelt wird, diesen Automatismus von Taufpraxis und Schulbildung 4 unterlaufen. Dass Paulus diese Risse in der Haut des sozialen Organismus der Ge­meinde für höchst gefährlich gehalten hat, können wir daran er­messen, dass er seinen Widerspruch dagegen mit größtmöglicher Wucht und in nicht zu überbietender Grundsätzlichkeit formuliert hat.

In 1Kor 1,18 ff. liegt der Gedanke zugrunde, dass die in Korinth als soziales Distinktionsmerkmal5 so hoch gehandelte »Weisheit« (σοφία) – wir würden heute von religiösem Wissen sprechen – und mit ihr der ganze Gelehrtenstand in einem einzigen, jedoch weltgeschichtlich bedeutsamen Fall in nicht wieder gut zu machender Weise und ein für alle Mal sich blamiert hat. Er hat sich diese Blamage zugezogen, als er – repräsentiert durch die jüdischen Rechtsgelehrten – unter Aufbietung seiner ganzen Gelehrsamkeit den Sohn Gottes des Todes für schuldig befunden und ihn den römischen Organen zur Hinrichtung ausgeliefert hat.

Die Trias σοφός – γραμματεύς – συζητητής in 1,20 meint zunächst die jüdische Theologie und deren schulische Repräsentanz.6 Der Zusatz τοῦ αἰῶνος τούτου entschränkt diesen Fokus im Blick auf die σοφία τοῦ κόσμου. Wichtig ist aber, dass der Rekurs auf die »Weisheit der Welt« im Fehlurteil gegen Jesus seine historische Referenz hat. Um die ganze Welt geht es erst in einem zweiten Schritt. Übergeht man den ersten, wird das »Wort vom Kreuz« zu einem abstrakten Begriff, den man nach Belieben füllen kann.

Hätte, so die paulinische Logik, die Weisheit der Menschen ihren Namen wirklich verdient, hätte sie in diesem einen weltgeschichtlichen Testfall nicht versagen und, mit einer Formulierung aus Kapitel 2,8 gesprochen, den Herrn der Herrlichkeit nicht kreuzigen dürfen. Sie hat aber versagt und damit das ganze System »Weisheit« diskreditiert und ihr Ansehen unwiderruflich verspielt, wohl ge­merkt: ihr Ansehen bei Gott selbst, dem die Weisen nun nichts mehr gelten, weil sie es waren, die seinen Sohn, seinen eschatologischen Gesandten, an den Galgen gebracht haben. Was wäre wohl geworden, wenn diese Kollektivschuldthese Geschichte ge­macht hätte und nicht jene andere, die sich leider ebenfalls bei Paulus findet (1Thess 2,15), nämlich der Christusmordvorwurf an die Juden!

Der Paraphrase liegt eine Lektüre von 1,21a zugrunde, die die Aoriste [οὐκ] ἔγνω und ἐυδόκησεν punktuell vom Ereignis der Verurteilung und Hinrichtung Jesu her versteht. Das mit einigen exegetischen Problemen behaftete Wort- und Gedankenspiel mit dem Terminus σοφία nimmt pointiert das korinthische Schlagwort auf. Denkbar ist ein Rückschluss: An der Verurteilung des Gottessohnes durch die Weisen wurde deutlich, was es mit menschlicher Weisheit »immer schon« auf sich hatte. Primärer Geschehenszusammenhang ist aber die Kreuzigung Jesu, auf die die Predigt durch Gottes »Beschluss« unhintergehbar verwiesen bleibt. In Anbetracht dessen und als »Quittung« dafür, dass die Weisen den Gottessohn hingerichtet haben, ist Heilserfahrung nur noch in der direkten Konfrontation mit diesem Hingerichteten möglich.7

Die Antwort Gottes auf das Versagen der Weisen ist eine doppelte: die Übergehung derer, die über Weisheit, Macht und soziale Geltung verfügen, und die Erwählung derer, die über all dies nicht verfügen. Diesen Tatbestand und die doppelte göttliche Antwort darauf nennt Paulus formelhaft »das Wort vom Kreuz«,8 den λόγος τοῦ σταυροῦ. Mögen die Außenstehenden darüber denken, wie sie wollen, so darf doch im Binnenraum der Gemeinde über die Er­wählung der Ungebildeten kein Zweifel bestehen, weil nur so ge­währleistet ist, dass Bildung nicht in einer den sozialen Organismus »Gemeinde« destabilisierenden Weise als soziales Distinktionsmerkmal im Konkurrenzkampf um die höchste Lehrautorität aufgefasst wird. Aus diesem Grund sei auch er selbst, Paulus, nicht »in beredter Weisheit« (ἐν σοφίᾳ λόγου) in Korinth aufgetreten, »damit nicht das Kreuz des Christus seines Sinnes beraubt wird«, ἵνα μὴ κενωθῇ ὁ σταυρὸς τοῦ Χριστοῦ (1,17). Im Binnenraum der Gemeinde muss klar sein, dass »das Wort vom Kreuz« als eine »Kraft Gottes«, δύναμις θεοῦ, seine Wirkung entfaltet in der De­struktion jedweder Weisheit, die ihren Namen nicht verdient hat (1,18–20): »Das Wort vom Kreuz ist zwar für die, die verloren gehen, Torheit, für uns aber, die gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes, denn es steht geschrieben:« – und nun folgt ein Zitat aus Jesaja 29,14– »›Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen‹.«9 Paulus kommentiert dieses Schriftzitat anschließend mit einer Reihe rhetorischer Fragen: »Wo ist ein Weiser? Wo ist ein Schriftgelehrter? Wo ist ein Disputierer dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?«

Entscheidend ist, dass Paulus in diesen Versen aus Anlass eines ›soziologisch‹ beschreibbaren Problems in seiner Gemeinde personalisiert und sozial differenziert und nur insofern auch im Blick auf die Welt als Ganze oder den Menschen als solchen generalisiert. Was in 1,26–28 über die Sozialstruktur der Gemeinde und das daran ausgerichtete Erwählen Gottes verlautet, hat deshalb keineswegs bloßen Beispielcharakter. Vielmehr sind dies die Spitzenaussagen des ganzen Abschnitts 1,18–31:

»Schaut euch doch eure Berufung an …: Nicht viele Weise dem Fleische nach, nicht viele Mächtige, nicht viele von vornehmer Geburt (sind berufen), sondern was vor der Welt töricht ist, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen beschäme, und was vor der Welt schwach ist, hat Gott erwählt, damit er be­schäme, was stark ist, und was vor der Welt niedrig geboren und was verachtet ist, hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um das, was etwas gilt, zunichte zu machen.«

Zumal für 1Kor 1, aber auch im Blick auf Paulus insgesamt ist ge­genüber dem gängigen Fokus auf dem glaubenden Sich-Verstehen des Einzelnen vor Gott auf eine durchgängige soziale Dimension der paulinischen Theologie zu verweisen:

»Wie kein anderer frühchristlicher Denker ist Paulus sensibel für die Dimension so­zialer Geltung, für den Wert, den man sich selbst und anderen, sich selbst vor anderen und vor Gott einräumt und den man eingeräumt be­kommt. Seine Erfahrungen als Jude im Rahmen des antiken Antijudaismus und als nicht oder nicht ganz akzeptierter Apostel im Kreis der Apostelkollegen haben seine Wahrnehmung für zwischenmenschliche Rangstufen und Einstufungen in ungewöhnlicher Weise geschärft.« 10

Dies gilt unbeschadet der generalisierenden Aussage in 1,29. Im Ergebnis ist es zwar tatsächlich so, dass sich vor Gott niemand rühmen kann, weder die sozial Angesehenen noch die Unbedeutenden, aber diese Gleichheit kommt in sozialer Differenzierung auf höchst unterschiedliche Weise zustande: Diejenigen ohne Sozialprestige wissen, dass sie gerade als solche erwählt sind, die auf nichts Eigenes verweisen können, und diejenigen, die über soziales Ansehen verfügen, müssen sich sagen lassen, dass dieses vor Gott keinen Wert hat.

