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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

164–166

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ulonska, Herbert

Titel/Untertitel:

Streiten mit Jesus. Konfliktgeschichten in den Evangelien.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 208 S. 8o = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 11. Kart. DM 34,­. ISBN 3-525-61347-4.

Rezensent:

Werner Zager

Mit seinem für einen weiteren Leserkreis geschriebenen Buch über die Streitgespräche bzw. "Konfliktgeschichten" innerhalb der synoptischen Evangelien verfolgt Herbert Ulonska die theologische Absicht, den "unbekannten streitenden Jesus... wiederzuentdecken, damit wir Christen im Streit um die Wahrheit eine Streitkultur entwickeln" (17). Denn nur so könne die Christenheit in einer "multireligiösen und -kulturellen Gesellschaft" ihr eigenes Profil bewahren und damit ihrem Auftrag gerecht werden, Menschen Gottes Reich näher zu bringen (5). Dagegen geht es dem Autor weniger darum, eine Forschungslücke innerhalb der Bibelauslegung zu schließen.

Formal gliedert der Vf. seine Darstellung in acht Kapitel, denen nicht nur ein Bibelstellenregister (204-208), sondern auch eine vor allem für die theologischen "Laien" hilfreiche Erläuterung der exegetischen Fachausdrücke (194-203) beigegeben ist.

Die Auslegung der Konfliktgeschichten erfolgt nach thematischen Gesichtspunkten geordnet im wesentlichen in den Kapiteln 3 bis 6: "Der Streit um den Sabbat" (49-80) [Texte: Mk 2,23-28 parr.; 3,1-6 parr.; Lk 13,10-17], "Der Streit um die guten Werke" (81-115) [Texte: Mk 2,18-22 parr.; 7,1-23 par.; 12,28-34 parr.], "Der Streit um die Zugehörigkeit zum Reich Gottes" (116-149) [Texte: Mk 2,13-17 parr.; Lk 7,36-50; Mk 10,13-16 parr.] und "Der Streit um Jesus" (150-171) [Texte: Mk 2,1-12 parr.; 11,27-33 parr.]. Dabei bietet der Vf. nicht nur eine Auslegung der betreffenden Konfliktgeschichte mit Einschluß der synoptischen Parallelen, sondern auch eine Rekonstruktion der jeweiligen vorevangeliaren Fassung, um möglichst bis zur ursprünglichen Konfliktsituation des historischen Jesus oder seiner Anhänger vorzustoßen. Wie aus dem einleitenden Kapitel über "Die Streitkultur der Urgemeinde" (9-16) hervorgeht, ist sich der Vf. des Problems bewußt, daß der ursprüngliche Sitz im Leben im Laufe des Überlieferungsvorgangs verlorenging, Herrenworte unabhängig voneinander tradiert wurden, bevor sie in Jesuserzählungen Aufnahme fanden und dadurch einen neuen Sitz im Leben erhielten. Der erste Sitz im Leben kann folglich nur hypothetisch erschlossen werden. Bedauern kann man, daß der Vf. auf eine methodisch ausgewiesene Prüfung der Echtheit der behandelten Jesusworte verzichtet, was zugegebenermaßen jedoch den vorgegebenen Rahmen des Buches gesprengt hätte.

Wie der Vf. herausgestellt hat, spiegeln sich in den Streitgesprächen der drei ersten Evangelien Ablösungs- und Abgrenzungskonflikte, die sich sowohl zwischen der Jesusbewegung und der Täufergruppe als auch zwischen der Jesusbewegung und den Pharisäern abspielten (172). Die Konflikte entzündeten sich an folgenden strittigen Punkten, die alle mit Jesu Reich-Gottes-Botschaft in Verbindung stehen: das Verhältnis von Gottes Heil und Gericht zum Handeln des Menschen, die Gültigkeit der Tora und zwar speziell ihrer kultischen und rituellen Bestimmungen, die Sinngebung des Sabbats, der Umgang mit religiös und gesellschaftlich ausgegrenzten Menschen (174f).

