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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

706-708

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Mirjam

Titel/Untertitel:

Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. XVIII, 453 S. m. Tab. 8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2438-2.

Rezensent:

Petra Freudenberger-Lötz

Mirjam Zimmermann hat eine äußerst beachtliche Habilitationsschrift verfasst. Sie leistet damit sowohl eine klare Standortbestimmung der Kindertheologie (Erster Hauptteil) als auch eine Konkretisierung kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Kreuzestodes Jesu (Zweiter Hauptteil). Es ist nicht leicht, dieses umfangreiche Werk auf knappem Raum zu besprechen. Der Grund dafür liegt im Facettenreichtum, mit dem die Thematik entfaltet wird.
Schon im ersten Teil ist jedes einzelne Kapitel als Nachschlagewerk zu aktuellen Fragen der Kindertheologie zu nutzen. Was ist überhaupt Kindertheologie? Wie hat sie sich entwickelt? Wie wird sie begründet? Was ist das Neue? Wie sieht sie das Kind? Was ist überhaupt mit Kindheit gemeint? Wie kann Kindheit erforscht werden? Was ist Theologie? Wie versteht Kindertheologie Theologie? Was bedeutet theologische Kompetenz, was bedeutet religiöse Kompetenz? In welchem Verhältnis stehen Kindertheologie und Kompetenzorientierung? Mit welchen Methoden arbeitet die kindertheologische Forschung? Welches sind Gütekriterien kindertheologischer Praxis?
Diese Liste könnte weiter fortgesetzt werden. Erkennbar wird aber schon hier: Die Standortbestimmung ist aktuell und breit angelegt. Damit trägt Z. dem Umstand Rechnung, dass weder der Begriff der Kindertheologie noch die unter dem Stichwort »Kindertheologie« subsumierten heterogenen Konzepte und Aktivitäten ausreichend geklärt sind.
Angesichts der Vielzahl der Einzelveröffentlichungen und der unübersichtlichen Palette an Begründungen, inhaltlichen Füllungen, Forderungen, Vernetzungen der Kindertheologie scheint das Vorhaben dieser Habilitationsschrift kaum leistbar zu sein. Doch es ist andererseits unabdingbar, Klarheit in die Diskussion zu bringen, denn die fehlende Präzisierung erschwert den wissenschaftlichen Diskurs. Z. zeigt sich in der Durchführung ihres Vorhabens als Autorin, die die Diskussionen kennt und an ihnen beteiligt ist. Mit großer Übersicht, diffiziler Recherche bis ins Detail und enormem Durchhaltevermögen klärt sie die unterschiedlichen Fragestellungen und liefert damit nicht nur eine Diskussionsgrundlage für alle gegenwärtigen kindertheologischen Forschungsvorhaben und Praxiserprobungen, sondern auch für ihre eigenen Studien zur Deutung des Kreuzestodes Jesu.
An diesen Studien zeigt Z. nun konkret, wie ihre im ersten Teil der Arbeit gestellten Forderungen umgesetzt werden können. Wie deuten Kinder den Kreuzestod Jesu? Welche theologischen Kompetenzen von Kindern zeigen sich? Welche Methoden eignen sich zur Erfassung der Kompetenzen?
Der Beschreibung der Anlage der Studien und deren Auswertung gehen komplexe Vorarbeiten voraus: Z. begründet zunächst die Wahl des Themas und fasst Ergebnisse früherer empirischer Studien zu diesem Themenkomplex zusammen. Daraus ergeben sich Forschungsdesiderate. In einem nächsten Schritt entfaltet sie aktuelle theologische Perspektiven:
Sowohl biblische als auch systematisch-theologische Deutungsmodelle werden ausführlich diskutiert. Damit legt Z. ihr eigenes Vorverständnis offen, an dem sich die Auswertung der Studien orientiert. Anschließend stellt sie die Bedeutung des Themas in religionspädagogischen Konzeptionen, Lehrplänen, Schulbüchern und Arbeitshilfen für den Religionsunterricht zusammen und erkennt hier – gemessen an den theologischen Deutungsperspektiven – Einseitigkeiten.