Paulus skizziert hier eine an der Sozialstruktur der korinthischen Gemeinde orientierte Erwählungstheologie, um eine gebildete, vermögende und gesellschaftlich einflussreiche Minderheit, die in der Gemeinde auf ungute Weise das Wort führt, in aller Deutlichkeit auf die Plätze zu verweisen. Nicht auf ihnen ruht das Auge des göttlichen Wohlgefallens, sondern auf den Christen aus der Unterschicht, die in der Gemeinde die Mehrheit bilden. Wenn sich die Oberschichtchristen in der Gemeinde irgendwie nützlich ma­chen wollen, dann jedenfalls nicht so, dass sie dem verletzlichen ekklesialen Organismus durch ihre intellektuellen Schaukämpfe eine Ruptur nach der anderen zufügen. Paulus kritisiert die korinthische Weisheit also nicht wegen ihrer Inhalte, so wenig er etwas gegen die »guten Philologen und Ärzte alexandrinischer Schulung« hatte, wie Nietzsche sich empörte, 11 sondern wegen der sozialen Spielregeln, nach denen Weisheit in der Gemeinde kommuniziert wird.12

Diese Erwählungstheologie ist mit klaren Worten beschreibbar und steht keineswegs im Widerspruch zu »aller menschlichen Logik«.13 Erst recht für die Glaubenden indiziert die »Torheit« der Predigt nicht ihre Undurchschaubarkeit, wie Schrage zu V. 21 meint: »Für das εὐδοκεῖν Gottes haben auch sie [d. h. die Glaubenden, M. V.] keine rational plausiblen und nachrechenbaren Gründe parat« (loc. cit.). Das wird hier mit Nachdruck bestritten. Die Reaktion Gottes auf die Hinrichtung des Gottessohnes durch die Weisen, nämlich seine Parteinahme für die Ungebildeten, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Insofern ist m. E. auch die verbreitete Rede vom kreuzestheologischen »Paradox«14 zu überdenken.

Befolgt werden diese Spielregeln freilich von der Gemeinde als Ganzer. Dass sich die korinthischen Christen den Führungsansprüchen konkurrierender Lehrer unterwerfen, ist genauso fatal wie diese Ansprüche selbst. Deshalb fügt Paulus am Ende des dritten Kapitels noch einmal eine kurze Explikation des Kreuzeslogos an, nun aber nicht so, dass er das Spiel um Ehre und Ansehen von oben her kritisiert, sondern indem er es von unten her aufbricht und das­-jenige, womit eine Minderheit ihren sozialen Status definiert, zum Besitz aller erklärt (3,21–23): »Darum gründe niemand seinen Ruhm auf Menschen! Denn alles gehört euch, sei es Paulus, Apollos oder Kefas, sei es Welt, Leben oder Tod, sei es Gegenwärtiges oder Zukünftiges: Alles gehört euch, ihr aber gehört zu Christus, Chris­tus aber gehört zu Gott.« Das heißt: Die Hierarchie Gott – Christus– Ge­meinde ist an ihrer Basis egalitär strukturiert. Die Lehrer der Gemeinde sind durch ihren Zugang zur Weisheit nicht sozial einer Mehrheit enthoben, weshalb es auch keinen Sinn macht, sich dieser Leute zu rühmen, sondern sie stehen in der Pflicht eben dieser Mehrheit, ihre Weisheit so zu kommunizieren, dass der soziale Organismus gestärkt und nicht etwa geschwächt wird.15

In der Literatur wird die Kreuzestheologie des 1. Korintherbriefes freilich zumeist so stark rechtfertigungstheologisch und soteriologisch akzentuiert, dass dieses auch innerhalb der Paulusbriefe originelle Konzept in seinem Eigengewicht gar nicht mehr zur Geltung kommt.16 Dies ist auch dann der Fall, wenn man Kreuz und Auferweckung in der Rede vom »auferweckten Gekreuzigten« dia­lektisch zusammenschließt.17 Sobald Kreuzestheologie mit der Rechtfertigungslehre vermengt, das »Wort vom Kreuz« mit dem Begriff des »Evangeliums« identifiziert und stereotyp von der »Heilsbedeutung des Kreuzes Jesu« geredet wird, büßt der paulinische Gedanke seinen kritischen Impetus weitgehend ein. Zweifellos gibt es bei Paulus eine Heilsbedeutung des Todes Jesu; wo Paulus aber explizit vom Kreuz spricht,18 geht es nicht um die Zueignung von Heil, sondern um die Umkehrung geltender Maßstäbe, in 1Kor 1 namentlich um die Kritik sozialen und religiösen Statusdenkens.19

Die behauptete sozial-kritische Stoßrichtung kommt auch in der Formulierung von S. Vollenweider, das Kreuz sei »Realsymbol von Tod und Leiden«,20 nicht angemessen zum Tragen. Es geht nicht um das Faktum des Todes Jesu, auch nicht unspezifisch um die Leidensgestalt christlicher Existenz, sondern darum, dass die Hinrichtung des Gottessohnes das System Weisheit samt seinen Akteuren fundamental ins Unrecht setzt. Das Kreuz ist mithin kein Appell zu christlicher Leidensbereitschaft, sondern dient dazu, sich die Option Gottes für die Nichtswürdigen zu eigen zu machen. N. Elliott, der für eine politische Lektüre der paulinischen Kreuzestheologie plädiert, formuliert bündig: »Paul’s doctrine of the cross is … a doctrine of … God’s partiality towards the oppressed«. 21

Zu welchen Frontstellungen der hier angedeutete Dissens in der Systematischen Theologie führen kann, zeigt die Kritik der Kreuzestheologie Moltmanns als »Verwandlung der Kreuzesbotschaft in politische Weltweisheit«, ja als »Antikreuzestheologie« bei M. Korthaus.22 Ausgewogen formuliert M. Konradt:

»Dass Paulus nicht allgemein vom Tod Jesu redet, sondern speziell vom Kreuz, stellt das – im Urteil der ›Welt‹ – Schändliche des Todes Jesu in den Vordergrund. Die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu ist damit nicht abgeblendet (s. 1,18.21). Der Akzent liegt aber darauf, dass das Kreuz etwas Skandalöses und Törichtes ist (1,18.23), zu ›weltlicher‹ Kriteriologie und menschlichen Bewertungsparametern quersteht, d. h. es tritt der – im Kontext römischer Kreuzigungspraxis zu verstehende – Aspekt hervor, dass Gott an dem mit Schande besetzten Ort des Kreuzes Heil gewirkt hat.« 23

Die dem sonstigen paulinischen Sprachgebrauch zuwiderlaufende rhetorische Frage in 1,13 »Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden?« (μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν;) ist die be­rühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt, denn mit der suggerierten Antwort (»natürlich nicht, sondern Christus wurde für uns gekreuzigt«) rekurriert Paulus auf eine Anschauung, von der die Adressaten nicht erst überzeugt werden mussten. Das aber heißt: Die in Ko­rinth geläufige Deutung des Kreuzestodes Jesu als stellvertretendes »Sterben für« ist konzeptionell etwas völlig anderes als das, was Paulus im Anschluss als seine Kreuzestheologie vorträgt. Das so­-zialkritische Potential des Todes Jesu am Kreuz ist das Neue, das es gegenüber einer soteriologischen Deutung zu profilieren gilt.

Die geläufige Gleichsetzung der Konzepte »Kreuz« und »Evangelium« beruft sich regelmäßig auf Röm 1,16 als vermeintliche Sach­-parallele zu 1Kor 1,18. Da es im Römerbrief vom Evangelium heißt, es sei eine »Kraft Gottes zur Rettung« (δύναμις θεοῦ … εἰς σωτηρίαν), und in 1Kor 1 vom Kreuzeslogos ebenfalls, er sei, »für uns, die Geretteten« (τοῖς σῳζομέμοις ἡμῖν), eine »Kraft Gottes« (δύναμις θεοῦ), muss doch, so die gängige Meinung, mit »Wort vom Kreuz« in etwa dasselbe gemeint sein wie mit »Evangelium«.24 Die Dynamis des Kreuzeslogos ist aber anders als die des Evangeliums nicht in erster Linie Heil stiftend, sondern kritisch, ja destruktiv,25 wie das unmittelbar anschließende Jesajazitat von der Vernichtung der Weisheit der Weisen (1,19) hinreichend deutlich formuliert.

