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Ausgabe:

Juni/2011

Spalte:

693-695

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Keßler, Hildrun, u. Götz Doyé [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Den Glauben denken, feiern und erproben. Erfolgreiche Wege der Gemeindepädagogik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. 312 S. 8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-02755-2.

Rezensent:

Matthias Hahn

Mit diesem Sammelband legen die Professorin und der Professor für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Berlin eine interessante und anregende gemeindepädagogische Blütenlese vor, eingesammelt bei einer gemeindepädagogischen Fachtagung sowie im Kontext der Verabschiedung eines der Herausgeber, ergänzt um gemeindepädagogische Grundlagenbeiträge. In 21 Aufsätzen werden die im Titel versprochenen erfolgreichen Wege der Disziplin theoretisch vermessen und praktisch aufgezeichnet. Den theoretischen Rahmen bilden der Rekurs auf die großen Ideen der DDR-Gemeindepädagogik: »Gemeinschaft der Dienste aller Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst« ( Hildrun Keßler/Götz Doyé, 7) und »Kirche als Lerngemeinschaft« (Christian Frühwald, 34) sowie Enno Rosenbooms im westdeutschen Kontext entstandenes Verständnis von Gemeindepädagogik als »Gemeindebildungsarbeit«. Kriterien für die Auswahl »erfolgreicher Wege« werden – außer dass sie für künftige Entwicklungen »beispielhaft« sein sollen – nicht dargelegt. Insofern ist gleich durch die Einleitung klargestellt, dass der Sammelband keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern den Fokus auf Wege lenkt, die von Absolventen der Fachhochschule beschritten werden. Die ehrenamtliche Arbeit kommt nicht mit einem eigenen Beitrag in den Blick und die katechetische Arbeit sowie die der Gemeindepädagogen mit Fachschulabschluss werden vollständig ausgeblendet. Ob dies dem Gedanken der Gemeinschaft der Dienste entspricht? Wohl kaum.
Dennoch enthält das Buch ganz ausgezeichnete Verortungen der Gemeindepädagogik: Uta Pohl-Patalongs Theorie der kirchlichen Orte (13–30) ermöglicht die Verbindung einer klaren Struktur des gemeindepädagogischen Dienstes mit großer inhaltlicher Flexibilität. Ihr innovatives Konzept für Gemeinde- und Kirchenentwicklung besticht immer wieder und zeigt besonders für ostdeutsche Verhältnisse Perspektiven auf. Götz Doyé entwickelt seine Vorstellungen vom Gemeindehaus als Beispiel einer lernort- und biographiebezogenen Praxis im Miteinander der Generationen (39–51). Im Sinne von Henning Schröers Gemeindekulturpädagogik profiliert Doyé das Gemeindehaus als Ort einer geselligen Kirche, die sich im Gespräch hält, einladend den Glauben feiert und offen für vielfältige Praxisformen ist. Einige dieser Formen profiliert Martin Behnisch (77–90): Singen und Tanzen, Lobpreisen, Spielen vor Gott als Kling- und Saitenspiel des ewigen Sinns.
Verschiedentlich geht es um Ausbildungsfragen. Angelika Thol-Hauke macht eine Rückkehr des Religiösen »zwischen Fundamentalismus und Kitsch« (105–122) aus: Haben wir derzeit sogar zu viel Religion (was immer darunter verstanden wird) und zu wenig kritische Aufklärung? Wie kann eine Evangelische Fachhochschule Karl Barth für diese Zusammenhänge neu denken? Geistreiche Überlegungen, die die Heterogenität der Studierenden auf der Identitätsbaustelle Studium scharf in den Blick nehmen. Ebenfalls fundamental für eine erfolgreiche Gemeindepädagogik der Zu­kunft: Martin Steinhäusers Überlegungen zu Gemeindebildung (53–75) und zur Realisierung von Gemeinde in gemeindepädagogischen Projektstudien.