Das dem Autor eigene Jesusbild tritt insbesondere in dem mit "Der unbekannte Jeschua aus Nazareth" überschriebenen 2. Kapitel (17-48) hervor, in dem neben anderen Jesusstoffen (Lk 12,49-53 par Mt 10,34-36; Mt 11,2-6 par Lk 7,18-23) noch ein weiteres Streitgespräch erörtert wird (Mt 12,22-32 par Mk 3,22-30; Lk 11,14 f.17-23). Als verfehlt ist hier die Deutung des Q-Doppellogions Lk 12,49 f zu beurteilen, das der Vf. für authentisch hält und von Jesus vor dessen Taufe gesprochen sein läßt. So sei Jesus anfangs in Galiläa als Unheilsprophet aufgetreten, der das endzeitliche Feuergericht angesagt und zugleich gehofft habe, durch die von Johannes vollzogene Taufe selbst davor bewahrt zu werden (18-20).

Wie aber in der Forschung durchgängig zu Recht angenommen wird, bezieht sich Lk 12,50 nicht auf die Johannestaufe, sondern ­ wie aus Mk 10,38 geschlossen werden kann ­ auf Jesu Tod. Es ist durchaus fraglich, ob Jesus in unmittelbarem Zusammenhang mit der Taufe seine Berufung zur Verkündigung des Reiches Gottes und damit im Sinne des Vf.s seine Wandlung vom Unheils- zum Heilspropheten erlebte (25). Zum einen wissen die Taufberichte der vier Evangelien nichts davon (historisch gesichert ist allein das "Daß" des Getauftseins Jesu); zum anderen bedeutet nach Mk 1,13 f nicht die Taufe, sondern die erfahrene Entmachtung des Satan die Basis für Jesu Botschaft der sich durchsetzenden Gottesherrschaft (vgl. auch Lk 10,18). Gewiß hat der historische Jesus gegenüber Johannes dem Täufer den Akzent klar auf das Heilsangebot der Gottesherrschaft gelegt. Das ändert aber nichts daran, daß er in dem bereits anhebenden und sich in einem zukünftigen endgültigen Akt ereignenden Endgericht die notwendige Voraussetzung des Reiches Gottes sah. Es geht also nicht an zu behaupten, daß Jesus es gewagt habe, "sich vom dualistischen Denken des Johannes freizumachen" (29), ferner daß er das göttliche Vergeltungsrecht rundweg abgelehnt (30.177f.) [vgl. dagegen Mt 18,23b-34], auf Einlaßbedingungen für das Reich Gottes verzichtet (30) [vgl. dagegen Mk 10,25], ja überhaupt kein kommendes Gericht mehr erwartet habe (29f. 78), weil dieses zu seinem "Abba (Papa)"-Gott nicht passe (5.34.46 f.173.178).

Sofern der Vf. sein eigenes Jesusbild nicht als Schlüssel zur Interpretation der synoptischen Streitgespräche benutzt ­ verstärkt tut er dies in dem den Ertrag der vorangegangenen Einzeluntersuchungen zusammenfassenden Kapitel: "Selbstbehauptungen im Streit um die neue Wahrheit" (172-180) ­, handelt es sich bei seinen Textanalysen um solide Exegese, die allerdings nicht über das hinausführt, was man in neueren Synoptiker-Kommentaren einer allgemeinverständlichen Reihe lesen kann. Der theologische "Laie" wird die nach jedem Kapitel angegebene Literaturauswahl als nützlich empfinden, ebenso wie den in Kapitel 8 gegebenen Überblick über "Die Konfliktparteien im Streit mit der Jesusbewegung" (181-193).

So richtig es sicher ist, wenn der Vf. seine Leserinnen und Leser dazu ermuntert, sich von "vorgegebenen Autoritäten" abzulösen und sich von solchen abzugrenzen, "die exklusive Wahrheitsansprüche für sich behaupten" (179), so fragt man sich doch, ob dafür ein Rückgriff auf die Streitgespräche Jesu nötig ist oder ob es nicht dafür unmittelbarere Begründungszusammenhänge gibt. Was der Autor unter der von ihm eingeforderten "Streitkultur" versteht (178-180), bleibt letztlich recht blaß. Es bedürfte hier tiefergreifender Überlegungen, um wirklich die Mündigkeit und Sprachfähigkeit der Christen in unserer Welt zu fördern.