Hier wie auch in 1,21b (ἐυδόκησεν ὁ θεὸς … σῶσαι τοὺς πιστεύοντας) und 1,30 (Jesus Christus wurde σοφία ἡμῖν ἀπὸ θεοῦ, δικαιοσύνη τε καὶ ἁγιασμὸς καὶ ἀπολύτρωσις) wird nicht der Kreuzeslogos soteriologisch qualifiziert, sondern umgekehrt Soteriologie (Thema) kreuzestheologisch konditioniert (Rhema). Für 1,18 kann man geltend machen, dass in den Dativen τοῖς ἀπολλυμένοις und τοῖς σῳζομένοις ἡμῖν Urteil und Wirkung miteinander verschmolzen werden.26 Zu beanstanden ist aber die Privilegierung des soteriologischen bzw. die Relativierung des kritischen Aspekts gegen den kritischen Duktus von 1,19 f. Für die verbreitete Interpretation von 1,19 sei auf R. Hoppe verwiesen: »Die ›Grundmauern‹, auf denen Mensch und Welt in ihrem Selbstverständnis stehen, bieten keinen Halt, sondern sind dem Zusammenbruch preisgegeben«. Die Kreuzesbotschaft ziele »auf die Preisgabe aller menschlichen Verfügung über seine Welt und sich selbst«. 27 Aber es geht Paulus nicht generell um Mensch und Welt, sondern um die Kritik eines in Korinth virulenten Statusdenkens, die gegen konkrete Gruppeninteressen gerichtet ist.28

Ebenso wird immer wieder auch die Aussage in 1Kor 1,28, Gott habe das, was nichts gilt (τὰ μὴ ὄντα), erwählt, um das, was etwas gilt (τὰ ὄντα), zunichte zu machen, mit Röm 4,17 kurzgeschlossen, wo Paulus sagt, Gott rufe das nicht Seiende (τὰ μὴ ὄντα) als Seiendes (ὡς ὄντα). Trotz der sehr ähnlichen Formulierungen geht es nicht an, die Schöpfungsaussage aus Röm 4 in die Erwählungsaussage in 1Kor 1 einzutragen. In 1Kor 1,28 bildet τὰ μὴ ὄντα die Klimax einer Reihe von sozial denotierten Begriffen und meint die völlige soziale Bedeutungslosigkeit. Zu τὰ μὴ ὄντα zählt, wer gesellschaftlich »ein Nichts und ein Niemand« ist. Wird diese Aussage unter Zuhilfenahme von Röm 4,17 schöpfungstheologisch überhöht29 und außerdem in existenzialer Introversion auf die Ebene des Selbstverständnisses verlagert, wird ihr die kritische Spitze gebrochen. Der Finalsatz ἵνα τὰ ὄντα καταργήσῃ am Ende von V. 28 zielt wie die vorangehenden Finalsätze auf die sozial-kritische Destruktion von Geltungsansprüchen, die den sozialen Organis­mus der Gemeinde schädigen, nicht auf das falsche Selbstverständnis eines Vertrauens auf die σάρξ.

In aller Deutlichkeit ist diese Gedankenbewegung bei Vollenweider vollzogen.30 Die soziale Ebene ist nur der Ausgangspunkt, von dem aus Paulus zu einer tieferen Sinnebene vordringt:

»Mit der Bevorzugung des ›Unteren‹ und Verachteten nimmt Paulus die alttes­tamentlich-jüdische, aber auch im paganen Raum bekannte Tradition der Umkehrung der Verhältnisse am Zeitenende auf (vgl. z. B. Lk 1,52 f.). Das Mus­ter der Umkehrung wird allerdings überschritten, geht es doch um den göttlich gewirkten Durchbruch auf ein fundamental neues Niveau.«

Sichtlich wird die »Bevorzugung des ›Unteren‹ und Verachteten« (hier schon in neu­tral[isiert]er Formulierung) traditions- und religionsgeschichtlich relativiert und damit in der Konsequenz als das Zeitgebundene des paulinischen Gedankens erledigt. Gültig ist die Ebene des individuellen Selbstverständnisses, auf der der in 1,26–28 dominierende destruktive As­pekt in der »Zumutung« wiederkehrt, »sich dem Nichts auszusetzen, um daraus neues Sein und neues Leben zu erfahren«. Immerhin fährt Vollenweider unter Hinweis auf 1Kor 3,7 fort: »Dies zielt auch gegen die Überschätzung der Lehrer, sind doch auch sie vor Gott nichts.« Doch wird damit der Paradigmenwechsel, der den Gedankengang in 1,26–28 m. E. erheblich verzeichnet, nicht ungeschehen gemacht. 31

Für das skizzierte alternative Verständnis paulinischer Kreuzestheologie wäre nun der Nachweis zu führen, dass es für Ethik und Ekklesiologie des 1. Korintherbriefes insgesamt prägend ist32 und sich auch an den übrigen Stellen des Corpus Paulinum, an denen von »Kreuz«, »kreuzigen« die Rede ist, durchführen lässt.

Dies wäre vor allem für den Galaterbrief zu zeigen, weil hier Rechtfertigungslehre und Kreuzestheologie ineinander verwoben, keinesfalls jedoch ununterscheidbar sind.33 Auch für Gal ist paulinische Kreuzestheologie anhand der Wortgruppe σταυρ- zu erheben. Gal 3,1 (Paulus hat den Galatern Jesus Christus »als Gekreuzigten vor Augen gemalt«) ist dann nächstliegend von Gal 2,19 her (»Ich bin mit Christus mitgekreuzigt«), jedenfalls nicht soteriologisch im Sinne der »für«-Aussagen in Gal 2,20; 3,13 zu verstehen. Der Tod Jesu als Kreuzestod ist nicht stellvertretend, sondern etwas, das von den Glaubenden gerade mitvollzogen werden muss.34 Darin will Paulus den Galatern ein Vorbild sein: Man soll es auf sich nehmen, wie Christus verachtet dazustehen, weil man dem, was bei den Menschen etwas gilt (jüdisch gedacht: dem Gesetz) nicht entspricht.

2. Markus


Stattdessen sei nun ein kurzer Blick auf das Markusevangelium geworfen, weil hier narrativ eine Kreuzestheologie entfaltet wird, die der paulinischen nahesteht.35 Die Bemerkungen hierzu können kürzer ausfallen als die zu Paulus, weil Martin Ebner in aller Klarheit das Nötige gesagt hat.36

Anzusetzen ist in der Kreuzigungsszene in Kapitel 15 bei den Worten des Centurio, der im Anblick des gekreuzigten Jesus sagt: »In Wahrheit war dieser Mensch ein Sohn Gottes« (15,39). Damit, dass der Evangelist dieses Bekenntnis einem Römer in den Mund legt, wird das schon in der Taufszene in Kapitel 1 intonierte Paradox, der Sohn Gottes sei ein Gehenkter, »in die Realität des Impe-rium Romanum hereingeholt und im Zusammenhang politischer und religiöser Bewertungsmaßstäbe ausbuchstabiert«. 37 Die Rollenbesetzung des Passionszeugen mit einem Repräsentanten der römischen Besatzungsmacht legt eine wichtige intratextuelle Spur zu den Jüngerbelehrungen im Mittelteil des Evangeliums, wo das Unverständnis der Jünger für den Weg ihres Meisters ans Kreuz wiederholt an politisch-gesellschaftlichen Formationen durchgespielt wird.

Wenn die Zebedäussöhne Johannes und Jakobus in Mk 10,37 für sich die ranghöchsten Plätze sichern wollen, die Jesus dereinst in seiner himmlischen Herrlichkeit zu vergeben haben wird, dann liest sich dies wie die Karikatur eines religiösen Statusdenkens, das die Wertmaßstäbe der stadtrömischen Aufsteigergesellschaft in den ersten Jahren der flavischen Dynastie – so der von Ebner skizzierte Entstehungshintergrund des Markusevangeliums – auf die Sozialstruktur der christlichen Gemeinde überträgt. Die Zebedaiden erwarten von Jesus, »dass er entsprechend dem Muster handelt, wie es für den kaiserlichen Machtapparat üblich ist: Plätze, Positionen, Macht an die untergeordneten Mandatsträger zu vergeben«. 38 Die anschließende Jüngerbelehrung skizziert dementsprechend die Sozialgestalt der Gemeinde in programmatischem Kontrast zu politisch-gesellschaftlichen Hierarchien (Mk 10,42–44). »Ihr wisst: Die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken sie, und ihre Großen setzen ihre Macht gegen sie ein. Unter euch aber ist es nicht so, sondern: Wer unter euch groß sein will, sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.« 39 Damit ist klargestellt, dass die imitatio Christi nicht im Martyrium besteht, von dem sich die Zebedaiden jene himmlische Ehrenstellung versprechen – das »Hingeben des Lebens als Lösegeld« ist allein Sache Jesu –, übrigens auch nicht in einer unspezifischen »Leidensnachfolge«,40 sondern im Praktizieren einer machtkritisch fundierten christlichen Binnenethik.