Verschiedene Praxisfelder werden in den Blick genommen. Gleich dreimal beschäftigt die Schule. Michael Domsgen trägt engagiert und plausibel die Notwendigkeit der Vernetzung von Religions- und Gemeindepädagogik vor und fragt, wie es im Spannungsfeld von Kirche und Schule zu Kooperationen kommen kann. Seine sys­temtheoretische Analyse wie seine profunde Kenntnis der historisch gewachsenen Situation lassen Unterschiede, aber auch ge­meinsame Aufgaben erkennen (91–104). Birgit Zweigle trägt die Berliner Situation ein und bringt zwei Fallgeschichten zum Lehrersein angesichts interreligiöser Herausforderungen (259–268), beeindruckende Beispiele für eine religionspädagogische Kasuistik. Anika Krebs sieht in der Kooperation von Evangelischer Jugendarbeit und Schule ein »ge­meinsames Abenteuer« (235–247). Sie bringt die (durchaus nachvollziehbaren) Vorbehalte vieler Jugendarbeiter gegenüber der Schule zum Ausdruck, legt den Fokus aber gut begründet auf Kooperation um der Schülerinnen und Schüler willen: Hausaufgabenbetreuung und Förderangebote, fachbezogene und fächerübergreifende Angebote, Freizeitangebote, Festkultur, Schulgottesdienste und Praktika für Schülerinnen und Schüler werden als Schwerpunkte evange­lischer Jugendarbeit in der Ganztagsschule benannt.
Ebenfalls um die Gruppe der Jugendlichen geht es Carsten Haeske und Hildrun Keßler. Wie kommt die Konfirmandenarbeit in Ostdeutschland »raus aus der Nische« der Selbstgenügsamkeit? Für Haeske ist klar: durch Bereitschaft zur Öffnung, Mut zu neuen Ideen und intensive Öffentlichkeitsarbeit, mehr Kommunikation unter den Verantwortlichen, Einbeziehung von jugendlichen Eh­renamtlichen und regionale Vernetzung (141–158). Keßler un­tersucht die Einstellungen von Jugendlichen zum Tod, führt durch ausgewählte gesamt- und ostdeutsche Jugendstudien und foku­s-siert auf »death education« – die Einübung eines altersgemäßen Umgangs mit Sterben, Tod, Trauer, Abschied, Verlust, Schuld und Hoffnung –, wie z. B. mit Schülerinnen und Schülern aus Meck­lenburg-Vorpommern bei den Tagen Ethischer Orientierung(TEO) praktiziert (123–140).
Über ein Mega-Thema künftiger Gemeindepädagogik schreibt Annett Chemnitz: Kindertagesstätten als gemeindepädagogisches Aufgabenfeld (249–258). Wie kommt die religiöse Bildung in die Kindertagesstätten? Wie kann das Recht der Kinder auf Religion schon bei den kleinen Kindern zum Tragen kommen? Chemnitz berichtet von ihrem Projekt mit kommunalen Kindertagesstätten, das nach der Bildungssynode der mitteldeutschen Kirche zustande gekommen war, und vermeldet steigendes Interesse der Kinder, ihrer Eltern und der Erzieherinnen an Kirchengebäuden und Kirchengemeinden. Hier tut sich ein weites Feld auf: Kooperation von Gemeinden und Kitas, Übergänge von der Kita zur Schule und zum Religionsunterricht, Arbeit an den Bildungsplänen der Bundes­-länder.
Zum Schluss: Götz Doyé. Mit vier Aufsätzen von Jürgen Henkys (Gemeindelied – Tageslied – Kinderlied, 267–274), Dieter Reiher (Wir wollten eine andere Pädagogik, 275–286), Roland Degen (Gemeindepädagogik als Wetterdienst, 287–295) und Friedhelm Kraft (Literarische Spuren, 297–310) findet das Wirken Doyés als Pfarrer, als Mitarbeiter im Comenius-Institut sowie als Fachhochschulprofessor und Autor vieler Aufsätze und Bücher angemessene Würdigung – schade nur, dass man auf eine Liste seiner Veröffentlichungen verzichtet hat. Großartig geschrieben und zu lesen ist der »lobredende« Beitrag von Roland Degen mit seiner Metaphorik von Götz Doyé als Wetterdienstler.
So bleibt schließlich die Empfehlung, dieses Buch zu lesen und sich mitnehmen zu lassen auf einen Weg von den Anfängen der Gemeindepädagogik bis hoffentlich hin in eine erfolgreiche ge­meindepädagogische Zukunft.