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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

162–164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Eduard

Titel/Untertitel:

Jesus, das Gleichnis Gottes. Was wissen wir wirklich vom Leben Jesu?

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 120 S. kl. 8o = Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1572. Kart. DM 18,80. ISBN 3-525-33596-2.

Rezensent:

Jürgen Becker

Mit diesem Büchlein meldet sich ein Altmeister ntl. Exegese noch einmal zu Wort, der bereits über viele Jahrzehnte eine maßgebliche Stimme im Konzert der Fachdiskussion gespielt hat. Selbst wenn der vorliegende Band sich in aktueller Weise eindringlich mit G. Lüdemann: Die Auferstehung Jesu, 21994, und J. D. Crossan: The Historical Jesus, 1991, auseinandersetzt, so darf der Leser doch nicht erwarten, Sch. würde in den vielen Einzelentscheiden seiner Darstellung neue Wege gehen. Das ist auch gar nicht die Absicht des Autors. Jedenfalls gibt es keine synoptische Überlieferung, die Sch. nicht schon bedachte, auch kaum eine nachösterliche christologische Frage, die er nicht bereits einmal erörterte. Von diesem reichhaltigen exegetischen Wissen zehrt das Werk, selbst wenn um der großen Linien willen auch notwendigerweise davon manches im Hintergrund bleiben muß. Dieses umfassende Wissen wird nämlich noch einmal auf große Linien hin konzentriert und so elementarisiert dargestellt, daß auch ein fachlich nicht gebildeter Leser verstehen kann, was Sch. an Gedankengängen aufbaut. Daß der Vf. seinen Ertrag der Forschung bündeln kann und dies dann auch einem weiteren Leserkreis zu erschließen versteht, hat er bereits oft dokumentiert: Nahe bei dem vorliegenden Band steht das zuerst 1968 veröffentlichte Taschenbuch: "Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des Neuen Testaments."

Das Thema der Abhandlung ist zwar in der Überschrift gut zum Ausdruck gebracht. Aber die unter den Titel gestellte Frage führt m. E. den Leser in eine vom Buch nicht intendierte Richtung. Sch. erörtert nämlich nicht eine alte Frage der Leben-Jesu-Forschung und will nicht z. B. den in etwa unstrittigen Bestand der Überlieferung für eine Skizze der Verkündigung Jesus neu eingrenzen, sondern gerade solche positivistische und rein historische Fragestellung vermeiden. Ihm liegt nämlich daran, die in der Leben-Jesu-Forschung immer wieder bis in die jüngste Gegenwart durch Hypothesen, die bis ins Exotische hineinreichen, bewußt vollzogene Abtrennung des Jesus von Nazaret von dem Christus des nachösterlichen Glaubens zu hinterfragen. Denn Ostern erschließt für Sch. ein neues Verstehen Jesu, das tief in seinem Wirken selbst angelegt ist. Damit ist die sich äußernde Kontinuität, die Sch. durch das traditionelle Begriffspaar von impliziter und expliziter Christologie beschreibt, sein eigentliches Thema, ein m. E. hoch aktuelles und theologisch wichtiges Problemfeld.

Dieser Kontinuität in aller durch die Ostererfahrung bedingten geschichtlichen Veränderung will Sch. auf die Spur kommen, indem er Jesus, den Gleichniserzähler, behandelt, in dessen Wirken die Gleichnisse wahr werden, so daß er selbst den Menschen zum Gleichnis Gottes wird. Die Gleichnisse schildern nämlich nach ihm die Verborgenheit von Liebe und Gnade Gottes, und eben dies lebt Jesus selbst (39 f.). Darum kommt es nicht unerwartet, wenn dieser implizite christologische Sinn der Gleichnisse nach Ostern explizit formuliert wird (41-46). Auch an den alten Stoffen der Bergpredigt (46ff.), bei Jesu Wundertätigkeit (49 ff.) und bei Jesu Zuwendung zu Zöllnern und Sündern (52 ff.) geht Sch. denselben Weg. Im letzten Fall z. B. ist Jesu Tischgemeinschaft nicht einfach "eine Demonstration von sozialer Offenheit und Gleichberechtigung" (53), sondern da dabei Sündenvergebung geschah, handelt Jesus, "als stünde er an der Stelle Gottes selbst." (53). Überblickt man diesen Reigen der Aspekte aus dem Wirken Jesu, so fällt allerdings auf, daß Sch. nirgends das Plakatwort der Verkündigung Jesu, nämlich das Zentralwort "Gottesherrschaft", ausführlicher bedenkt. Das in ihm aufbewahrte endzeitliche Wirklichkeitsverständnis Jesu wird zugunsten des energischen Herausstreichens der impliziten Christologie an den Rand gedrängt.

Die zweite Hälfte des Buches ist Jesus dem Gekreuzigten und dem Auferstandenen gewidmet (58 ff.; 75 ff.). Die Frage ist dabei zunächst, "wie weit sich in diesem Geschehen" der Passion Jesu "und in der Art, wie Jesus darüber nachdachte..., noch implizite Christologie entdecken läßt" (58). Dabei ist Sch. geneigt, z.B. in Lk 12,37 und 22,27 Jesu eigene Stimme zu hören, so daß er beschreiben kann, inwiefern Jesu Tod für ihn selbst Heilsereignis war. Da mag man anderer Meinung sein. Doch hat Sch. noch einen viel tiefer gehenden Gedankengang bereit: Er legt "das Gleichnis vom mitleidenden Vater (Lk 15,11-32)" (66) so aus, daß ein alter Gedanke von ihm neu aufleuchtet: "Jesus... steht so auf der Seite Gottes, daß er für die Wahrheit seiner Gleichnisse stirbt" (Jesus Christus, 33). Die Ostererfahrung wird dann vornehmlich aus den alten Glaubensformeln erschlossen. Dabei wird festgehalten, daß diesen wichtiger als das irdische Wirken der "Rahmen" des Lebens Jesu, also die Herkunft aus der göttlichen Welt, sein Heilstod, seine Auferstehung und Erhöhung, war.

Dies zeigt an, wie die frühen Gemeinden Jesus nicht als charismatischen Führer und Lehrer begriffen haben, sondern darauf abzielten, ihn selbst als Heilsereignis zu beschreiben (78f.). Der, der als Gleichnis Gottes wirkte, wird nun für immer das Gleichnis Gottes.