Wichtig ist, dass die wegen ihrer Dialektik nicht unproblematische Formel vom »Herrschen als Dienen« jedenfalls nicht auch in umgekehrter Form und dementsprechend der thronende Christus auch nur in den Wunschbildern der Zebedäussöhne vorkommt. Daher rührt vielleicht auch, dass das Markusevangelium in seiner mutmaßlich ursprünglichen Fassung sogar auf eine Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen verzichtet und stattdessen die Lesenden durch die im Erzählgang uneingelöste Ankündigung des Engels am leeren Grab, Jesus werde seinen Jüngern nach Galiläa vorangehen und dort würden sie ihn sehen, an den Anfang des Evangelientextes zurück verweist, wo es in 1,14 heißt: »Und Jesus kam nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes.« Das »Sehen« des Auferstandenen ereignet sich also dadurch, dass man Jesus neu, d. h. in immer neuen Lektüren des Markusevangeliums und in immer tieferem Verstehen auf seinem Weg hin zum Kreuz begleitet. 41

3. Paulusschule


Innerhalb des Neuen Testaments war es nun ausgerechnet ein Theologe der Paulusschule, der diese Bewegung umgekehrt und damit die Richtung für eine ganz andere Karriere des Kreuzessymbols vorgegeben hat. Das Christusenkomion des Kolosserbriefes (Kol 1,15–20)42 rühmt in seiner ersten Strophe Christus als Schöpfungsmittler, nennt ihn den »Erstgeborenen vor aller Schöpfung«, πρωτότοκος πάσης κτίσεως (1,15), und in der zweiten Strophe mit Bezug auf Tod und Auferstehung den »Erstgeborenen aus den Toten«, πρωτότοκος ἐκ τῶν νεκρῶν (1,18). Duktus des ganzen Enkomions ist die universale Herrschaft des Christus. Als Schöpfungsmittler steht er am Anfang und an der Spitze des Himmel und Erde umfassenden Kosmos. Christus ist, so die erste Strophe, »Thronen und Herrschaften, Mächten und Gewalten« in der himmlischen wie in der irdischen Sphäre vor- und übergeordnet; sie sind »auf ihn hin geschaffen«, εἰς αὐτὸν ἔκτισται (1,16). Dass es in diesem Machtbereich eine Irritation gegeben hat, vulgo: den Sündenfall, wird in der zweiten Strophe nur insoweit thematisiert, als bereits auf die Beseitigung dieser Irritation zurückgeblickt wird. Gott hat durch Christus im Machtbereich des Christus durch einen diplomatischen, mit Blut rituell besiegelten Friedensschluss43 die ur­sprüngliche Ordnung restituiert (1,19 f.): »Denn es gefiel Gott, seine ganze Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn das All zu versöhnen auf ihn hin, indem er Frieden schuf durch ihn, durch das Blut seines Kreuzes, für alle Wesen, ob auf Erden oder im Himmel.«44 Dem bereits gültigen universalen Friedensschluss entspricht eine nichtdestruktive Eschatologie, die einen alternativen Entwurf zu apokalyptischen Geschichtskonstruktionen darstellt, wie sie mehrfach im Neuen Testament und nicht zuletzt auch von Paulus vertreten werden.

A. Dettwiler45 sieht im Kolosserbrief eine »Dominanz der Herrlichkeitschristologie und der präsentisch-eschatologischen Perspektive«. Der Rekurs auf das Kreuz ist diesem Grundmotiv gänzlich untergeordnet. Insofern könne »Kol nicht als Vertreter einer Kreuzestheologie im pointierten Sinne verstanden werden«. Das Johannesevangelium steht einerseits dem Kolosserbrief nahe, so­fern die »Erhöhung« (Kreuzigung) Jesu seine »Verherrlichung« auf dem Weg hin zum Vater ist. Andererseits durchzieht das Missverstehen Jesu durch die Hörer seiner Rede und der Konflikt mit dem Kosmos das ganze Evangelium. Darin steht das JohEv der pauli­nischen Kreuzestheologie nahe.

Aber auch sonst ist hier vieles anders als bei Paulus: Die den Kosmos bestimmenden Mächte werden durch das Kreuz nicht kritisiert (so 1Kor 2,8), sondern integriert. Das Kreuz indiziert nicht einen Bruch, sondern die Heilung eines Bruchs, und es ist auch nicht Symbol äußerster Erniedrigung und Entehrung, sondern Ausdruck eines souveränen Herrscherhandelns, das auch noch das ihm Widerstrebende gewaltlos unterwirft. An die Stelle eines kritischen Dualismus ist ein optimistischer Monismus getreten, der auf die Selbstdurchsetzung der Herrschaft Christi über den Kosmos vertraut.

4. Justin, Irenäus, Pseudo-Hippolyt, Origenes


Es ist hauptsächlich diese Linie, der die frühchristlichen Apologeten gefolgt sind, etwa wenn Justin46 das Kreuz »das größte Symbol seiner Kraft und Macht«, τὸ μέγιστον σύμβολον τῆς ἰσχύος καὶ ἀρχῆς αὐτοῦ (Apol I 55,2), nennt und dafür den Schriftbeweis führt: So deutet er Jesaja 9,5 (LXX), wo es vom messianischen Kind heißt, dass »die Herrschaft auf seiner Schulter ruht«, auf den Kreuzesbalken, den Jesus zur Richtstätte getragen hat (Apol I 35,2). Damit wird der schmachvolle letzte Weg des Delinquenten zum Sinnbild für die Herrschaft Christi. Ebenso werden die erhobenen Hände des Mose in der Amalekiterschlacht Ex 17, die den Israeliten den Sieg bescherten, gedeutet auf die ausgestreckten Arme des Gekreuzigten (Dial 90,4 f.). Psalm 95,10: »der Herr ist König geworden«, ὁ κύριος ἐβασίλευσεν, kursierte in der Alten Kirche mit dem Zusatz »vom Holze her«, ἀπὸ τοῦ ξύλου, womit natürlich das Kreuz gemeint ist (Apol I 41,4).47 Im Dialog mit dem Juden Tryphon wirft Justin den Juden vor, sie hätten solche Stellen aus ihren Bibelhandschriften getilgt (Dial 71,4–73,2). Dass es sich um christliche Zusätze handelte, hat er offenbar nicht in Betracht gezogen, und er musste, da es die moderne Textkritik noch nicht gab, auch nicht den Beweis für seine eigene, gegenteilige Behauptung führen. Seine pagane Leserschaft verweist Justin auf die Allgegenwart der Kreuzform im täglichen Leben, wo immer Menschen etwas bewegen wollen, ja überhaupt, wo Leben ist, so in Apol I 55,2–4:

»Betrachtet alles, was in der Welt ist, ob es ohne diese Figur gehandhabt werden oder Zusammenhang haben kann. Das Meer kann nicht durchschnitten werden, wenn nicht dieses Siegeszeichen, das hier Segel heißt, auf dem Schiffe unversehrt bleibt. Die Erde wird nicht gepflügt ohne dasselbe; Grabende und Handwerker verrichten ihre Arbeit nicht ohne Werkzeuge, die diese Form haben; die menschliche Gestalt unterscheidet sich in nichts anderem von der der unvernünftigen Tiere als dadurch, dass sie aufrecht ist, die Hände ausspannen kann und im Gesichte von der Stirne an einen Vorsprung, die Nase, trägt, durch die beim Lebenden der Atem geht und die keine andere Form als die des Kreuzes hat.« 48

In Apol I 60,1–7 eröffnet Justin unter Hinweis auf die Kreuzform der platonischen Weltseele des Timaios49 einen weiten kosmologischen Deutungshorizont.50 Platon habe, sagt Justin, an den Sohn Gottes gedacht, als er ihn als Chi ins Universum prägte, also in der Form des kreuzförmigen drittletzten Buchstabens des griechischen Alphabets. Die Kreuzförmigkeit der Weltseele kommt nach Timaios 36b–c so zustande, dass der Demiurg sie ihren beiden Bestandteilen entsprechend in zwei Teile geteilt, diese in der Form eines Chi übereinander gelegt und zu Kreisen umgebogen hat, so dass die Weltseele den Kosmos in dieser Überkreuz-Lage (gemeint sind Äquator und Ekliptik, die sich an den Äquinoktialpunkten schneiden) umgibt. Platon habe dies, sagt Justin, von Mose übernommen (60,1).