Schließlich kommt das Herzstück der Arbeit: die Darstellung und Auswertung der empirischen Erhebungen. Insgesamt hat Z. seit 2004 in unterschiedlichen Kontexten vier Studien zur theologischen Kompetenz von Kindern hinsichtlich des Kreuzestodes Jesu durchgeführt. Zunächst eine Fragebogen-Studie zum Ablauf der Passion und den Deutungen des Todes Jesu unter 10- bis 19-jährigen Schülerinnen und Schülern, dann Untersuchungen zum Metaphernverständnis und zu Deutungen des Todes Jesu anhand von Interviews zur Gethsemane-Perikope unter 6- bis 10-jährigen Kindern. Im weiteren Verlauf untersuchte sie Voraussetzungskompetenzen zur Deutung des Todes Jesu in einer Umfrage an 8- bis 12-jährigen Kindern und schließlich Prozesskompetenzen im Rahmen theologischer Ge­spräche, welche sie am Beispiel eines 6-jährigen Mädchens darlegt. Z. zeigt nachvollziehbar die Genese der einzelnen Studien und ihres jeweiligen Forschungsdesigns auf. In der Regel ergaben sich im Anschluss an die Auswertung einer Studie neue Forschungs­fragen, denen sie mit der folgenden Studie nach gegangen ist. Die Studien zeigen unterschiedliche Zugänge zu theo­logischen Kompetenzen der Kinder und eröffnen neue Perspek­tiven. Zusammenfassend nennt Z. wichtige methodische und inhaltliche Konsequenzen, von denen ich hier drei Gruppen herausgreife:
Z. verdeutlicht, dass der Methodeneinsatz dem Gegenstand angemessen sein muss. Auch kleinere empirische Studien können und müssen methodisch verantwortet durchgeführt werden. Dies ist eine wichtige Forderung, die m. E. beispielsweise schon bei Seminar- und Examensarbeiten der I. Phase der Lehrer/innenbildung auf der Grundlage dieses Buches umgesetzt werden kann. Voraussetzungskompetenzen sollten so erhoben werden, dass die Voraussetzungen aller Kinder abgerufen werden (Fragebogen oder Einzelinterviews aller Kinder) und nicht – wie im Gruppeninterview häufig der Fall – nur die der redegewandten Kinder. Ferner sollte eine ausgewogene Mischung zwischen sehr detaillierten Analysen von Einzelerhebungen und der Wahrnehmung kollektiver Potentiale angestrebt werden.
Wählt man geeignete Fragestellungen, Rahmenbedingungen und Methoden, so zeigen Kinder ein erstaunlich hohes theologisches Niveau. Je umfangreicher ihr bereichsspezifisches Wissen ist, desto differenzierter können sie das theologische Problem bearbeiten. Z. empfiehlt im Anschluss an empirische Erhebungen die Erstellung von Landkarten des Denkens von Kindern zu den untersuchten Themenbereichen. Diese können Desiderate bzw. An­knüpfungspunkte für die religionspädagogische Arbeit vor Augen führen. Zur Beurteilung der theologischen Kompetenz von Kindern eignen sich interne Kriterien wie Logik, Stringenz, Kohärenz, Sprachkompetenz usw. sowie externe Kriterien wie der Bezug zur biblischen und theologischen Tradition, Bezug zum Vorwissen des Gesprächspartners usw. – Es bedarf eines kompetenten Begleiters des Kindes im theologischen Gespräch. Darum sollte die Professionalisierung von Lehrpersonen verstärkt angestrebt werden.
Mit 13 zentralen Thesen schließt die Arbeit. Diese Thesen sind zugleich Standortbestimmung und Ausblick. Z. geht mit ihnen wichtige Stationen ihrer Untersuchung entlang und zeigt Wegmarken, die die einzelnen Etappen nochmals sehr gut ins Bewusstsein rufen. Zu beachten ist hinsichtlich der Deutung des Kreu­- zestodes Jesu, dass die Arbeit veranschaulicht, wie wichtig das Aufgreifen gerade auch schwieriger theologischer Themen für die Ent-­wick­lung solider und vernetzter theologischer Grundlagenkompetenzen ist. Gleichzeitig wird gegenüber den oftmals favorisierten ethischen Themen des Religionsunterrichts die Bedeutung dezidiert theologischer Themen betont – sie entspringen nicht selten ohnehin den großen Fragen der Kinder, die in der kindertheolo­gischen Arbeit einen hohen Stellenwert einnehmen.
Zweifelsohne ist dieses Buch eine große Bereicherung für die kindertheologische Forschung und Praxis. Ich wünsche ihm viele Leserinnen und Leser, die durch die Lektüre in ihrer eigenen kindertheologischen Arbeit angeregt werden.