Derselbe kosmologische Bezug scheint vorausgesetzt, wenn es in versprengten Notizen etwa bei Origenes und in den Sibyllinen heißt, Christus habe, seine Arme am Kreuz ausstreckend, das All »umfasst«51 bzw. werde es »vermessen«52. Verbreitet und ikono­graphisch reich belegt53 ist auch die Deutung des Kreuzes als kosmischer Lebensbaum.54 Die mittelalterliche Legende weiß sogar, dass aus dem Holz eines Ablegers des Lebensbaumes aus dem Paradies, nach überstandener Sintflut von Noah auf dem Libanon eingepflanzt, das Kreuz Jesu gezimmert wurde.55 Oder aber das Kreuz wird, wie bei Irenäus, zum typologischen Gegenstück des Baumes der Erkenntnis, an dem sich Adam versündigte:

»Die Übertretung, welche vermittelst des Baumes geschehen war, wurde auch getilgt durch den Baum des Gehorsams, an welchem im Gehorsam gegen Gott der Sohn des Menschen gekreuzigt wurde … Durch den Gehorsam bis in den Tod am Kreuz tilgte er den alten, am Holz begangenen Ungehorsam.«56

Stefan Heid resümiert:

»Nicht weniger als die Welt seit ihrer Erschaffung, gesehen mit den Augen des Alten Testaments, bildet den Interpretationsrahmen auch für das Kreuz. Er­staunen kann die Selbstverständlichkeit, mit der bereits die frühen Apologeten die singuläre und abwegige Kreuzigung eines Menschen und sein Todesinstrument in diesen umfassenden Sinnzusammenhang stellen. Indem sie das Kreuz als biblisches, kosmisches und alltägliches Symbol einsetzen, geben sie ihm welttragende und erlösende Bedeutung.« 57

Der in der gesamten Väterliteratur vernehmbare triumphale Ton, in welchem das Kreuzesgeschehen als siegreicher Kampf gerühmt wird, ist ein Kapitel für sich, weil sich hieraus die Aneignung des Kreuzessymbols durch die kaiserliche Propaganda von selbst ergab, sobald erst ein Christ auf dem Kaiserthron saß. Die dämonolo­gische Variante solcher »Triumphalstaurologie« (Heid) finden wir etwa bei Pseudo-Hippolyt, der die Nacktheit des Gekreuzigten mit der Nacktheit eines Ringkämpfers vergleicht und Christus von der erhöhten Kreuzesposition aus gegen die Dämonen des Luftraumes kämpfen sieht: »Gegen die Mächte des Luftraumes hat er sich nackt zum Kampf gerüstet«, πρὸς ἀείρους ἀρχὰς γυμνὸς ἀνταπεδύ­σατο.58 Auf die militärische Variante verfällt Justin, wenn er römische Feld- und Siegeszeichen in seine Liste kreuzförmiger Alltagsgegenstände aufnimmt:

»Auch die bei euch üblichen Sinnbilder bekunden die Macht dieses Zeichens, ich meine die Feldzeichen und Siegeszeichen, mit welchen ihr überall aufzieht; tragt ihr doch damit … die Abzeichen eurer Herrschaft und Macht zur Schau.«59

Von hier aus war es in der Tat kein großer Schritt zur Integration des Kreuzes in die politische Symbolsprache des römischen Imperiums, das im Laufe des 4. Jh.s christlich wurde.

5. Markion und die Gnosis


Wenn wir nach einem Theologen suchen, der von seinen Denkvoraussetzungen her solchen Vergleichen abhold war, gelangen wir, horribile dictu, zu Markion. In einer seiner Antithesen kommt er, wie seine rechtgläubigen Kontrahenten auch, auf die Amalekiterschlacht aus Ex 17 zu sprechen, nun aber nicht, um das Kreuz als Siegessymbol auszuweisen, sondern um an einer weiteren Gegenüberstellung alt- und neutestamentlicher Passagen zu zeigen, dass der Gott Jesu Christi unmöglich mit dem Gott des Alten Testaments auch nur das Geringste zu tun haben kann:

»Der Prophet des Schöpfergottes stieg, als das Volk in der Schlacht stand, auf den Gipfel des Berges und breitete seine Hände aus zu Gott, damit er möglichst viele in der Schlacht töte; unser Herr aber, der Gute, breitete seine Hände (scil. am Kreuze) aus, nicht um Menschen zu töten, sondern um sie zu erlösen«.60

Wo gnostische Texte das Kreuz in ihre spekulativen Kosmogonien hineinnehmen, knüpfen sie an die schon von Justin bemerkte Kreuzform der platonischen Weltseele an, nun jedoch nicht so, dass die beiden Teile der Weltseele wie Bänder den Kosmos umfangen und ihn beleben, sondern als Grenze zwischen dem urständlichen Pleroma und der korrupten materiellen Welt. Die stabilisierende Funktion des Kreuzes besteht darin, dass das Kreuz ein Übergreifen der geschaffenen Sphäre auf die ungeschaffene verhindert. Sie kommt also dem Pleroma zugute und allenfalls mittelbar und nur vorläufig dem geschaffenen Kosmos. Zwar kann, entsprechend der Geometrie der einander überkreuzenden Balken, die durch das Kreuz markierte Grenze durch das Kreuz selbst überschritten werden, wenn der kosmische Christus seine Arme ausbreitet, sich in die Dunkelheit des Geschaffenen hinabbeugt und Achamoth, die gefallene Weisheit, wieder ins Pleroma hinaufholt. 61 Doch ist dies ein Erlöstwerden aus der Welt heraus, eine Heimkehr aus Finsternis und Fremde in den weltjenseitigen Urzustand:

Ὁ Σταυρὸς τοῦ ἐν πληρώματι ὅρου σημεῖόν ἐστιν· χωρίζει γὰρ τοὺς ἀπίστους τῶν πιστῶν ὡς ἐκεῖνος τὸν κόσμον τοῦ πληρώματος· Διὸ καὶ τὰ σπέρματα ὁ Ἰησοῦς, διὰ τοῦ σημείου ἐπὶ τῶν ὤνων βαστάσας, εἰσάγει εἰς τὸ πλήρωμα .

»Das Kreuz ist Zeichen der Grenze (Horos) im Pleroma. Denn es trennt die Ungläubigen von den Gläubigen wie jene die Welt von dem Pleroma. Darum trägt auch Jesus die Samen(körner) durch das Zeichen (des Kreuzes) auf seinen Schultern und führt sie in das Pleroma hinein.«62

Der Gestus der Weltablehnung, der gnostischen Theologien des Kreuzes zueigen ist, kommt anschaulich im (freilich selbst wohl noch nicht gnostischen) apokryphen Martyrium Petri zum Ausdruck. Petrus bittet seine Henker, ihn mit dem Kopf nach unten zu kreuzigen, weil er, so sein Argument, vom ersten Menschen ab­stamme, der mit dem Kopf nach unten stürzend ins Dasein getreten sei. Bousset war sich noch sicher, hier auf einen vorchristlichen Urmensch-Mythos gestoßen zu sein, eine religionsgeschichtliche Herleitung, die heute als überholt angesehen wird. Nach der lateinischen Version scheint jedenfalls der natürliche Geburtsvorgang Bildspender für diese Auffassung zu sein:

»Ich [d. i. Petrus] will mir nicht das Recht anmaßen, aufrecht gekreuzigt zu werden. Denn wir sind von Adam her nur als Menschen und ganz als Sünder geboren … Wir sind … als Menschen Kinder des ersten Menschen, der nicht mit den Füßen, sondern mit dem Kopf nach unten gelaufen ist. Sein Fall wird sichtbar durch das Menschengeschlecht. Denn so werden wir geboren, mit dem Kopf nach unten. Doch dann kehrt sich alles um. Und was eigentlich rechts ist, das ist jetzt links, was links ist, das ist rechts geworden. Denn bei den Ureltern dieses Lebens ist die Ordnung des Lebens umgekehrt worden. Denn diese Welt hält für rechts, was eigentlich links ist«. Doch »[f]ür uns hat« Chris­tus, aufrecht gekreuzigt, »das, was durch den bösen Irrtum der Menschen zuvor vertauscht worden war, wieder zurechtgerückt. Das … Gegenwärtige wurde jetzt links und das, was man für links hielt, ewig … Mit seiner rechten Hand verherrlichend hat er alle Dinge zu ihrer eigenen Bestimmung zurück­verwandelt. So hat er als gut gewertet, was nicht für gut gehalten wurde. Er hat für gut erklärt, was für böse gehalten wurde.« 63

Damit sind wir unversehens wieder am Anfang, nämlich bei Paulus, ist doch auch für Paulus das Kreuz der Ort der Umwertung geltender Werte, das Kriterium, an dem die Frage, was etwas gelten soll und was nicht, neu zu verhandeln ist. Entweder das Kreuz ist der einzig richtige Ort und die ganze Welt steht auf dem Kopf, oder aber das Kreuz ist das, was schon Paulus als Mehrheitsmeinung geläufig war, nämlich eine Torheit.

6. Schluss


Mit dem Brückenschlag vom Martyrium Petri zurück zum 1. Ko­rintherbrief haben wir abschließend nochmals den sozusagen linken Rand antik-christlicher Rede vom Kreuz in den Blick ge­nommen. Den Gegenpol bilden Konzeptionen, die sich schon in der Antike als politisch anschlussfähig erwiesen haben,64 und dazwischen gibt es eine Fülle an Lebensäußerungen christlichen Glaubens, die hier überhaupt nicht zur Sprache gekommen sind, einschließlich einer um das Kreuz zentrierten vitalen Alltagsreligiosität.65 Aber auch so dürfte die extreme Deutungsoffenheit gerade des zentralen christlichen Symbols anschaulich geworden sein. Sie indiziert die Integrationskraft des Christentums zwischen den Polen Schöpfung und Erlösung, Weltbejahung und Weltverneinung, zwischen andauernder und endlicher Zeit, nicht zuletzt der begrenzten individuellen Lebenszeit. Daraus bezieht die christ­-liche Religion ihre enorme Anpassungsfähigkeit, die sachkritisch nicht eingeholt, wohl aber historisch und, was die Gegenwart betrifft, auch empirisch dargestellt werden kann. Sachkritik gehört zum notwendigen theologischen Tagesgeschäft, damit Kirche heute verantwortlich und reflektiert von Gott, Welt und Mensch reden möge. Doch geht dies nicht ohne eine immer auch historische Perspektive, wie sie allen theologischen Fächern gemeinsam ist. Zur reinen Wahrheit des theologischen Begriffs gesellt sich dann die ganze Wahrheit der Geschichte, bis hin zu einer geradezu positi- vistischen Religionsdefinition auch des Christentums: Dass es nämlich das ist, was es in der Summe seiner historischen Erscheinungsformen ist und gewesen ist.

Für die Arbeit am Neuen Testament folgt daraus erstens, dass seine Texte als Texte der Antike zu lesen sind und dass uns die Menschen, die diese Texte verfasst und rezipiert haben, als antike Menschen interessieren. Das ganze Repertoire der Kulturwissenschaften und historischen Sozialwissenschaften darf an diesen Texten erprobt werden, immer auf der Suche nach Einsichten, die nicht mit dem identisch sind, was wir ohnehin schon wissen.

Zweitens darf der neutestamentliche Kanon dergestalt beim Wort genommen werden, dass alles, was darinnen steht, zunächst einmal Geltung hat, ohne sich vor diversen Kanones im Kanon theologisch verantworten zu müssen.66 Das schließt nicht aus, dass man dem echten Paulus des 1. Korintherbriefes mehr abzugewinnen vermag als dem weniger echten des Kolosserbriefes. Aber beides soll doch gerade in seiner Verschiedenheit so präzis wie möglich zur Darstellung und damit auch zu seinem Recht kommen. Solche innerkanonische Pluralität animiert zu einer kritischen Liberalität, die auch heutiges Christentum in seiner Vielfalt und Disparatheit wertzuschätzen versteht und sich darin zuhause weiß.

Summary


The career of the cross as the basic symbol of Christianity is aston­ishing: It made its way from an image of shame to a sign of triumph, from a critical figure directed against human claims of power and glory to an affirmation of those claims. Antagonistic interpretations of the cross within the political framework of the Roman empire on the one hand and the apologetic enterprise to establish the cross for a pagan audience as a symbol of social and cosmic order on the other stand side by side. The article traces the former path from Paul’s »word of the cross« in 1Cor 1 and the Gospel of Mark to Marcion and the Gnostics, and the latter one (rooted in the scenario of Christ crucified triumphant over the powers and regaining control over the cosmos as praised in the letter to the Colossians) along the line of 2nd and 3rd century Fathers. The wide range of interpretations of the cross in early Christianity demonstrates the polymorphism of the Christian religion between the polar concepts of creation and redemption.

* Überarbeiteter und mit Anmerkungen versehener Text meiner Jenaer Antrittsvorlesung am 26. Januar 2010. Die Druckfassung ist Klaus Berger zu seinem 70. Geburtstag am 25. November 2010 in Dankbarkeit gewidmet. Der Vortragsstil wurde beibehalten.

Fussnoten:

1) So zuletzt im Mai 2009 in der Kontroverse um die Interpretation des Bildes »Kreuzigung« von Guido Reni durch Navid Kermani im Vorfeld der Verleihung des Hessischen Kulturpreises.
2) Dies gilt auch für die exegetische Metasprache; vgl. dazu K. Haldimann, Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie. In: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hrsg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151), Tübingen 2002, 1–25, der die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Terminus »Kreuzestheologie« in der neutestamentlichen Wissenschaft diskutiert und eine eigene Sprachregelung vorschlägt.
3) Vgl. hierzu die wichtige Studie von D. Martin, The Corinthian Body, New Haven 1995.
4) Zur Diskussion, ob »in Korinth Taufe und Parteibildung etwas miteinander zu tun hatten und die Korinther in Analogie zum Mysteriendenken meinten, es käme auf den Taufenden an«, vgl. W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, Bd. 1 (EKK VII/1), Neukirchen-Vluyn/Zürich 1999, 155, der es freilich für »wahrscheinlicher« hält, »dass Paulus selbst von der Taufe her argumentiert, so wie er auch in 12,12 die Taufe mit der Einheit der Kirche verknüpft«. Welchen argumentativen Wert hätte dann aber das auffällige Insistieren auf der geringen Zahl der von Paulus in Korinth vollzogenen Taufen?
5) So auch M. Konradt, Die korinthische Weisheit und das Wort vom Kreuz, ZNW 94 (2003), 181–214, 187: »Die Weisheit erscheint … allem voran als ein soziales Phänomen, nämlich als gewichtige Säule gesellschaftlicher Anerkennung«.
6) Vgl. K. Müller, 1 Kor 1,18–25. Die eschatologisch-kritische Funktion der Verkündigung des Kreuzes, BZ NF 10 (1966), 246–272, 251, unter Hinweis auf den rabbinischen Sprachgebrauch.
7) Für eine christologische Interpretation von 1,21 votiert auch H.-Ch. Kammler, Kreuz und Weisheit (WUNT 159), Tübingen 2003, 78–100.
8) Texte aus 1Kor hier und nachfolgend in eigener Übersetzung unter Zugrundelegung der Zürcher Bibel (2007).
9) Das paulinische Zitat verschärft in der zweiten Vershälfte κρύψω (LXX) zu ἀθετήσω.
10) K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2. Aufl. 1994, 491.
11) F. Nietzsche, Der Antichrist, § 47: »Paulus will ›die Weisheit der Welt‹ zuschanden machen: seine Feinde sind die guten Philologen und Ärzte alexandrinischer Schulung –, ihnen macht er den Krieg«. Zitiert aus: F. Nietzsche, Der Fall Wagner u. a. (KSA Bd. 6), München 2. Aufl. 1988, 226.
12) Paulus hat an sich auch nichts gegen eine »realized eschatology mit ihrer Weisheitshypertrophie und ihrem Geistenthusiasmus«, so W. Schrage, Der gekreuzigte und auferweckte Herr. Zur theologia crucis und theologia resurrectionis bei Paulus. In: Ders., Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament (FRLANT 205), Göttingen 2004, 14. Der Einwand ist vielmehr sozialethischer Natur: Die Pneumatiker sollen ihr Pneumatikertum so ausleben, dass Nicht­-pneumatiker nicht exkludiert werden. Dann ist es nicht zu beanstanden.
13) So W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther (s. o. Anm. 4), 181.
14) So etwa H. Merklein, Das paulinische Paradox des Kreuzes, TThZ 106 (1997), 81–98.
15) Konsequenzen für gegenwärtige Bildungsdebatten sind unschwer zu erkennen. Die Frage muss lauten, ob Bildungspolitik zur weiteren Öffnung der sozialen Schere beiträgt oder diese Öffnung gerade verhindert.
16) Wenn M. Albrecht, Vom Kreuz reden im Religionsunterricht, Göttingen 2008, repräsentativ ist, spielt die Kreuzestheologie des 1Kor auch religionspädagogisch keine Rolle: Weder in den in der Studie untersuchten Schülervoten noch in der theologischen Reflexion kommt 1Kor 1,18–31 zur Sprache. Diskutiert werden allein die Themenkreise Rechtfertigung, Hoffnung gegen den Tod und Jesu Vorbild im Leiden.
17) So etwa J. Theis, Paulus als Weisheitslehrer. Der Gekreuzigte und die Weisheit Gottes in 1 Kor 1–4, Regensburg 1991, 155–159, und zuletzt S. Alkier, Neues Testament (UTB 3404), Tübingen 2010, 55, unter der Überschrift »Das Wort vom Kreuz als Fortsetzung und Interpretation der großen Erzählung Israels«.
18) Auf die terminologische Unterscheidung verweist auch J. Zumstein, Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie. In: Dettwiler/Zumstein, Kreuzestheologie (s. o. Anm. 2), 27–42, 32: »Bedient sich Paulus traditioneller Vorstellungen, um den Tod Jesu zum Ausdruck zu bringen, verwendet er das Verb ›sterben‹ … und das Nomen ›Tod‹ … Sobald er aber seine eigene Interpretation des Todes Jesu zu entfalten beginnt, wechselt er zu einem neuen semantischen Wortfeld: ›das Kreuz‹ …, ›kreuzigen‹ … und ›gekreuzigt werden mit‹.« M. Wolter, »Dumm und skandalös«. Die paulinische Kreuzestheologie und das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens. In: Ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum (WUNT 236), Tübingen 2009, 197–218, 198, betont, »dass … die Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus einen deutlichen Bedeutungsüberschuss gegenüber der Rede von seinem Tod aufweist und dass man zwischen beiden darum sorgfältig unterscheiden muss«.
19) Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zu 1Kor 1–4 unter Rückgriff auf P. Bourdieus Begriff des religiösen Habitus hat neuerdings G. O. Kirner, Apostolat und Patronage (II). Darstellungsteil: Weisheit, Rhetorik und Ruhm im Konflikt um die apostolische Praxis des Paulus in der frühchristlichen Gemeinde Korinth (1Kor 1–4 u. 9; 2Kor 10–13), ZAC 7 (2003), 27–72, vorgelegt. Der Bezug zur theologischen Argumentation von 1Kor 1–4 bleibt freilich undeutlich. Vgl. dagegen R. Pickett, The Cross in Corinth. The Social Significance of the Death of Jesus (JSNT.S 143), Sheffield 1997, 37–84.
20) Weisheit am Kreuzweg. Zum theologischen Programm von 1Kor 1 und 2. In: Dettwiler/Zumstein, Kreuzestheologie (s. o. Anm. 2), 43–58, 46.
21) The Anti-Imperial Message of the Cross. In: R. A. Horsley (Hrsg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 167–183, 182.
22) Kreuzestheologie. Geschichte und Gehalt eines Programmbegriffs in der evangelischen Theologie (BHTh 142), Tübingen 2007, 294.
23) Die korinthische Weisheit (s. o. Anm. 5), 188.
24) So etwa Vollenweider, Weisheit am Kreuzweg (s. o. Anm. 20), 44: »Es ist die ›Kraft Gottes‹ (δύναμις θεοῦ), die in Gestalt des Evangeliums (Röm 1,16) bzw. in Gestalt des Wortes vom Kreuz (1Kor 1,18) den Glaubenden Rettung und Heil verschafft.« Zwar sind Kreuzeslogos und Evangelium, so Vollenweider weiter, insofern »nicht einfach deckungsgleich«, als jener »die theologische Reflexion im Blick auf ihre Übereinstimmung mit dem Evangelium prüft« (loc. cit.). Diese formale Verhältnisbestimmung bringt jedoch das kritische Kontergewicht des Kreuzeslogos nicht zur Geltung.
25) So etwa W. Schenk, »Kreuzestheologie« bei Paulus. Zu den »cultural codes« von σταυρός, σκόλοψ, ξύλον. In: K. Wengst/G. Saß (Hrsg.), Ja und nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels (FS W. Schrage), Neukirchen 1998, 93–109, 107: »Der Ausdruck ›Kreuz‹ … ist bei Paulus immer Metonym … für die destruktive Kehrseite der mit der Auferweckung Jesu einsetzenden Neuschöpfung« (Kursive hinzugefügt).
26) Mit K. Müller, 1 Kor 1,18–25 (s. o. Anm. 6), 246, M. Wolter, »Dumm und skandalös« (s. o. Anm. 18), 208 f., und anderen.
27) Der Triumph des Kreuzes. Studien zur Rezeption der paulinischen Kreuzestheologie im Kolosserbrief (SBB 28), Stuttgart 1994, 59.
28) Im Gleichklang von ἐγὼ δὲ Ἀπολλῶ (1,12) und ἀπολῶ zu Beginn des Schriftzitats in 1,19 könnte namentlich eine Spitze gegen Apollos vorliegen, so M. Pöttner, Realität als Kommunikation, Münster 1995, 174.
29) So mit vielen anderen F. Voss, Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft. Zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes (FRLANT 199), Göttingen 2002, 114 f.: Es gehe in 1,26–28 »letztlich nicht um den soziologischen Befund, sondern um nichts geringeres als die Konstitution der Schöpfung«, denn in der Antithese τὰ μὴ ὄντα/τὰ ὄντα sei »die soziologische Terminologie der Schöpfungsterminologie gewichen«. Mithin gelte: »Die Berufung der Gemeinde kommt … einer creatio ex nihilo gleich.« Davon ist aber in 1Kor 1,28 keinesfalls die Rede.
30) Weisheit am Kreuzweg (s. o. Anm. 20), 51.
31) Ähnlich abstrakt formuliert R. Hoppe, Der Triumph des Kreuzes (s. o. Anm. 27), 52: Es gehe in der Kreuzestheologie von 1Kor um »die grundlegende Gebrochenheit menschlicher Existenz«. Diese steht aber in Korinth nicht zur Verhandlung an.
32) So auch die These von D. Martin, The Corinthian Body (s. o. Anm. 3), 56: »[T]he Corinthian church was split along status lines, with higher-status members taking one position on several issues and lower-status members another.« Paulus führt in 1Kor eine Auseinandersetzung mit einer »upper-class ideology, substituting in its place a topsy-turvy value system that reflects, in his view, the logic of … loyalty to a crucified Messiah« (XVII). Vgl. auch H. H. D. Williams, Living as Christ crucified: The cross as a foundation for Christian ethics in 1 Corinthians, EvQ 75 (2003), 117–131.
33) Vgl. hierzu vor allem Th. Söding, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre. Zur Verbindung von Christologie und Soteriologie im Ersten Korintherbrief und im Galaterbrief, Cath(M) 46 (1992), 31–60, 46–57.
34) Für die gegenteilige Sicht vgl. J. Frey, Paulinische Perspektiven zur Kreuzestheologie. In memoriam Ernst Käsemann (1906–1998). In: K. Grünwaldt, U. Hahn (Hrsg.), Kreuzestheologie – kontrovers und erhellend, Hannover 2007, 53–97, 86: In Gal 3,1 »ist nicht die Schändlichkeit des Kreuzestodes oder die Niedrigkeit des Gekreuzigten im Blick, sondern die Heilswirksamkeit des Kreuzestodes« (Kursive im Text). Aber ist die anschauliche und entsprechend drastische Beschreibung (griech: προγράφω), wie jemand an einem Holzpfahl zu Tode gebracht wird, das geeignete sprachliche Mittel, das Stellvertretend-Heilvolle dieses Vorgangs zu veranschaulichen? Geht es nicht vielmehr um soziale Schande und Exklusion? Diese erspart Paulus sich (Stichwort συνεσταύρωμαι) und seinen Adressaten gerade nicht. Haben die Galater das erst verstanden, sind sie für den sozialen Statusgewinn des Jüdischwerdens (der, wie der Jude Paulus weiß, nicht von ungefähr kommt) unempfänglich.
35) Diese Nähe sehen auch U. Luz, Theologia crucis als Mitte der Theologie im Neuen Testament, EvTh 34 (1974), 116–141, und C. C. Black, Christ Crucified in Paul and in Mark: Reflections on an Intracanonical Conversation. In: E. H. Lover­ing, J. L. Sumney (Hrsg.), Theology and Ethics in Paul and his Interpreters (FS V. P. Furnish), Abingdon 1996, 184 – 206.
36) M. Ebner, Kreuzestheologie im Markusevangelium. In: Dettwiler/Zumstein (s. o. Anm. 2), 151–168. Vgl. jetzt auch B. Heininger, »Politische Theologie« im Markusevangelium. Der Aufstieg Vespasians zum Kaiser und der Abstieg Jesu ans Kreuz. In: Ders., Die Inkulturation des Christentums. Aufsätze und Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt (WUNT 255), Tübingen 2010, 181–204. Im Blick auf die Rezeption des MkEv bei Lk und Mt findet U. Luz, Theologia crucis (s. o. Anm. 35), 120, deutliche Worte: Namentlich das LkEv sei »geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie das Kreuz aus der Mitte der Theologie verdrängt und zu einem ihrer Gegenstände neben anderen wird«.
37) M. Ebner, Kreuzestheologie im Markusevangelium (s. o. Anm. 36), 155.
38) M. Ebner, op. cit., 161.
39) Zürcher Übersetzung (2007).
40) Häufig wird dies mit dem Wort vom »Tragen des Kreuzes« (Mk 8,34 parr Mt 10,38/Lk 9,23; 14,27) assoziiert. »Kreuz« wird dann zur Metapher für jedwedes Ungemach getaufter Menschen. Vgl. dagegen S. Bøe, Cross-Bearing in Luke (WUNT 2.278), Tübingen 2010, 223: »Crucifixion, and by all probability also cross-bearing, was heavily associated with shame in antiquity. This element of shame was probably a fundamental motivation whenever this form of execution was chosen. A call to voluntary cross-bearing can therefore be seen as a call to self-stigmatization, to putting oneself in a position of social shame as an outcast. In this respect the call to cross-bearing may therefore indirectly have suggested to Luke’s readers that disciples ought to share the shame of Jesus«. In Mk 8,34 und Lk 9,23 liegt diese Konnotation durch das voranstehende »Verleugnen seiner selbst« klar zu Tage. In Mt 10,37 f. und Lk 14,26 f. geht es um die Relativierung von Sozialbeziehungen. Für die Verbindung von σταυρός und αἰσχύνη ist auf Hebr 12,2 zu verweisen.
41) Vgl. dazu M. Klinghardt, Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 11 (2008) 21, 27–37, sowie zuletzt K. M. Schmidt, Wege des Heils. Erzählstrukturen und Rezeptionskontexte des Markusevangeliums (NTOA/StUNT 74), Göttingen 2010.
42) Vgl. R. Hoppe, Der Triumph des Kreuzes (s. o. Anm. 27), 146–225; A. Dettwiler, Das Verständnis des Kreuzes im Kolosserbrief. In: Dettwiler/Zumstein (s. o. Anm. 2), 81–105.
43) Zur gängigeren sühnetodtheologischen Deutung vgl. A. Dettwiler, Das Verständnis des Kreuzes (s. o. Anm. 42), 91–93.
44) Zürcher Übersetzung (2007).
45) Das Verständnis des Kreuzes (s. o. Anm. 42), 104 f. Die bis 2002 erschienene Literatur zur johanneischen Kreuzestheologie ist erfasst bei J. Frey, Die »theologia crucifixi« des Johannesevangeliums. In: Dettwiler/Zumstein (s. o. Anm. 2), 169–238.
46) M. Fédou, La vision de la Croix dans l’œuvre de saint Justin ›philosophe et martyr‹. In: RechAug 19, Paris 1984, 29–110.
47) Näheres bei J. D. M. Derrett, Ο ΚΥΡΙΟΣ ΕΒΑΣΙΛΕΥΣΕΝ ΑΠΟ ΤΟΥ ΞΥΛΟΥ, VigChr 43 (1989), 378–392; J.-M. Prieur, »Le Seigneur a régné depuis le bois«. L’adjonction chrétienne au Psaume 95,10 et son interprétation. In: Rois et reines de la Bible au miroir des Pères (Cahiers de Biblia Patristica 6), Straßburg 1999, 127–140.
48) Übersetzung aus: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten Bd. 1 (BKV 1. Reihe, Bd. 12), München 1913, 123 f.
49) W. Bousset, Platons Weltseele und das Kreuz Christi, ZNW 14 (1913), 273 –285, 273–275.
50) J.-M. Prieur, La dimension cosmique de la crucifixion et de la croix dans la littérature chrétienne ancienne, RHPhR 78 (1998), 39–56, 40–44; G. Voss, Die kosmische Bedeutung des Kreuzes Christi in der Frühen Kirche, US 60 (2005), 311–326.
51) Origenes, Hom.Ex. XI,4: universum orbem terrae exaltatus in cruce complexurus erat bracchiis suis.
52) Sib VIII,302: ἐκπετάσει χεῖρας καὶ κόσμον ἅπνατα μετρήσει.
53) J. Flemming, Der Lebensbaum in der altchristlichen, byzantinischen und byzantinisch beeinflussten Kunst, Habil. Jena 1963, V. Pfnür, Das Kreuz – Lebensbaum in der Mitte des Paradiesgartens: Garten des Lebens (FS W. Cramer), Altenberge 1999, 203–222, 214–220.
54) Belege bei O. Hagemeyer, Art. Baum B.II.b, RAC 2, 24–26; W. Speyer, Art. Holz, RAC 16, 87–116, 110.
55) W. Meyer, Die Geschichte des Kreuzes-Holzes vor Christus (ABAW.PP 16,2), München 1882, 101–166.
56) Demonstratio 34. Übersetzung aus: Des heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien (BKV 1. Reihe, Bd. 4), München 1912, 606 f.
57) S. Heid, Art. Kreuz, RAC Bd. 21, 1099–1148, 1113.
58) PsHipplolyt, In sanctum Pascha 51, Text bei J.-M. Prieur, Das Kreuz in der christlichen Literatur der Antike, Bern/Berlin u. a. 2006, 138; eigene Übersetzung.
59) Apol I 55,6. Übersetzung aus: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten Bd. 1 (BKV 1. Reihe, Bd. 12), München 1913, 124.
60) 7. Antithese. Übersetzung aus: A. v. Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 2. Aufl. 1924, 90.
61) Vgl. W. Bousset, Platons Weltseele (s. o. Anm. 49), 281–283, zum Horos-Stauros der Valentinianer.
62) Clemens v. Alexandrien, Excerpta ex Theodoto 42,1. Text aus O. Stählin, GCS 3 (1909) bei J.-M. Prieur, Das Kreuz in der christlichen Literatur der Antike (s. o. Anm. 58), 32. Übersetzung aus W. Foerster, Die Gnosis. Zeugnisse der Kirchenväter, Düsseldorf/Zürich 1997, 296. Weitere Texte zu den valentinianischen Kreuzes-Spekulationen sind bei Prieur, a. a. O., 24–36, gesammelt.
63) Martyrium Petri 13–14. Übersetzung: K. Berger/C. Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, 6. Aufl. 2003, 1282 f.
64) Vgl. S. Heid, Vexillum crucis. Das Kreuz als Religions-, Missions- und Imperialsymbol in der Frühen Kirche, RivAC 78 (2002), 191–259, und ders., Art. Kreuz (s. o. Anm. 57), 1123 f.
65) Vgl. dazu das bei S. Heid, Art. Kreuz (s. o. Anm. 50), 1126–1143, erfasste umfangreiche Material.
66) Das Gegenprogramm dazu ist eine innerkanonische Sachkritik, wie sie nachdrücklich von E. Käsemann vertreten und vorgenommen wurde; vgl. dazu die instruktive Darstellung von J. Frey, Paulinische Perspektiven zur Kreuzestheologie (s. o. Anm. 34), 61–68. Allerdings scheint mir eine gewisse Spannung zu bestehen zwischen dem sicheren Urteil, mit dem Käsemann nicht wenige neutestamentliche Konzepte scharfer Kritik unterzogen hat (dazu Frey, 63 f.), und der von ihm geforderten »Unterscheidung der Geister«, die sich der Unverfügbarkeit des Geistes wohl bewusst ist und ausgeht »von den Ungesicherten und Angefochtenen in und trotz den Konfessionen« (E. Käsemann, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?, EvTh 11 (1951/52), 223).